# taz.de -- CSDs trotzen rechten Angriffen: „Wir haben Angst, dass es wieder … | |
> In Brandenburg finden diesen Sommer 17 CSD-Paraden statt, in ganz | |
> Ostdeutschland 50. Mit Gegenprotest von jugendlichen Neonazis ist zu | |
> rechnen. | |
Bild: 1. Juni 2024: erster CSD in Rheinsberg; Klaus Lederer, queerpolitischer S… | |
Eberswalde taz | Die Vorfreude ist riesig. Eigentlich. 28 Veranstaltungen | |
hat das Team des [1][CSD Eberswalde] im Rahmen von zwei „Queeren Wochen“ | |
auf die Beine gestellt, Workshops, Konzerte, Ausstellungen, | |
Vernetzungstreffen. Den Abschluss bildet eine CSD-Parade am 21. Juni. Es | |
ist die zweite in der Stadt, 50 Kilometer nordöstlich von Berlin, die dank | |
ihrer [2][Hochschule für nachhaltige Entwicklung] mehr alternative | |
Einflüsse hat als andere Orte in Brandenburg. „Wir wollen zeigen: Guckt | |
mal, was wir hier Tolles auf die Beine gestellt haben“, sagt | |
Initiator:in und Sprecher:in Max Armonies. Doch den Fokus auf das | |
Positive zu legen, sei gar nicht so einfach. „Die Nazis versuchen uns den | |
Platz streitig zu machen.“ | |
Armonies, vor drei Jahren aus Göttingen zum Studium nach Eberswalde | |
gezogen, kann ausführlich darüber berichten, wie sehr die Themen Sicherheit | |
und rechte Angriffe das etwa zehnköpfige Orgateam des CSD beschäftigten: | |
Von einer oft feindlichen Grundstimmung gegen queere Menschen in der Stadt | |
und Beleidigungen auf offener Straße. Von der AfD, die versucht, jede noch | |
so kleine Unterstützung durch Stand oder Landkreis zu verunmöglichen, und | |
von gewaltbereiten Nazis, die gegen den CSD mobilisieren. Armonies sagt: | |
„Jede einzelne Veranstaltung ist auch ein Angriffspunkt.“ | |
Die CSD-Saison startete Ende April im [3][sachsen-anhaltinischen | |
Schönebeck] – und das gleich mit einem Eklat. Die Polizei beendete die | |
Veranstaltung vorzeitig, angeblich wegen fehlenden Sicherheitspersonals, | |
später kritisierte sie auch den ungenügenden politischen Charakter der | |
Reden. Die Veranstalter sprachen von Vorwänden, fühlten sich gegängelt und | |
nicht gewollt. Schlecht ging es dann Mitte Mai im Westen weiter: Der | |
[4][CSD Gelsenkirchen] musste wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ | |
abgesagt werden. Problemlos verliefen dagegen die ersten beiden Umzüge in | |
Brandenburg, an den vergangenen beiden Wochenenden in Angermünde und | |
Brandenburg/Havel. | |
Allein in Brandenburg finden in dieser Saison 17 CSD-Paraden statt, einige | |
zum ersten, die meisten erst zum zweiten oder dritten Mal. Von Rheinsberg | |
bis Bernau, von Cottbus bis Oranienburg gibt es die nächsten Monate fast | |
wöchentlich Demonstrationen für die Rechte queerer Menschen und ihre | |
[5][Sichtbarkeit in der Provinz]. Etwa 50 sind es in ganz Ostdeutschland – | |
so viele wie nie zuvor. „Vielen Menschen wird bewusst: Wenn sie ihre Rechte | |
behalten wollen, müssen sie dafür kämpfen“, sagt Armonies. | |
## Angst vor Nazi-Übergriffen | |
Besorgt sind die Veranstalter:innen nicht mehr nur aufgrund einer | |
gesellschaftlichen Stimmung oder mitunter feindlich gesinnter | |
Stadtverwaltungen. Inzwischen sind es ganz praktische Sicherheitsfragen wie | |
die Angst vor Nazi-Übergriffen, die die CSD-Orgas auf dem ostdeutschen Land | |
beschäftigen. Präsent sind die Erinnerungen aus dem vergangenen Sommer. | |
Damals kam es erstmals zu großen rechtsextremen Gegenprotesten. [6][In | |
Bautzen durfte ein militanter Mob aus 700 Neonazis dem CSD-Aufzug | |
hinterherlaufen] und dabei seinem Hass frönen. | |
Gezählt wurden 2024 insgesamt 27 Mobilisierungen gegen CSDs. Es war das | |
Outcoming einer [7][neuen Generation junger Neonazis], die den Sprung von | |
der Internetvernetzung auf die Straße vollzogen. Inzwischen hat sich die | |
Szene gefestigt, organisiert in immer mehr Gruppen. Die Feindschaft gegen | |
Queers ist dabei eines der Grundelemente dieser ideologisch wenig | |
gefestigten Szene. | |
