# taz.de -- Buch über rechte Gewalt in den 1980ern: „Rassistische Morde ware… | |
> Die „Baseballschlägerjahre“ waren kein reines Ostphänomen, sagt Felix | |
> Krebs. Er hat ein Buch über rechte Gewalt in den 1980ern in Hamburg | |
> geschrieben. | |
Bild: Gülistan Avcı zeigt im März 2012 in Hamburg ein Bild ihres 1986 von Re… | |
taz: Herr Krebs, ist Ihr Buch eine Anklage? | |
Felix Krebs: Ja, es ist auch eine Anklage gegen den schon damals | |
rassistisch geführten Diskurs um Einwanderung, Asyl und Abwehr von gleichen | |
Rechten für migrierte Menschen. Dieser Diskurs aus den 1970er und 1980er | |
Jahren ist mitverantwortlich für die Explosion der damaligen rechten | |
Gewalt. | |
taz: Das Cover stammt aus der taz und zeigt eine Karikatur: Ein Anwalt hält | |
zwei Skinheads links und rechts im Arm und sagt: „Der Tathergang lässt | |
jeglichen Vorsatz vermissen – die Jungs würden einfach jeden erschlagen.“ | |
Krebs: Es kritisiert die verharmlosende Arbeit der Staatsanwaltschaft im | |
Mordfall Avcı. Der Rassismus wurde nicht als Problem erfasst, denn er war | |
auch in der Mehrheitsgesellschaft alltäglich. Nur die Gewalt störte. Der | |
damalige Leiter der politischen Polizei hatte sowohl im Mordfall Mehmet | |
Kaymakçı Rassismus ausgeschlossen als auch im Mordfall Ramazan Avcı. Und | |
der damalige Polizeipräsident konstatierte nach Avcıs Tod: „Das Opfer hätte | |
genauso gut ein Deutscher sein können.“ | |
taz: Warum schreiben Sie, dass Rechtsextremisten in den Jahren von 1980 bis | |
1989 „mindestens“ acht Menschen an der Elbe ermordeten? | |
Krebs: Es gab damals keine statistische Erfassung. Erst ab 2001 erfolgte | |
eine einheitliche polizeiliche Erfassung der „Politisch motivierten | |
Kriminalität rechts“ (PMK rechts). Viele rassistische Delikte wurden nicht | |
als rechts klassifiziert, weil entweder eine eindeutige Bekennung fehlte | |
oder die Täter nicht in einer rechtsextremistischen Organisation waren. | |
Weitere Todesopfer sind nicht auszuschließen. | |
taz: Sie gehen von mindestens 13 Bomben- und Brandanschlägen und 60 | |
vollendeten Körperverletzungen aus. | |
Krebs: Auch hier gilt: Weitere Anschläge und Übergriffe sind | |
wahrscheinlich. Unsere Auswertung stützt sich auf Zeitungsberichte, die auf | |
Polizeiberichten beruhen dürften. Der institutionelle Rassismus könnte | |
allerdings verhindert haben, dass es überhaupt eine Meldung gab. | |
taz: Wer waren die Ermordeten und Betroffenen? | |
Krebs: Zwei Vietnamesen, Nguyen Ngoc Châu und Đo Anh Lân, die 1980 bei | |
einem rechtsterroristischen Brandanschlag ums Leben kamen. Tevfik Gürel, | |
der 1982 in Norderstedt unter rassistischen Rufen zusammengeschlagen wurde | |
und später starb. Der Fussball-Fan Adrian Maleika, der 1982 von rechten | |
Fußballfans getötet wurde. Mehmet Kaymakçı, der 1985 mit einer 100 | |
Kilogramm schweren Steinplatte umgebracht wurde. Avcı, der im Dezember 1985 | |
von Skins der Nazi-Gruppe „Lohbrügge Army“ erschlagen wurde. Ein | |
Zeitungsbote, der von einen NS-verherrlichendem Skinhead erstochen wurde. | |
Auch den homophob motivierten Mord an Johannes Bügner müssen wir hier | |
einordnen, 1981 ermordeten ihn seine eigenen Kameraden. | |
taz: Eine Zäsur sehen Sie beim Mord von Avcı? | |
Krebs: Der Mord war eine Bestätigung, dass rassistische Morde keine | |
Einzelfälle waren. Die Täter waren teilweise einschlägig vorbestraft. Aber | |
auch der Umstand, dass Avcı an Heiligabend starb, eine hochschwangere Frau | |
hinterließ und er am Tag des Überfalls ein Kinderbett kaufen wollte, haben | |
sicherlich zu stärkeren emotionalen Reaktionen geführt. | |
taz: Ein oft verschwiegenes Thema verschweigen Sie nicht: Den militante | |
Selbstschutz von Migranten. | |
Krebs: Verschiedene migrantische Jugendgruppen oder Street-Gangs mussten | |
sich der ständigen rechten Überfälle erwehren. Die bekanntesten waren die | |
„Champs“, die „Bombers“, die „Red Cops“ oder verschiedene „Türke… | |
die sich nach Stadtteilen benannten. Ihr Beitrag an der Zurückdrängung des | |
rechten Straßenterrors wird auch von der weiß-deutschen Antifa | |
unterschätzt. | |
taz: Diese Militanz sah auch die Hafenstraße geboten. | |
Krebs: Bei Heimspielen des HSV musste die Hafenstraße oft mit einem | |
Überfall von rechten Fans und Hooligans rechnen. Sie waren bewaffnet und | |
konnten nur bewaffnet zurückgedrängt werden. Ich habe dies 1988 bei einer | |
Straßenschlacht erlebt und den Eindruck gewonnen, dass die Polizei die | |
Rechten gerne mal gewähren ließ. | |
taz: Wie sehr reicht die Geschichte in die Gegenwart? | |
Krebs: Außer beim rassistischen Diskurs? In der Gegenwart haben wir nicht | |
bloß beim NSU eine V-Personen-Problematik. V-Leute, die für den | |
Verfassungsschutz oder den Staatsschutz arbeiteten, beeinflussten damals | |
den Umgang mit der Szene – wie wohl heute auch. Ein V-Mann soll damals der | |
Wirt der Skin-Kneipe „Gerstenkrug“ gewesen sein, in der die Mörder Avcıs | |
verkehrten. Erst vor zwei Jahren wurde in einer Großen Anfrage zur | |
Vorgeschichte des NSU-Komplexes nachgefragt. Der Geheimdienst schweigt bis | |
heute. Und ohne Parlamentarischen Untersuchungsausschuss dürfte das | |
Schweigen bleiben. | |
9 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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