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# taz.de -- Geplantes Archiv zu Rechtsterrorismus: Die klaffende Lücke
> Die Ampel möchte ein Archiv unter anderem mit NSU-Akten einrichten. Damit
> es kein Symbol bleibt, müssen endlich Aufklärungslücken geschlossen
> werden.
Bild: Antifaschistische Demo in Zwickau am 10. Jahrestag der Selbstenttarnung d…
„Vertrauen ist größer als Wissen“, schreibt der Autor Deniz Utlu in einem
Essay von 2019. „Es ist das beruhigende Gefühl, dass ohne jeden Zweifel die
Verantwortlichen in Behörden die Fähigkeit und die Integrität haben, wo sie
können, das Beste für die Menschen zu tun. […] Aber dieses Gefühl ist nicht
mehr da.“
An diese Zeilen musste ich denken, als vergangene Woche der
Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung vorgestellt wurde, vor allem bei
den Stellen zum Thema Rechtsextremismus. Ein Gedenkort für die Opfer des
NSU-Terrors soll in Erfurt entstehen. Außerdem ein [1][Archiv zu
Rechtsterrorismus], welches unter anderem mit NSU-Akten gefüllt werden
soll. Ohne Frage ist es wichtig, Unterlagen zu rechten Anschlägen der
letzten Jahrzehnte zusammenzuführen, um sie in einem größeren Kontext
betrachten zu können. Gerade um der Schlussstrich- und Einzelfallmentalität
zu entkommen, die Justiz und Behörden schon zu lange verfolgen, wenn es um
rechtsextreme Gewalt geht, und Ermittlungen sich allein gegen
Einzelpersonen richten anstatt gegen Netzwerke.
Seit der NSU-Prozess 2018 in München endete, blieb deshalb in linken und
migrantischen Kreisen ein beunruhigender Zweifel zurück. Denn während sich
die Hinweise auf ein gut organisiertes Netzwerk mit Verbindungen zum
Verfassungsschutz hinter dem NSU verdichteten, verurteilte das Gericht
lediglich ein überlebendes Drittel eines Trios mit ein paar Helfershelfern,
die recht glimpflich davon kamen.
Gegen André Eminger, der dem Kerntrio aus Zschäpe, Bönhardt und Mundlos
mehrere Tatfahrzeuge und Bahncards besorgt haben soll, läuft [2][nun ein
Revisionsverfahren]. 2018 wurde er von der Beihilfe zum versuchten Mord
freigesprochen, weil er angeblich in die Terrorpläne des untergetauchten
Trios nicht eingeweiht gewesen war. „Lückenhaft und widersprüchlich“ nennt
die Bundesanwaltschaft dieses Urteil und fordert nun, dass neu gegen
Eminger verhandelt werden müsse.
## Nicht nur Schuld der Union
Doch nicht nur Emingers Rolle ist unklar. Der hessische
[3][Verfassungsschützer Andreas Temme], der zum Zeitpunkt des Mordes an
Halit Yozgat 2006 am Tatort war und mit V-Leuten telefoniert hat, will mit
dem Mord nichts zu tun haben. Bis heute weiß man nicht, was er dort wollte
und worüber am Telefon gesprochen wurde. Kurz nach der Selbstenttarnung des
NSU im November 2011 waren zudem im Bundesamt für [4][Verfassungsschutz
Akten geschreddert worden], mit Informationen zu Thüringer
Rechtsextremisten. Die [5][hessische NSU-Akte] bleibt wiederum bis zum Jahr
2034 geheim, weil die schwarz-grüne Landesregierung sich im Sommer gegen
eine Offenlegung entschied. Niemand kann behaupten, dass es allein die
Union war, die in den vergangenen Jahren eine vollständige Aufklärung des
NSU-Komplexes verschleppte.
Und so bleibt die Frage, was in dem nun geplanten Archiv zu
Rechtsterrorismus mehr ins Auge fallen wird? Die schiere Fülle an Akten
oder die klaffenden Lücken dazwischen? Wie dokumentiert man die
Vorenthaltung von Wissen, ja die Vernichtung von Informationen seitens der
Behörden?
Vielleicht müsste es vielmehr ein „Archiv der Fehler und Versäumnisse“
geben, das den dreifachen Vertrauensbruch des Staates gegenüber seiner
Bürger_innen in der NSU-Causa sichtbar macht: Den ersten, weil eine solche
Anschlagsserie möglich gewesen ist; der zweite, weil Informationen zur
Aufklärung bis heute vorenthalten werden; und der dritte, weil der
NSU-Komplex immer noch mit reiner Symbolpolitik angegangen wird. Denn
solange die Lücken in der Erzählung von der abgeschotteten Zelle nicht
weiter untersucht werden, verkommen das versprochene Archiv und auch der
NSU-Gedenkort leider nur zu weiteren Symbolen.
5 Dec 2021
## LINKS
[1] /Rot-Gruen-Gelb-will-NSU-Aufarbeitung/!5817932
[2] /NSU-erneut-vor-Gericht/!5815879
[3] /Verfassungsschutz-und-NSU/!5365072
[4] /Unterlagen-zum-NSU-geschreddert/!5090311
[5] /Verschlusssache-NSU/!5809436
## AUTOREN
Fatma Aydemir
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