Für die Organisator:innen der CSDs war Bautzen eine Zeitenwende. Das | |
Thema Sicherheit ist seitdem viel präsenter, sagt Anna Klumb vom CSD | |
Rheinsberg. Ebenso wie in Eberswalde fand in der nordbrandenburgischen | |
Kleinstadt vor einem Jahr der erste CSD statt – Bautzen stand noch bevor – | |
und Sorge vor Naziübergriffen hatte man kaum. Damals stand die | |
„Konfrontation mit der Stadt“ im Vordergrund, erzählt Klumb. Der CSD war | |
eine Antwort darauf, dass sich der Bürgermeister geweigert hatte, eine | |
Regenbogenfahne zu hissen. | |
„Dieses Jahr haben wir eher Sorge vor Angriffen von außerhalb“, sagt Klumb. | |
Trotz der hohen Kosten und fehlender Unterstützung vom Land habe man sich | |
daher extra eine professionelle „Schutzgruppe“ eingekauft, um für die | |
Sicherheit der Teilnehmer:innen, die auch aus Berlin und Hamburg anreisen | |
werden, zu sorgen. Auch im monatlichen Netzwerktreffen der Brandenburger | |
CSDs, organisiert von Verein Andersartig aus Potsdam, ist Gewalt von rechts | |
ein Thema. | |
## „Wir sind vorbereitet und wir sind nicht allein“ | |
In einer gemeinsamen [8][Erklärung ostdeutscher CSDs und | |
Pride-Veranstaltungen], einer Vernetzung, die sich Anfang des Jahres | |
zusammenfand, heißt es: „Die Realität ist besorgniserregend: Die | |
Bedrohungen durch rechtsextreme Akteure in den östlichen Bundesländern | |
haben in den letzten Jahren stark zugenommen.“ Queere Räume und | |
Sichtbarkeit seien bedroht: „Einen CSD zu organisieren bedeutet hier nicht | |
selten, sich persönlichen Anfeindungen, Drohungen und manchmal sogar | |
physischer Gewalt auszusetzen.“ Eine Kapitulation ist die Erklärung derweil | |
keineswegs, die Ansage ist kämpferisch: „Wir zeigen Präsenz mit Zuversicht. | |
Wir sind vorbereitet und wir sind nicht allein.“ | |
Diese Woche startete Campact eine Spendenkampagne, um die CSDs in einer | |
„vergifteten gesellschaftlichen Debatte“ bei ihren steigenden Kosten | |
insbesondere auch für Sicherheit zu unterstützen. 300.000 Euro wolle man | |
umverteilen, damit die Neonazis nicht „gewinnen“. | |
Während es gegen den CSD in Rheinsberg an diesem Samstag keine konkrete | |
Bedrohungslage gibt, haben in Eberswalde die Stadtverordneten der AfD, | |
Maximilian Fritsche und David Streich, eine Gegenkundgebung auf dem | |
Marktplatz angemeldet. Ihr stigmatisierendes Motto: „Keine | |
Frühsexualisierung von Kindern und gegen die Indoktrination“. In einer | |
rechten Chatgruppe bei Telegram schreiben sie: „Wir lassen uns nicht von | |
der Regierung vorschreiben, was wir zu tolerieren haben und was nicht.“ | |
Laut der [9][Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin] ist Fritsche | |
eng mit den jungen Neonazis etwa der „Deutschen Jugend Voran“ vernetzt. Das | |
weiß auch Armonies: „Wir gehen von einem jugendlichem Neonaziklientel beim | |
Gegenprotest aus.“ | |
Obwohl die Anmeldung des CSDs zuerst vorlag und ihre Parade auch über den | |
zentralen Marktplatz führen sollte, dürfen sich nun die Nazis genau dort | |
versammeln. Der CSD darf den Marktplatz nur noch am Rande streifen. | |
Trotzdem sagt Armonies, die Polizei trete ihnen gegenüber „unterstützend“ | |
auf, die Routenänderung sei mit der „Gefahrenlage“ begründet. Für die | |
Veranstaltungen der Queeren Wochen habe die Polizei verstärkten Schutz | |
zugesichert. | |
## AfD und CDU verhinderten eine Förderung | |
Gegenwind erhielt der CSD aus dem Kulturausschuss des Kreistags Barnim. Das | |
Orgateam hatte für die Queeren Wochen eine Kulturförderung von 2.600 Euro | |
beim Landkreis beantragt, 1.000 Euro wollte die Verwaltung bewilligen. Doch | |
AfD und CDU verhinderten das – mit der laut Märkische Oderzeitung | |
bezeichnenden Argumentation eines Abgeordneten der CDU-Fraktion: „Es geht | |
um Sexualität und da ist wenig Kultur dabei.“ | |
Besser laufe es mit der Stadt Eberswalde, die die Queeren Wochen | |
unterstütze und auch mit 1.900 Euro fördere. Armonies lobt insbesondere die | |
Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsbeauftragten. Doch die Kooperation | |
bleibt trotzdem auf einzelne Veranstaltungen begrenzt, denn auch hier macht | |
die AfD als stärkste Fraktion in der Stadt Druck, etwa durch kleine | |
Anfragen, in denen sie argumentiert: „Förderungen von Veranstaltung mit | |
politischer und ideologischer Schlagseite sind unzulässig.“ | |
Armonies sagt: „Weil faschistische Tendenzen, die unsere Existenz | |
gefährden, immer größer werden, ist uns das so aufgedrückt. Wir können | |
nicht queerfeministisch agieren ohne antifaschistisch zu sein.“ Ganz | |
bewusst nehme man auch Stellung gegen den Alltagsrassismus in der Stadt und | |
versuche etwa queere BiPoc-Personen in das Veranstaltungsprogramm | |
einzubeziehen. Doch die Angst vor der Öffentlichkeit sei groß. Und das | |
nicht nur bei People of Colour. Auch aus dem Orgateam des CSD traue sich | |
kaum jemand öffentlich aufzutreten. „Viele sagen mir: Wir haben Angst, dass | |
es wieder so wird wie in den 90ern“, so Armonies. Baseballschlägerjahre | |
also. | |
Die Konsequenz heißt, Veranstaltungen nicht hinter großen Fensterfronten | |
abzuhalten und sie nur kurzfristig zu bewerben. Sich mit sicheren An- und | |
Abfahrtswegen bei einem Bahnhof mit nur einem Ausgang zu beschäftigen. An | |
Schirme zu denken, um rechte Streamer abzuwehren. Drüber zu reden, wie mit | |
Pöbeleien umgegangen werden muss. | |
## Organisierte Anreisen von Unterstützer:innen | |
Alleine aber sind die ostdeutschen CSDs dabei nicht. Fast zu jeder Parade | |
gibt es inzwischen organisierte Anreisen von Unterstützer:innen, etwa den | |
Gruppen Pride Soli Ride oder dem [10][Solidarischen Bündnis gegen Rechts]. | |
Die Berliner Vernetzung aus antifaschistischen und queeren Initiativen | |
gründete sich ursprünglich, um linke Strukturen im Vorfeld der | |
Brandenburger Landtagswahl 2024 zu unterstützen, inzwischen fokussiert man | |
sich voll auf CSD-Support, wie die beiden Aktivistinnen Bente und Mia | |
erzählen. | |
Regierte man im vergangenen Jahr noch kurzfristig auf Nazi-Bedrohungen, | |
laufe die Arbeit dieses Jahr organisierter. Frühzeitig wurden Kontakte zu | |
etwa 15 CSDs aufgenommen, zu denen man Bahnanreisen plant. Dabei verstehe | |
man sich nicht nur als Feuerwehr: „Wir haben nicht gesagt, in Bad Belzig | |
droht kein Angriff, deshalb interessiert uns das nicht“, sagt Mia. Es gehe | |
auch darum, „zu unterstützen, wofür CSDs stehen“. Heißt auch: Man kommt | |
nicht als Black Block, sondern versucht dem Ausdruck von | |
Pride-Veranstaltungen zu entsprechen. | |
Möglichen Angriffen wolle man nicht als kleine schlagkräftige Truppe, | |
sondern gemeinsam entgegentreten. „Schutz ist Kollektivsache“, so Bente: | |
Zusammenstehen beim Warten auf den Zug, nicht vereinzelt durch die Städte | |
bewegen, besonders wachsam sein. Um sich gemeinsam vorzubereiten, werden | |
auch Aktionstrainings angeboten. | |
In Eberswalde ist man dankbar über diese Unterstützung, sucht sie auch | |
bewusst. Armenies sagt, man stehe mit diversen Gruppen aus Berlin, Potsdam | |
oder Frankfurt/Oder in Kontakt. „Wir versuchen Leute zu sensibilisieren, | |
damit viele hierher kommen, die auch stabil sind und bei einer Eskalation | |
nicht direkt wegrennen.“ Wichtig sei jedoch: „Wir sind keine Gegendemo | |
gegen die Nazis, wir sind der CSD und stehen für unsere Werte.“ | |
31 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://csd-eberswalde.jimdosite.com/ | |
[2] https://www.iu.de/ | |
[3] https://csd-sachsenanhalt.de/csd-schoenebeck | |
[4] https://csd-deutschland.de/csd-termine/csd-gelsenkirchen/ | |
[5] /Christopher-Street-Day-auf-dem-Land/!5927739 | |
[6] /CSD-in-Bautzen/!6029166 | |
[7] /Rechtsextreme-Jugend/!6024038 | |
[8] https://www.queerpridedd.org/wp-content/uploads/2025/05/WIR-sind-das-bunte-… | |
[9] https://www.mbr-berlin.de/ | |
[10] https://www.instagram.com/gegenrechts_berlin/ | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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