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# taz.de -- Diversitäts-Agentin über ihren Job: „Diversität muss normal we…
> Leyla Ercan setzt sich als Agentin für Diversität am Staatstheater
> Hannover für die interkulturelle Öffnung des Hauses ein.
Bild: Ist aber überzeugt, dass Vielfalt bereichert: Leyla Ercan
taz: Frau Ercan, Sie sind Agentin für Diversität am Staatstheater Hannover,
ihre Stelle finanziert das Projekt des Bundes „360° – Fonds für Kulturen
der neuen Stadtgesellschaft“. In welcher neuen Stadtgesellschaft möchten
Sie mal leben?
Leyla Ercan: Ich lebe tatsächlich schon in ihr. Ich wohne im Stadtteil
Linden-Nord in Hannover – ein unglaublich diverser Stadtteil. Das merke ich
auch gerade an einem aktuellen Projekt. Eigentlich bin ich ja Agentin für
Diversität und überwiegend an der Personal- und Organisationsentwicklung
beteiligt. Aber ich versuche mir auch Einblicke in konkrete
partizipatorische Kulturarbeit zu verschaffen.
Um welches Projekt geht es?
Ich habe mich bei einem Projekt von Julia Wissert eingeklinkt. Sie ist eine
Regisseurin, die sehr partizipatorisch arbeitet. In diesem Zusammenhang
probiere ich mich an einem kleinen Kunstprojekt aus, im Rahmen der
„Universen“-Reihe. Ich setze mich dabei am Beispiel der Kunstkacheln von
Olf Lupin intensiv mit meinem Stadtteil auseinander. Kennen Sie Olf Lupin?
Noch nie gehört.
Das ist ein Künstlerduo, das lange Zeit anonym agiert hat. Vor zehn oder
fünfzehn Jahren haben sie angefangen, Kacheln mit Motiven, Bildern,
Geschichten zu bemalen. Und die haben sie im Stadtteil an zentralen Orten
angebracht. In Linden-Nord gibt es ganze Ensembles dieser Kunstkacheln. Und
die laufe ich ab, unterhalte mich mit Anwohner*innen über die Kunst und
weshalb sie dort leben, wo sie eben leben. Dabei merke ich, wie heterogen
der Stadtteil ist. Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlichste
Menschen miteinander kommunizieren, Feste feiern, Kultur schaffen. Das ist
meine Vision. Dass wir wirklich miteinander leben. Nicht nebeneinander her,
sondern miteinander mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, Identitäten
und Facetten des Lebens.
Wieso liegt Ihnen das Thema Diversität am Herzen?
Diversität kann, wenn sie wirklich konstruktiv gelebt wird, sehr
bereichern. Dafür braucht es ein aktives Engagement. Man muss sich drauf
einlassen und für neue Perspektiven aufgeschlossen sein. Aufgeschlossen für
Menschen, die andere Hintergründe haben, andere Identitäten. Dadurch kann
viel Neues entstehen. Daran glaube ich wirklich. Weil ich selber auch ein
sehr diverses Umfeld habe und merke, wie sehr mich das bereichert. Als
Mensch – aber auch intellektuell.
Inwiefern?Also, ich bin in einem sehr ethnokulturellen Kontext unterwegs.
Meine eigene Familie und mein Freundeskreis ist sehr ethnodivers. Wir haben
deutsche Menschen in der Familie, schwarze Menschen, beeinträchtigte
Menschen, Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensführungen. Das macht es
natürlich manchmal schwierig, wenn die unterschiedlichen Formen zu leben
aufeinandertreffen. Aber gleichzeitig ist das auch spannend, weil man sich
in viele Perspektiven hineinversetzen und sich so eine Flexibilität des
Geistes aneignen kann.
Sie sind Mitglied im Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V. und haben an
Projekten, u. a. an der Gedenkstätte Bergen-Belsen mitgewirkt. Haben Sie
Druck von rechts erlebt?
Ich habe im Vorfeld zu diesem Interview erneut darüber nachgedacht. Ich
kenne Kolleg*innen aus dem 360°-Programm, die nach einem Interview und
einer medialen Darstellung sehr böse Mails bekommen haben. Darüber habe ich
mir sehr lange Gedanken gemacht, ob ich dieses Interviews machen möchte.
Ich kenne das Problem aber natürlich auch bereits von meiner Arbeit in
Bergen-Belsen.
Das Interview hat Ihnen wegen rechter Hetze Sorge bereitet?
Diese Sorge habe ich ganz oft. In Bergen-Belsen haben wir deshalb lange
Zeit keine Namen und keine Bilder von uns auf der Projektwebsite gehabt –
sonst flattern Drohungen ins Haus. Auch beim Flüchtlingsrat wurde lange
Zeit vermieden, Namen auf die Homepage zu setzen, weil wir Morddrohungen
bekommen haben. Ich habe schon oft Anzeige gegen Unbekannt stellen müssen.
Wie gehen Sie damit um?
Die Sorge bleibt. Das Thema Diversität ist für mich positiv konnotiert.
Aber ich weiß, dass es Gruppierungen gibt, für die das Thema ein rotes Tuch
ist. Ohne dass die genau wissen, warum oder was der Diversitätsansatz genau
umfasst. Viel Hass resultiert aus Unkenntnis. Ich weiß um diese Diskurse
und die Konsequenzen für mich.
Sie entscheiden sich trotzdem für den Einsatz für Diversität.
