| # taz.de -- Extremer Fall von Stalking: Lust durch Leid | |
| > Was Online-Stalker Daniel S. seinen Opfern antat, ist schwer zu fassen. | |
| > Am Mittwoch gestand er vor dem Amtsgericht Bremen. | |
| Bild: So könnte es auch im Fall Daniel S. ausgesehen haben: Stalker mit Smartp… | |
| BREMEN taz | Es war Hass. Im Prozess verliest die Verteidigerin eine | |
| Stellungnahme von Daniel S. Er wisse nicht, woher sein Hass auf Schwule | |
| kommt, heißt es darin. “Ich wollte einfach Stress machen, Leuten Stress | |
| machen, sie in Schwierigkeiten bringen“, präzisiert er auf Nachfrage der | |
| Amtsrichterin. „Dann hab ich mich selbst abends im meinem Bett immer besser | |
| gefühlt.“ | |
| Daniel S. hat an diesem Mittwochvormittag gestanden, mindestens vier jungen | |
| Schwulen nachgestellt zu haben. Er hat sie beleidigt, erpresst und bedroht | |
| und in ihrem Namen Morddrohungen verschickt. | |
| Der Fall ist in seinem Umfang nur schwer fassbar. Allein 90 Minuten dauert | |
| die Verlesung der Anklagepunkte durch die Staatsanwaltschaft. Zeit, in der | |
| es im Saal immer wieder unheimlich still wird. Zu den rund 70 | |
| Anklagepunkten zählen Straftaten wie [1][Volksverhetzung], Nötigung, | |
| Bedrohung, Räuberische Erpressung, Störung des öffentlichen Friedens. Und | |
| so weiter. | |
| Im Saal sind auch die Mutter und Schwester eines der Opfer anwesend. Vor | |
| allem der Schwester fällt es sichtlich schwer, den Angeklagten anzuschauen. | |
| Anfang 2016 hatte Daniel S. ihren damals noch minderjährigen Bruder auf | |
| einer Internetplattform für Homosexuelle kontaktiert. | |
| ## Gefälschte Mordgeständnisse | |
| In kürzester Zeit kannte Daniel S. ohne das Wissen seines Opfers dessen | |
| Adresse und Telefonnummer, wusste, wo er zur Schule geht und wie seine | |
| Mutter heißt. Er erstellte mehrere Facebook-Profile im Namen seiner Opfer, | |
| eröffnete Mail- und Paypal-Konten und verkaufte online Handys und | |
| Fußball-Tickets im Wert von tausenden Euro. Getarnt als sein Opfer | |
| verschickte er Morddrohungen und legte Geständnisse ab, die jedes Maß | |
| überstiegen. | |
| So war 2016 auf einem der Fake-Profile zu lesen: „Ich habe Lars getötet, | |
| das tut mir leid.“ Gemeint war [2][Lars M.,] ein junger Mann, der seit | |
| einer Bulgarien-Reise im Sommer 2014 vermisst wird. | |
| Doch die Taten des Daniel S. beschränkten sich nicht auf die Online-Welt: | |
| regelmäßig ließ er einem der jungen Männer Pakete in die Schule schicken, | |
| beispielsweise [3][eine CD mit dem Titel “Glad to be gay“] oder ein | |
| Grabgesteck mit Trauerkarte auf dem der Name des Opfers zu lesen war. Sein | |
| Versuch, eine Todesanzeige im Namen der Mutter des Opfers in der Zeitung zu | |
| schalten, scheiterte. Der Text allerdings stand schon: „[4][Nun aber | |
| bleibet Glaube, Liebe, Hoffnung]“ mit einem Foto und dem falschen | |
| Todesdatum, darunter der Termin zur Trauerandacht und der Vermerk: | |
| „anschließend Beisetzung“. | |
| Immer wieder hört man Personen während der Verlesung der Anklagepunkte im | |
| Gerichtssaal schwer atmen. Selbst die vorsitzende Richterin scheint ihre | |
| Worte und Fragen nur schwer bündeln zu können. „Haben Sie sich nie Gedanken | |
| darüber gemacht, was das mit Ihren Opfern macht, welcher psychischen | |
| Belastung Sie sie dadurch aussetzen?“, nach einem kurzen Zögern antwortet | |
| der Angeklagte mit dünner Stimme: „Ne, eigentlich nicht.“ | |
| Ebenfalls im Jahr 2016 ließ Daniel S. über eine falsche Telefonnummer eine | |
| Bombendrohung in einer Bremer Rewe-Filiale ab. Daraufhin wurden Straßen | |
| abgesperrt, ein anliegendes Altenheim musste evakuiert werden. „Ich weiß | |
| nicht so genau, wieso ich das gemacht hab“, stottert Daniel S. als die | |
