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# taz.de -- Betrug über Spam-E-Mails: Miese Märchen
> Das ganze Jahr über spült uns das Internet merkwürdige Botschaften in den
> Spamordner. Darin wird an unsere Moral appelliert – damit wir weich
> werden.
Bild: Der Weg zum großen Geld ist nur einen Klick entfernt
In den Ländern, wo der Schamanismus wiederbelebt wird, so in der Mongolei,
beklagen sich die guten Schamanen über die bösen, die gegen Geld etwa den
Konkurrenten eines Geschäftsmannes auf magische Weise Schaden zufügen. Die
modernen Schadenzauberer machen das auf eigene Rechnung und per E-Mail, die
sie gleich an zigtausend Mailadressen schicken. Es sind Geschichten, die
überzeugen wollen, die wirken sollen. Sie erzählen Märchen, an deren Ende
immer ein Klumpen Gold auf einen wartet, wenn man ihre Mails öffnet, um
einen sagenhaften Gewinn einzustreichen.
So ermahnt mich der Justitiar der spanischen Lotteriegesellschaft fast
regelmäßig, ich solle endlich die 800.000 Euro, die mir gehören, „abrufen�…
Dabei habe ich dort nie Lotto gespielt – und öffne deswegen seine Mails gar
nicht erst. Dieser Schadenzauber geht also ins Leere. [1][Die Ethnologin
Jeanne Favret-Saada hat in den 1980er Jahren die noch praktizierte
„Schadensmagie“ im ländlichen Frankreich und ihre „kunstvolle Wendung ins
Unschädliche“ untersucht.] Dazu braucht es einen professionellen
„Unwitcher“. Heute genügt ein Mausklick, um sie zu „löschen“.
Die Geschichten müssen also immer besser werden. Eine anrührende von einer
„Naomi André“ beginnt so: „Guten Morgen, mit Tränen schreibe ich Ihnen
heute, Bitte ignoriere meine Nachricht nicht. Ich bete darum, dass meine
Entscheidung, Sie zu kontaktieren, echte Zustimmung findet, ich möchte eine
Investition und eine vertrauliche Geschäftsbeziehung mit Ihnen haben.“
Es geht darum, dass ihre Mutter starb und ihr Vater ermordet wurde, er
hinterließ ihr 4,5 Millionen Dollar. Sie will fliehen. Um an das Geld
heranzukommen, muss es ins Ausland überwiesen werden. Wenn ich mich bereit
erkläre, Empfänger zu sein, „gebe ich Ihnen 20% und die restlichen 80% für
meine Auslands-Investitionen.“ Die Mail endet mit der Versicherung: „Es
fällt nicht schwer, mir zu helfen. Ich warte darauf, von Ihnen zu hören.“
## Zurück auf die Erde
Diese Geschichte findet der Empfänger vielleicht peinlich, ein
Tränendrüsengeschäft. Eine Technikgeschichte stößt dagegen eher auf sein
Interesse, schon weil sie so absurd ist: „Streng vertraulich. Ich bin Dr.
Bakare Tunde, der Vetter des nigerianischen Astronauten Air Force Major
Abacha Tunde. Er war der erste Afrikaner im All.“ Es geht darum, dass der
Vetter 1988 noch einmal ins All flog, „mit Soyuz T-16Z zu der sowjetischen
geheimen militärischen Raumstation Salyut 8T. Dort strandete er in 1990,
als die Sowjetunion aufgelöst wurde.“
Und befindet sich noch heute da oben. Er will zurück auf die Erde, dazu
braucht es sehr viel Geld: „In den ganzen Jahren, die er auf der Station
ist, hat er an Gehalt und Zinsen fast 15.000.000 amerikanische Dollars
angesammelt. Dieses Geld ist in einem Treuhandfond der Lagos National
Savings and Trust Association. Wenn wir Zugriff auf dieses Geld bekommen,
können wir den russischen Raumfahrtbehörden eine Anzahlung für einen
Soyuz-Rückflug leisten, um ihn auf die Erde zurück zu bringen. Dies kostet
3 Millionen US-Dollars. Um auf seine Treuhandgelder zuzugreifen, benötigen
wir Ihre Unterstützung.“ Hier werden mir ebenfalls 20 Prozent angeboten.
„Natürlich setzen wir dabei enormes Vertrauen in Sie.“
Zur Magie dieses Spiels gehört: An einem Weltraumabenteuer teilnehmen. Und
dabei auch noch reich werden. Das wirkt schon deswegen auf „magische“
Weise, weil wir nie wirklich „modern“ waren, wie der Wissenssoziologe Bruno
Latour herausfand. Die Betrüger – früher Handarbeiter heute Kopfarbeiter –
erzählen Märchen zum Mitmachen, das macht aus ihnen Schadenzauberer: Wenn
du wissen willst, wie es weitergeht, musst du auf „Bestätigen“ klicken. Wir
befinden uns in einem „interkommunikativen Medium“, d. h. immer weiter
klicken – bis es zur nächsten „Bestätigung“ kommt, dass du eine bestimm…
Summe überwiesen hast, damit das „Geschäft“ vorankommt. Danach geht es ab…
weiter, immer weiter. Noch mehr Klicks.