Weil ich finde, dass sich Diversität normalisieren muss. Es darf nicht
negativ konnotiert bleiben. Das Thema braucht Gesichter und konkrete
Bekenntnisse. Also wenn das Staatstheater sagt: „Wir bekennen uns dazu“,
dann hat das eine Symbolwirkung und die wirkt sich gesamtgesellschaftlich
aus.
Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, das Staatstheater bei diesem
Bekenntnis zu unterstützen?
Ich wusste, dass die Stelle ausgeschrieben wird. Über die Kulturstiftung
kenne ich sehr viele Menschen, die schon in der ersten Förderrunde dabei
waren. Ich wusste über das Programm und habe mich auch an diversen anderen
Einrichtungen beworben, weil ich dieses Programm einfach sehr spannend
finde.
Könnte ein heterosexueller Mann ohne Migrationshintergrund mittleren Alters
Ihrer Stelle so gerecht werden wie Sie?
Ich kenne Männer, die das könnten, die unglaublich sensibilisiert sind für
solche Themen und sich mit den Perspektiven und gesellschaftlichen
Positionierungen marginalisierter Gruppen beschäftigt haben. Aber ich denke
auch, dass man in irgendeiner Weise von Benachteiligung betroffen sein
muss, um überhaupt den Impuls zu haben, sich damit zu beschäftigen. Es gibt
eine Betroffenheit jenseits der sogenannten cis-Heteronormativität und des
Weißseins – etwa durch Mobbing in der Jugend. Ich habe viele weiße,
heterosexuelle Männer als Verbündete.
Themensprung: Wie hängen Diversität und Theater zusammen?
Auf der Bühne kann die Gesellschaft abgebildet werden, das bietet sehr
viele Möglichkeiten. Dieser Raum zur Darstellung sollte stärker diversen
Themen zugänglich gemacht werden. Ich finde, wir haben mit unseren neuen
Intendantinnen Sonja Anders und Laura Berman und den neuen Ensembles ein
unglaublich diverses Programm geschaffen. Viel diverser als vorher. Das ist
auch experimentell sehr spannend zu sehen: Was macht diese Veränderung mit
uns als Kulturbetrieb? Ich kenne das Staatstheater noch aus den Neunzigern:
Heinrich von Kleist und Goethe – und das war's.
Viele Theaterklassiker wurden im Geist heteronormativer Männlichkeit
geschaffen. Müssen die Klassiker jetzt verbannt werden?
Gar nicht. Man kann die ja tatsächlich neu interpretieren. Haben Sie das
Stück „Platonowa“ unter der Regie von Stephan Kimmig gesehen?
Bisher nicht.
Ich fand das grandios. „Platonow“ ist ein Stück von Tschechow. Im Zentrum
der Handlung stehen klassische Figuren: Eine Dorfgesellschaft, ein
Dorflehrer und junge Frauen, die in ihn verliebt sind. Eine typische
heteronormative Erzählung, in der alles sehr statisch wirkt, weil die
Figuren in bestimmten Projektionen von Leben, Mensch, Liebe stecken. Sie
sind in ihren Wünschen und Vorstellungen gefangen. Und wir haben das hier
auf der Bühne ganz neu gelesen und adaptiert. Eben nicht heteronormativ wie
Tschechow. Die Figur Platonow wird zu einer lesbischen, jungen Lehrerin,
Platonowa.
Was kann ein utopisches diverses Theater bewirken?
Die Normalisierung von Diversität, also abweichende Lebensstile und
-entwürfe, die anders verlaufen und oftmals nicht als gelungene Leben
wahrgenommen werden. So wird Spielraum für das Anderssein zugelassen. Das
befreit uns ja alle. So sein zu dürfen, wie man ist und trotzdem ein Teil
des Ganzen zu sein. Das ist, denke ich, ein universeller Traum jedes
Menschen.
Ihre Stelle ist bis 2023 geplant. Struktureller Rassismus und patriarchale
Strukturen haben sich seit hunderten Jahren in Kulturbetrieben verfestigt.
Ist es nicht anmaßend, Diversität als Projektarbeit anzulegen?
Das betrifft ganz viele Bereiche. Auch Frauenförderung wird oft als
Projektarbeit angelegt. Aber Frauen sind keine Projekte. Frauen wird es
auch weiterhin geben. Deshalb müsste man strukturell finanzieren. Ich
glaube, die Kulturstiftung des Bundes stellt sich das systemisch vor: Man
bringt eine Kugel ins Rollen und verlässt sich darauf, dass die
weiterläuft.
Was nehmen Sie sich für die nächsten vier Jahre vor?
Wir legen den Fokus auf das Personal. Unsere Intendantinnen sind sich des
Themas Diversität schon sehr bewusst. Beim Personal müssen wir uns selbst
erst einmal klar werden, was wir erreichen wollen. Ich würde gerne
Leitungsebenen und Schlüsselfiguren mit unbefristeten Arbeitsstellen
sensibilisieren, die das Thema weitertragen, als Multiplikator*innen – auch
wenn ich nicht mehr da bin.
23 Dec 2019
## AUTOREN
Nina Hoffmann
## TAGS
Diversität
Schauspiel Hannover
Hannover
Integration
Innovation
Intendant
Oper
Stalking
Schwerpunkt Rassismus
Diversität
Kolumne Flimmern und Rauschen
Integration
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