| Richterin etwas über seine Motive erfahren will. | |
| Ganz genau kann er hingegen alle technischen Prozesse erklären, die für | |
| seine vielen Taten nötig waren: wie man falsche Konten eröffnet, falsche | |
| Handynummern erstellt, an Kontodaten fremder Menschen kommt, Online-Profile | |
| hackt. „Das weiß man halt, wenn man den ganzen Tag im Internet verbringt, | |
| da gibt’s Videos auf YouTube zu.“ | |
| Der Polizei fiel es schwer, die unzähligen Taten auf eine einzige Person | |
| zurückzuführen. Seit 2016 hatten dutzende Personen wegen Nachstellung, | |
| Betrug und Erpressung Anzeige gegen „Unbekannt“ erstattet. Hinter | |
| „Unbekannt“ versteckte sich in den heute verlesenen Fällen Daniel S. | |
| „Sie müssen sich das als riesiges Puzzle vorstellen, an dem viele | |
| mitgepuzzelt haben, ohne voneinander zu wissen“, sagt Dierk Gerl, der | |
| Sprecher des Amtsgerichts, über die Arbeit der Polizei. Im Sommer 2019 | |
| wurde Daniel S. schließlich überführt und sitzt seitdem in | |
| Untersuchungshaft. | |
| Nach dem Prozessauftakt wurde von der Staatsanwaltschaft eine Abgabe des | |
| Falls ans Landgericht beantragt: Bislang hatte Daniel S. zu seinen Taten | |
| geschwiegen. Seine Aussage am Mittwoch hat die psychiatrische Gutachterin | |
| dazu veranlasst ihre Expertise abzuändern: Sie hält es mittlerweile für | |
| möglich, dass der Angeklagte unter einer Störung leidet und | |
| [5][schuldunfähig] ist. Statt einer mehrjährigen Haftstrafe würde ihm dann | |
| die Einweisung in die forensische Psychiatrie drohen. | |
| 16 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Archiv-Suche/!5521222&s=stalking+bremen&SuchRahmen=Print/ | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Vermisstenfall_Lars_Mittank | |
| [3] https://en.wikipedia.org/wiki/Glad_to_Be_Gay | |
| [4] https://www.bibleserver.com/LUT/1.Korinther13,13 | |
| [5] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__20.html | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Lahusen | |
| ## TAGS | |
| Stalking | |
| Homophobie | |
| Hass | |
| Amtsgericht | |
| Bremen | |
| Schamanismus | |
| Stalking | |
| Twitter / X | |
| Twitter / X | |
| Diversität | |
| Homosexuelle | |
| Homophobie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Betrug über Spam-E-Mails: Miese Märchen | |
| Das ganze Jahr über spült uns das Internet merkwürdige Botschaften in den | |
| Spamordner. Darin wird an unsere Moral appelliert – damit wir weich werden. | |
| Stalking unter Nachbarn: Drei Zimmer, Küche, Psychoterror | |
| Familie Kirchenmayer war glücklich, als sie endlich eine Wohnung gefunden | |
| hatte. Bis sie Helga Zeller kennenlernte, die unter ihnen wohnte. | |
| Bremer Polizei räumt Fehlverhalten ein: Zyniker statt Freund und Helfer | |
| Eine junge Frau erstattet Anzeige wegen einer Morddrohung im Internet. Der | |
| Polizeibeamte nimmt sie nicht ernst – und ist mittlerweile suspendiert. | |
| Aggression auf Twitter: Don’t @ me, Arschloch | |
| Künftig sollen Nutzer*innen bei Twitter einstellen können, wer ihnen | |
| antworten darf. Ob das den Hass eindämmen wird, werden erst Tests zeigen. | |
| Diversitäts-Agentin über ihren Job: „Diversität muss normal werden“ | |
| Leyla Ercan setzt sich als Agentin für Diversität am Staatstheater Hannover | |
| für die interkulturelle Öffnung des Hauses ein. | |
| Abgelehnte schwule Asylbewerber: „Das ist reine Homophobie“ | |
| Behörden aus Bremen und Oldenburg weisen die Asylanträge dreier | |
| homosexueller Geflüchteter aus Ägypten und Pakistan ab. | |
| Homophobe Gewalt in Berlin: Dunkelfeld immer sichtbarer | |
| Das Anti-Gewalt-Projekt Maneo lobt die Polizei für Sensibilität im Umgang | |
| mit homophober Gewalt. 2018 zählte es erneut mehr Taten. |