| # taz.de -- Aggression auf Twitter: Don’t @ me, Arschloch | |
| > Künftig sollen Nutzer*innen bei Twitter einstellen können, wer ihnen | |
| > antworten darf. Ob das den Hass eindämmen wird, werden erst Tests | |
| > zeigen. | |
| Bild: Bevor bellende Hunde beißen: Hass und Gewaltandrohungen sind für viele … | |
| Neue Produkte und Innovation aus der Elektronik- und Digitalbranche werden | |
| gern am Anfang jedes Jahres in Las Vegas vorgestellt. Auf der | |
| International Consumer Electronics Show machen in diesem Jahr jedoch nicht | |
| nur die Gadget-Hersteller von sich reden, sondern auch der | |
| Kurznachrichtendienst Twitter. Bei einem Pressegespräch mit dem | |
| Vizepräsidenten Kayvon Beykpour [1][wurde ein Plan zur Änderung der | |
| Antwortoptionen auf dem Dienst angekündigt]. | |
| Zunächst testweise sollen Nutzer*innen die Möglichkeiten erhalten, bereits | |
| bei der Erstellung eines Tweets den Kreis der Antwortenden einschränken zu | |
| können. Entweder dürften wie gehabt alle anderen (außer geblockten Accounts | |
| selbstverständlich) Replies senden dürfen oder nur jene, denen man selber | |
| folgt. Noch reduzierter gäbe es die Variante, lediglich direkt | |
| angesprochenen Twitter*innen eine Antwort zu gestatten oder gleich gar | |
| niemandem. | |
| Zumindest für einige User*innen könnten diese selbstbestimmten | |
| Einschränkungen hilfreich sein, um Probleme bei der Nutzung von Twitter zu | |
| bewältigen. Und Probleme gibt es so einige. Das Konversationsgebaren einer | |
| großen Zahl der Nutzer*innen hat über die Jahre ein schlimmes Niveau | |
| erreicht. Dabei sind die Kaskaden persönlicher Beleidigungen, absichtlicher | |
| Missverständlichkeiten, abwertender Kommentare und anderer | |
| Niederträchtigkeiten nicht einmal der größte Anlass zur Sorge. | |
| Eine hohe Zahl an offenen Hassbotschaften, rassistischen, antisemitischen | |
| und sexistischen Angriffen auf liberale und linke Nutzer*innen, dazu mehr | |
| oder weniger verschleierte Gewaltaufrufe füllen die Timelines der | |
| Nutzer*innen. Das verbindet man vielleicht eher mit einem | |
| Mobilisierungstreffen enthusiastischer SA-Veteranen als mit der Idee | |
| eines sozialen Netzwerks. Die Moderationskriterien sind derweil vage und | |
| erscheinen in ihrer Umsetzung willkürlich. Postings mit den | |
| unbefriedigenden Antworten des Dienstes auf Beschwerden von Nutzer*innen | |
| über einschlägige Tweets gehören genauso zur Folklore auf Twitter wie die | |
| regelmäßige Sperrung selbst reichweitenstarker Accounts aus dem eher linken | |
| Milieu. | |
| ## Systemisch bedingter Fehler | |
| Zu nicht geringem Teil finden sich die Attacken auf User*innen in den | |
| Replies auf deren Tweets. Das Problem systematisch negativer Antworten ist | |
| dem Netzwerk so eigen, [2][dass es schon länger sogar statistisch | |
| beschrieben werden kann]. So lässt sich allein am Zahlenverhältnis zwischen | |
| Replies und Likes (respektive Retweets) das Ausmaß des Hasses ablesen. | |
| Dabei gilt die Faustregel, dass eine signifikant höhere Zahl an Antworten | |
| prinzipiell Ärger bedeutet. Erreicht das Verhältnis von Likes zu Replies | |
| die Dimension von 1 zu 10, kann man im Regelfall unbesehen von einem | |
| veritablen Shitstorm sprechen. | |
| Dieses Phänomen führt die Idee eines sozialen Netzwerks natürlich völlig ad | |
| absurdum. Menschen in freier Konversation miteinander zu verbinden, den | |
| Austausch von Ideen zu fördern, Toleranz und Verständnis zu stärken | |
| funktioniert auf Twitter ganz offensichtlich nicht sonderlich gut. | |
| Nutzer*innen die Möglichkeit zu geben, sich selber vor unmittelbar | |
| feindseligen Reaktionen auf ihre Aktivität abschirmen zu können und sich | |
| auf ihren Austausch mit zivileren Gesprächspartner*innen fokussiert zu | |
| halten, kann sicher eine vernünftige Hilfestellung sein. Ob dabei jedoch | |
| mehr als nur ein bestimmtes Symptom eines systemisch bedingten Fehlers | |
| gelindert wird, können erst die Tests zeigen, die noch im Laufe dieses | |
| Quartals ausgerollt werden sollen. | |
| Mindestens bis dahin bleibt Nutzer*innen, die Bedrohung und Hass ausgesetzt | |
| sind, nur die Option, den eigenen Account auf privat zu schalten oder | |
| Twitter gleich ganz zu verlassen und in beiden Fällen auf die Möglichkeit | |
| breiter öffentlicher Kommunikation zu verzichten. Eine andere Möglichkeit | |
| ist sicher immer die Organisation solidarischer Unterstützung, eine Art | |
| soziales Netzwerk im sozialen Netzwerk also. Obwohl der dafür nötige | |
| Aufwand vielleicht besser [3][in den Aufbau dezentraler Strukturen | |
| digitaler Kommunikation investiert wäre], deren Funktionalität mehr an den | |
| Interessen der Nutzer*innen ausgerichtet wird. Das wäre dann allerdings | |
| kaum ein Thema für die International Consumer Electronics Show in Las | |
| Vegas. | |
| 9 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://techcrunch.com/2020/01/08/twitter-is-testing-a-conversation-feature… | |
| [2] https://www.esquire.com/news-politics/news/a54440/twitter-ratio-reply/ | |
| [3] /Facebook-Alternative-Diaspora-waechst/!5007589 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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