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# taz.de -- Politisches Zeichen an der Staatsoper: Oper geht uns alle an
> Nicht länger ein einschüchternder Musentempel: Die Staatsoper Hannover
> wendet sich nicht nur mit „Der Mordfall Halit Yozgat“ an alle.
Bild: Verfilmung vor der Uraufführung: Wegen Corona war die Oper zunächst als…
Ogottogott, Oper, sagen viele, mag ich nicht, interessiert mich nicht, als
wär’s eine Geschmackssache. Oper gehört zu denjenigen staatlichen
Kulturbetrieben, für deren Fortbestand die meisten Gelder ausgegeben
werden. Als maximal repräsentatives Medium dient diese Kunstform sowohl der
Selbstbehauptung als auch der kritischen Reflexion von Staat.
Von daher ist stets relevant, wie sie, gerne unterhaltsam, diese Funktion
erfüllt und dabei Teilhabe verhindert (Stichwort Bayreuth) oder ermöglicht.
Letzteres wird selten so richtig, so gut, so selbstkritisch angepackt wie
von der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Laura Berman.
Besonders plastisch verdeutlicht das natürlich die am 1. Mai anstehende
Uraufführung von „Der Mordfall Halit Yozgat“, komponiert vom isländischen
Elektronikavantgardisten Ben Frost. „Er hat diesen Stoff gewählt“, sagt
Intendantin Laura Berman, „weil er für Deutschland so wichtig ist.“
Nicht neu ist, dass Theaterstücke, Aktionen oder Performances den Terror
des Nationalsozialistischen Untergrunds thematisieren: [1][Neben dem „Kein
Schlussstrich“-Projekt in 18 Städten] fördert ein Blick ins Archiv gut 20
solcher bundesweit im Feuilleton besprochenen räumlich-szenischen
Reflexionen seit 2012 zutage. Eine Matrix dieser Projekte und Recherchen
ist das „Tribunal NSU-Komplex auflösen“, getragen von einem Verein in Köl…
## Akribische Rekonstruktion
Auch „Der Mordfall Halit Yozgat“ geht von einer durch das Tribunal
initiierten Ermittlung aus. Die Rechercheagentur Forensic Architecture hat
durch akribische Rekonstruktion plausibilisiert, dass der
Verfassungsschützer Andreas T., anders als behauptet, den Mord am 6. April
2006 im Internetcafé in der Holländischen Straße in Kassel wohl mitbekommen
hat.
[2][Der Film] „77sqm_9:26min“, der das darstellt, avancierte zum Herzstück
eines multimedialen Kunstwerks eines Kollektivs mit dem Namen „Die
Gesellschaft der Freund_innen von Halit“, das 2017 für die documenta 14
entstand.
Die Opernhandlung „orientiert sich an den Rekonstruktionsvarianten von
Forensic Architecture“, erläutert Librettistin Daniela Danz. Sie habe ihren
Text „mit Mitteln der Kunst daran angelehnt“. Gestützt auf Aktenauszüge u…
Prozessaussagen werden die neuneinhalb Minuten vor der Tat in parallelen
Dialogen gestaltet.
Durch das mehrfache Durchspielen der Sequenz aus unterschiedlicher
Perspektive erzeugt Frost eine rhythmisch klangliche Makrostruktur,
grundiert von pulsierenden Orchesterklängen, skandiert vom Schussgeräusch.
Im vergangenen Jahr hatte coronabedingt die Uraufführung gecancelt werden
müssen. Stattdessen wurde das Musiktheater verfilmt und online
veröffentlicht: [3][Künstlerisch funktionierte das nicht schlecht]. Aber so
ein Werk auf die große Bühne des einschüchternden Staatsoperntempels zu
bringen, ist schon für sich genommen ein Zeichen, ein politisches. Das laut
Berman für Kontroversen sorgt. „Und das muss es auch“, sagt sie.
Ein umfangreiches Diskursprogramm beginnt daher schon jetzt, drei Wochen
vor der Premiere am 1. Mai. Es spart so unbequeme Fragen wie die nach der
Notwendigkeit von theatraler Reproduktion rassistischer Gewalt nicht aus.
Und auch dem [4][Problem, für andere zu sprechen], stellt es sich im
früheren Viktualienladen Feinkost Lampe, einer der szenigsten Locations,
einem ziemlichen Gegenentwurf zum Opernhaus, das sich so radikal in die
Gesellschaft hinein öffnet. Und in die Zukunft.
10 Apr 2022
## LINKS
[1] https://kein-schlussstrich.de/
[2] https://vimeo.com/225827337
[3] /!5690008/
[4] https://www.degruyter.com/document/doi/10.18574/9780814784945-016/html?lang…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Oper
Hannover
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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