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# taz.de -- Historiker über Sezessionisten in Tirol: „Das sehe ich als Begin…
> In den 1960er Jahren unterstützten deutsche Rechte Abspaltungsbewegungen
> in Italien. Der Historiker Darius Muschiol über den
> „Südtirol-Terrorismus“.
Bild: Norbert Burger (vorne rechts) vor einem Geschworengericht in Wien, 1968
taz: Mitte Februar wurde gemeldet, dass rechtsextreme Straftaten im Jahr
2024 [1][ein neues Rekordhoch von 41.406 Delikten] erreicht haben. Darunter
sind 1.443 Gewalttaten, ebenfalls ein neuer Höchststand. Bereits 2023 waren
die Zahlen höher als in den Vorjahren. Haben wir aus der Vergangenheit
nichts gelernt?
Darius Muschiol: Ich würde sagen, dass wir in Bezug auf Rechtsterrorismus,
rechte Gewalt und die staatlichen Reaktionen darauf nur sehr langsam
gelernt haben. Es gab durchaus Lernprozesse, insbesondere nach der
Selbstenttarnung des NSU. Da hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung und
im staatlichen Umgang etwas verändert. Ein Blick auf meine
Forschungsergebnisse zeigt aber, wie groß das schiere Ausmaß des
Rechtsterrorismus in der Vergangenheit war und wie wenig Wissen
gleichzeitig darüber präsent ist. Daher würde ich sagen, dass wir in
Deutschland leider immer noch eine sehr große Blindstelle haben.
taz: In Ihrer Studie untersuchen Sie rechten Terror in der BRD zwischen
1949 und 1990 und legen damit die erste umfangreiche
geschichtswissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema vor. Warum gab es
bislang dazu keine Forschung?
Muschiol: Wie in der gesamten Gesellschaft stand auch in der
Zeitgeschichtsforschung ganz überwiegend nur die Auseinandersetzung mit dem
Linksterrorismus im Vordergrund. Erst in den letzten Jahren fand auch hier
ein Umdenken statt und die Untersuchung des Rechtsterrorismus, ja ganz
allgemein des Rechtsextremismus, rückte in den Fokus.
taz: Sie haben jahrelang in Archiven und historischen Quellen gegraben. Gab
es Überraschungen?
Muschiol: Die größte Überraschung war für mich das Ausmaß der
[2][Involvierung rechtsextremer Protagonisten] in den Südtirol-Terrorismus
und die diesbezügliche Verstrickung bundesdeutscher Politiker. Den sehe ich
als Beginn des bundesdeutschen Rechtsterrorismus an. Er fand zwar nicht in
der Bundesrepublik statt, wurde aber von Deutschen, zumeist gemeinsam mit
Österreichern, geplant und ausgeführt.
taz: Was genau war der Südtirol-Terrorismus, und was hatte die BRD damit zu
tun?
Muschiol: In den 1960er Jahren gab es in Südtirol, das seit dem Ersten
Weltkrieg zu Italien gehörte, Autonomiebestrebungen der deutschsprachigen
Bevölkerung. Im Kontext dieses Konfliktes gab es auch Bundesdeutsche mit
rechtsextremem, mitunter neonazistischem Hintergrund, die in Italien
Anschläge mit pangermanistischer Zielstellung verübt haben. Zum Teil waren
die Anschläge auch tödlich. Hier kann anhand von Archivakten nachgewiesen
werden, dass rechtsextreme Akteure damals von mehreren Bundespolitikern
geschützt wurden. So haben der damalige Bundesjustizminister Ewald Bucher
und zumindest indirekt der Minister für besondere Aufgaben, Heinrich Krone
von der CDU, sogar in den Prozess der Strafverfolgung eingegriffen.
taz: Welche Täter waren das und warum wurden diese nicht verurteilt?
Muschiol: Norbert Burger etwa war ein in Deutschland lebender
österreichischer Rechtsextremist, der deutsche Rechtsextreme angeworben
hat, in Südtirol Anschläge zu begehen. Von München aus hat er [3][eine Art
„Terrorzentrale“ koordiniert]. Die Ermittlungen wurden aber nicht, wie es
in Terrorismusfällen eigentlich zu erwarten gewesen wäre, von der
Generalbundesanwaltschaft, sondern von regionalen Staatsanwaltschaften
übernommen und verliefen danach häufig im Sande. So findet sich etwa in den
Ermittlungsunterlagen ein Schreiben, in dem der Münchner Staatsanwalt, der
gegen Burger ermittelte, versuchte, seinen Fall loszuwerden. Er schreibt,
dass in Bayern kein großes Interesse an einer Strafverfolgung Burgers
bestehe, und erwähnte dabei den Umstand, dass Burger mit Bundesminister
Krone sehr gut bekannt, sogar befreundet sei.
taz: Wie lässt sich der Rechtsterrorismus in der alten Bundesrepublik
gliedern?