## Eine Risikogeschäft, das sich lohnen soll
Einmal schickte Bernie Madoff, der 80-jährige Anlagebetrüger, der 2009
wegen Veruntreuung von 65 Milliarden Dollar zu 150 Jahren Haft verurteilt
worden war, eine Mail über seine Anwälte raus. Er bedauerte darin sein
Vergehen und wollte allen Geschädigten, aber auch mir, eine
Wiedergutmachung zukommen lassen: „Ich habe Millionen Euros in
Offshore-Finanzhäusern, es befindet sich auf einem Nummernkonto. 50% davon
soll für Wohlfahrtszwecke ausgegeben werden und 20%, um damit den Bau von
Kirchen und Moscheen mit zu finanzieren. Und 25% sind für Dich“ – also für
mich.
Angebote, in denen man bei einem bestimmten „Risikogeschäft“ 50 Prozent
bekommt, sind selten – so wie im richtigen Leben. Aber ein solches als
Schadenzauber, der im Wochentakt aufblinkt und mit einem Batzen Geld winkt,
macht einem auf Dauer schlechte Laune, denn es geht dabei immer um das
Eine. Das haben diese Geschichten mit Pornos gemein. „Hallo. Ihre
E-Mail-Adresse wurde zufällig mit einem ‚Computer Spinball‘ ausgewählt, um
eine Geldspende von Katharina Hedwig Muller (KHM Foundations) zu erhalten.
Bitte bestätigen Sie den Besitz Ihrer E-Mail.“
Oder: „Herzliche Glückwünsche: Ihre E-Mail hat Ihnen als Community die
Summe von 2 Millionen Euro eingebracht Spende von Oxfam Aid, für weitere
Informationen kontaktieren Sie uns mit Ihrer Qualifikationsnummer (OXG /
111/461/BDB) so bald wie möglich.“ Oder „Bangkok Bank Public Company. Wir
sind dabei, die Zahlung für die beigefügte Rechnung auf Anweisung unseres
Kunden vorzunehmen. Wir haben jedoch festgestellt, dass der Kontoname nicht
mit dem Namen Ihres Unternehmens übereinstimmt … Bitte bestätigen Sie so
schnell wie möglich. Grüße Masnaini Rusli.“
## Wer ist Robert?
Bei den Geschichten der Erzähler solcher Märchen, die man jederzeit in sein
Leben hinein verlängern könnte (wenn man nur wollte), gibt es ebenso
Konjunkturen wie bei der Namensmagie der Passwörter. Derzeit mehren sich
natürlich Corona-Geschichten – wie z. B. diese: „Hallo, Ihr COVID-19-Antrag
für Finanzhilfefonds in Höhe von 800.000,00 US-Dollar enthält weitere
Informationen zur Einreichung Ihrer Antwortanträge. Die Mittel werden
innerhalb der nächsten Stunden freigegeben. Dein, Sir, Desmond Williams.“
Die Suche nach ihm im Internet war vergeblich, es gibt zu viele Desmond
Williams, mit und ohne Sir und weil ich kein Spam-Kritiker werden will,
brach ich die Suche nach ihm bald ab. Ohnehin war es eine lieblos dahin
erzählte Kurzmail, die einen nur für Sekunden aufmerksam machte.
Schwieriger ist das Wegklicken bei all den Mitmach-Märchen, die ein
moralisches Problem ins Spiel bringen, indem sie so konkret wie möglich
werden: Mich namentlich anreden und am Ende „Dein alter Kumpel Robert“
schreiben. Kenn ich einen Robert? Wer könnte das sein? Dieser Robert, so
schreibt er jedenfalls in seiner „Notmail“, steht ausgeraubt und hilflos am
Flughafen London und bittet um eine schnellstmögliche Überweisung von 340
Euro. Nun bin ich in London zwar auch schon mal ausgeraubt worden, aber wer
ist denn bloß dieser Robert? Löschen!
## Einfach nur ein Egoist
Der am Flughafen gestrandete geht einem aber noch eine Weile nicht aus dem
Kopf: versuchter Betrug oder unterlassene Hilfeleistung? Als Schadenzauber
ließe sich diese Geschichte bestimmt noch moralischer ausgestalten. So wie
die Fortschritte in der Medizin zu einer immer größeren Wehleidigkeit
geführt haben, stumpft man umgekehrt im Internet gegen die ganzen
Moralmails ab, und wenn es dabei um Geld geht, wittert man sofort
Schadenzauber. Vor allen Dingen, wenn dann später auch noch „Notmails“ von
„Jens“ und von „Uwe“ kommen, die ebenfalls hilflos im Londoner Flughafen
auf eine Geldanweisung von mir – ihrem „Kumpel“ – warten.
Es handelt sich bei diesen „betrügerischen Gewinnversprechen“ (Not lindern,
Freundschaft) um eine Zwickmühle: Geld oder Unmoral. Geld überweisen, guter
Mensch sein; kein Geld überweisen, böse, egoistisch. Und das sind erst die
Anfänge dieser intelligenten (Erzähl-)Technik. IT-Experten gehen davon aus,
dass sich ein großer Teil aller E-Mails, die sekündlich auf der Welt
verschickt werden, darunter auch die vielen zwischen Paaren, argumentativ
in dieser „Zwickmühle“ bewegen.
27 Dec 2020
## LINKS
[1] https://books.google.de/books/about/Deadly_Words.html?id=yFeuQgAACAAJ&r…
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Schamanismus
Betrug
Spam
Online-Dating
Stalking
Online-Shopping
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