# taz.de -- Nazis attackieren Hausprojekt in Cottbus: Sichere Orte gesucht | |
> Die Cottbuser „Zelle79“ ist erneut von Nazis angegriffen worden. Nun | |
> rücken viele links-alternative Projekte in der Lausitz zusammen. | |
Bild: So bun wie Cottbus: Das Hausprojekt Zelle 79 | |
Cottbus taz | Der Schreck sitzt immer noch tief, als Fabi Buchholz die | |
Spuren des Angriffs zeigt. Die Brandstellen im Hinterhof, wo die | |
Pyro-fackeln niedergegangen sind, der durch den Steinwurf abgeplatzte Putz | |
an der Fassade. „Die wollten mit einem Rammbock ins Haus eindringen“, sie | |
deutet auf das schwere Stahlgeländer, das im Hinterhof liegt. „Es ging nur | |
darum, uns zu zerstören.“ | |
[1][Das Cottbuser Hausprojekt Zelle79], in dem Buchholz wohnt, wurde am | |
vergangenen Wochenende in der Nacht zu Samstag von einer Gruppe vermummter | |
Neonazis angegriffen. Sie riefen rechtsextreme Parolen, versuchten die | |
Haustür aufzubrechen, warfen Steine und verursachten einen Brand im | |
Hinterhof. Es ist die Fortsetzung einer Serie rechter Gewalt gegen linke | |
Strukturen in Südbrandenburg. Die Betroffenen wollen dem mit stärkerer | |
Vernetzung und gegenseitiger Hilfe entgegenwirken. | |
Die Zelle79 ist eine feste Größe in der alternativen Szene Cottbus. Das | |
1999 gegründete Wohnprojekt liegt etwas abgeschieden unweit des | |
Hauptbahnhofs und sticht mit seiner bunt bemalten Fassade deutlich heraus. | |
Das Projekt bietet Raum für Workshops, regelmäßige Kochabende und einen | |
Umsonstladen. Wenn etwas Subkulturelles oder Politisches in der | |
100.000-Einwohner-Stadt passiert, sind Bewohner:innen des Hausprojekts | |
ziemlich sicher beteiligt. Die linke Szene in Cottbus sei klein, aber | |
lebendig, sagt Buchholz. „Es gibt ganz viele tolle Orte, und wir sind einer | |
davon.“ | |
Neu ist die Gewalt nicht. Seit Jahren ist das Haus Zielscheibe und | |
Reizpunkt für Cottbus’ rechtsextreme Szene. Hakenkreuz-Sticker an der | |
Hausfassade, jemand wirft sich nachts gegen die Tür oder ruft „Scheiß | |
Zecken“. Angepöbelt zu werden, weil man die „falsche“ Frisur oder das | |
„falsche“ T-Shirt trägt, ist Alltag in Cottbus. „Das ist das normale | |
Grundrauschen. Da stumpfst du irgendwann ab“, erklärt die | |
Zelle79-Bewohnerin. | |
Doch in den vergangenen Monaten nahm die Intensität der Angriffe zu. Im | |
Dezember schlugen zwei Personen einen Bewohner vor dem Eingang des Hauses | |
zusammen, als dieser gerade Sticker der extrem rechten Kleinstpartei | |
„Dritter Weg“ entfernte, berichtet Buchholz. Ende Januar versammelten sich | |
mindestens 13 Neonazis vor dem Haus, forderten die Bewohner:innen auf | |
herauszukommen, warfen Bierflaschen und zündeten eine Pyrofackel. | |
## Rechte Hochburg Cottbus | |
Ende März der nächste Angriff: Eine Gruppe vermummter Jugendlicher warf | |
mehrere Pflastersteine gegen das Haus, die heruntergelassenen Rollos | |
verhinderten Schlimmeres. Ohne sie „hätte jemand auch beim Schlafen einen | |
großen Stein abbekommen können“, sagt Buchholz. Dann der Angriff am vorigen | |
Wochenende. „Wir spüren die Schnelligkeit, mit der die Gewalt eskaliert.“ | |
Der Organisationsgrad der Angriffe sei mit jedem Mal gestiegen. Die Menge | |
an Pyrotechnik und das mitgeschleppte Stahlgeländer deuten auf eine | |
geplante Aktion hin. | |
Die Stadt hat sich in den letzten Jahrzehnten zur rechten Hochburg | |
entwickelt. Gewaltbereite Hooligans und Neonazi-Kameradschaften stehen im | |
regen Austausch mit der AfD und der rechtspopulistischen Bewegung „Zukunft | |