Muschiol: Es gibt ein paar klassische Wegmarken, die in der breiteren
Öffentlichkeit bekannt sind, wie das Oktoberfest-Attentat 1980. Aber es gab
daneben viele Gruppierungen und unzählige Anschläge und Anschlagspläne. Ich
spreche in meiner Forschung von drei Phasen des Rechtsterrorismus zwischen
1949 und 1990, die alle einen unterschiedlichen Hintergrund mit anderen
politischen Situationen, Anschlagszielen und Feindbildern hatten. Am
stärksten ist der Terrorismus in der Phase von etwa 1977 bis 1982, wo es
eine massive Häufung von Anschlägen gibt. In dieser dritten Phase richtet
sich der Terrorismus erstmals gegen die liberale Demokratie.
taz: Sie nennen Ihre Studie „Einzeltäter?“ und werfen die heute noch rege
diskutierte Frage auf, ob es Netzwerke um rechtsterroristische Täter gibt.
Waren es Einzeltäter?
Muschiol: Nein, eindeutig nicht. Diese Zuschreibung hat leider die
[4][staatliche Sicht auf Rechtsterrorismus] jahrelang geprägt. Ich nenne
das die Vereinzelungsthese, weil man immer wieder von Einzeltätern,
vereinzelten Personen oder kleinen Gruppen gesprochen hat. Das lässt sich
aber schon deswegen widerlegen, weil es eine starke nationale und
internationale Vernetzung der Szene gab. Die Protagonisten haben ihre
Ideologie, ihre Professionalität oder ihre Ausübung der Gewalt in anderen
rechtsextremen Gruppen gelernt, wo sie oft jahrelang aktiv waren. Zudem gab
es internationale Verbindungen in die USA, nach Frankreich, in den Libanon
oder nach Belgien. Außerdem haben sich die Rechtsterroristen Feindbilder
gesucht, die nicht nur sie, sondern auch das rechtsextreme Milieu und teils
weite Teile der deutschen Bevölkerung geteilt haben.
taz: Die Rechtsterroristen wollten sozusagen den Willen der Bevölkerung
ausdrücken?
Muschiol: Richtig, man könnte sagen, dass sich Rechtsterroristen oftmals
als Vollstrecker eines „allgemeinen Volkswillens“ positioniert haben. Als
der RAF-Terror begann und es eine Stimmung gegen Linksextremismus in der
Bevölkerung gab, entstanden Gruppen, die behaupteten, den Staat gegen
alles, was man für eine „linke Gefahr“ hielt, schützen zu müssen. Im
Übergang zu den 1980er Jahren richtete sich die Gewalt dann zunehmend gegen
Migranten. Damals tauchten in rechtsextremen Publikationen Begriffe wie
„Ausländerschwemme“ und „Ausländerflut“ auf, die auch auf die damalige
gesamtgesellschaftliche Debatte einwirkten. Vor diesem Hintergrund verübten
die Rechtsterroristen ihre Anschläge auf Migranten. Rechtsterroristen
schlugen nie in einem luftleeren Raum zu.
taz: Haben Rechtsterroristen denn ihre Ziele erreicht?
Muschiol: Es gab Teilerfolge. Anfang der 1980er Jahre etwa gab es die
ausländerfeindlichen Anschläge der „Deutschen Aktionsgruppen“ um Manfred
Roeder, die zwei Menschen das Leben kosteten. Roeder hatte damals das Ziel
verfolgt, „Druck“ auf die Bundesregierung auszuüben. Kurz darauf erklärte
Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung sofort die
„Ausländerpolitik“ zu einem seiner wichtigsten Themen.
taz: Für den Zeitraum rechter Gewalt in der Zeit nach der Wiedervereinigung
wird auch das Attribut „Baseballschlägerjahre“ vergeben. Konnten die
Neonazis in den 1990ern auf bestehende Netzwerke und Strukturen von der
Zeit davor zurückgreifen?
Muschiol: Auf jeden Fall konnten sie von der Fehlwahrnehmung bzw.
Bagatellisierung rechter Gewalt durch Staat, Gesellschaft und Politik
profitieren. Das Unwissen, Wegschauen, Negieren und Kleinreden waren
Kontinuitäten, die den Umgang mit rechtsextremer Gewalt über Jahrzehnte
prägten.
21 Mar 2025
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## AUTOREN
Marietta Meier
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