Heimat“. „Die Rechten sind extrem gut vernetzt und haben gute Strukturen, | |
um Nachwuchs ranzuzüchten“, erklärt Buchholz. Besonders in der | |
rechtsdominierten Fanszene des Drittligisten Energie Cottbus würden sich | |
viele Jugendliche radikalisieren. Auch die Angreifer auf Zelle79 vermuten | |
die Bewohner in diesem Umfeld. | |
„Die Täter werden immer jünger und immer weniger ängstlich“, sagt Ricarda | |
Budke von der [2][Initiative Sichere Orte]. Das vor wenigen Monaten | |
gegründete Bündnis sorgt für erste Hilfe im Falle rechter Angriffe auf | |
linke Projekte. Die Entwicklung sei auch eine Folge des allgemeinen | |
Rechtsrucks, so Budke. „Nazis gewinnen an Boden, wenn es in der Mitte der | |
Gesellschaft bröckelt.“ | |
Die Dynamik macht den Bewohner:innen Angst. „Ich habe verstanden, dass | |
sie uns im Zweifel töten wollen, nur weil wir eine andere Meinung haben“, | |
ist Buchholz sich sicher. Wegziehen und den Nazis das Feld überlassen | |
wollen sie und die anderen Bewohner:innen dennoch nicht. „Ich lebe | |
gerne in Cottbus, ich habe hier einen starken Freundeskreis“, sagt die | |
junge Frau, die im sozialen Bereich arbeitet. | |
Die Gewalt gegen Zelle79 ist kein Einzelfall. Der Verein Opferperspektive | |
vermeldete 2024 einen starken Anstieg rechter Gewalttaten. Die Zahl der | |
erfassten Fälle erreiche die Extremwerte von 2015. Besonders auffällig sei | |
der Anstieg von Angriffen auf politische Gegner:innen, die sich im | |
Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hätten. | |
„Es geht nicht nur um uns, in den umliegenden Kleinstädten ist die Lage | |
viel schlimmer“, sagt Fabi Buchholz. In Senftenberg griffen im März 35 | |
Neonazis, vermutlich ebenfalls aus der Cottbuser Fanszene, einen Jugendklub | |
an. In Altdöbern brannte im vergangenen Oktober ein Kulturhaus, ein | |
geplanter Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg | |
konnte vorige Woche durch eine Razzia gegen die neonazistische Gruppierung | |
„Letzte Verteidigungswelle“ verhindert werden. | |
Angesichts der zunehmenden Intensität rechter Gewalt setzt Südbrandenburgs | |
Zivilgesellschaft auf stärkere Vernetzung, wie in Form der Initiative | |
Sichere Orte. „Ein Angriff auf einen Ort ist ein Angriff auf uns alle“, | |
sagt Ricarda Budke. Gerade für kleinere Projekte „auf dem flachen Land“, | |
stellen rechte Angriffe eine enorme Belastung dar. Das Bündnis will im Fall | |
des Falles Betroffene mit Spenden und praktischer Hilfe unterstützen. „Die | |
klare Botschaft ist, ihr steht nicht alleine da“, so Budke. Aktuell | |
unterstützt sie die Zelle79 bei der Öffentlichkeitsarbeit. Denn Angriffe | |
auf linke Projekte werden oft nicht wahrgenommen, auch weil sich viele | |
Projekte erst spät an die Öffentlichkeit wagen. | |
Immerhin: Auch sonst macht die Solidarität den Bewohner:innen des | |
Hausprojekts Mut. „Wir haben sehr viel Unterstützung aus der | |
Stadtgesellschaft und der Nachbarschaft erhalten“, sagt Buchholz. Selbst | |
Cottbus’ Bürgermeister Tobias Schick (SPD) und Brandenburgs Innenminister | |
René Wilke (parteilos) haben sich geäußert. Im jahrelang von der CDU | |
regierten Cottbus, wo rechte Gewalt gerne heruntergespielt wurde, keine | |
Selbstverständlichkeit. | |
29 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.syndikat.org/zelle79/ | |
[2] https://losmachen.jetzt/sichere-orte/ | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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