# taz.de -- Donaufestival - Prominenz in der Provinz: Rhizome im Weinberg | |
> Wem Wien zu fad ist, kann immer noch aufs Land fahren. Das Donaufestival | |
> in Krems probt den Einbruch der Kunst in unmarkiertes Gelände. | |
Bild: John Cale und das "Femous Orchestra" gastierten auf dem Donaufestival. | |
Wie geht das eigentlich, avancierte kulturelle Praxis ohne Metropole? Das | |
niederösterreichische Donaufestival setzt an zwei verlängerten Wochenenden | |
des Jahres das pittoreske Weinbaustädtchen Krems und seine 24.000 | |
Bewohnerseelen einem kunstpolitischen Feldversuch aus, der die Hierarchie | |
von Zentrum und Peripherie als ein Ordnungsmodell des 20. Jahrhunderts zu | |
verabschieden sucht. Wirklich von überregionaler Bedeutung ist in Krems | |
bislang nur der Hochsicherheitsknast im Ortsteil Stein. Aber nebenan in | |
einem alten Fabrikgebäude leistet sich die Landespolitik immerhin eine | |
Kunsthalle, in der kollaborierend mit dem Festival Jonathan Meese predigte | |
und ausstellt. Ein paar Häuser weiter in der säkularisierten | |
Minoritenkirche feierte der derzeit in aller Munde befindliche James Blake | |
eine Andacht ans Heilige Selbst. | |
Mit dem diesjährigen Motto "Nodes, Roots & Shoots" sucht Festivalleiter | |
Tomas Zierhofer-Kin Anleihen beim guten alten Rhizom, um seine Programmatik | |
der nichthierarchischen und teilredundanten Verknüpfungen zwischen Pop, | |
Bildender Kunst und Performance anzukündigen. In diesem Nährboden soll eine | |
neue Avantgarde austreiben und sich festschlingen, wo keiner sie vermutet. | |
Wenn das kleinstädtische Alltagsleben die Bürgersteige hochklappt und noch | |
nicht einmal Busse mehr fahren, sind hier Konzerte zu hören, Ausstellungen | |
und Performances zu sehen, die die Hauptstadt nicht, nur eingeschränkt oder | |
noch nicht bietet. | |
Wer derzeit in Wien etwas von James Blake, Laurie Anderson, Lydia Lunch, | |
Dries Verhoeven oder Gisèle Vienne mitkriegen möchte, muss sich die | |
Abfahrtszeiten von Shuttlebussen merken oder 70 Kilometer in Richtung | |
Westen deren Spur folgen. Das ruft bisweilen vergessen geglaubte | |
Rezeptionsmuster wach. Der Anruf von Freunden - "Sag, fährst du am | |
Donnerstag nach Krems?" - will heißen: Kann ich bei dir mitfahren und Bier | |
trinken, während du bei Mineralwasser wach bleibst? Das erinnert an | |
entbehrungsreiche Jugendzeiten, in denen gelegentliche Fahrgemeinschaften | |
in die nächste Dorfdisco gebildet wurden. | |
## Bass trifft Schnitzel | |
Das Ambiente führt solche Assoziationen dann auch fort. Das Festivalzentrum | |
in den Messehallen in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem | |
Zweitligafußballplatz verströmt die Aura von Turnfesten und | |
Landmaschinenausstellungen in den 70er Jahren. Die Avantgarde findet statt | |
bei Bier und "Harry's" Schnitzelsemmel, die im Laufe des Abends auch von | |
hartgesottenen Gemüsekiste-vom-Biohof-Abonnenten gierig reingezogen wird. | |
Der Genius loci verändert die körperliche Wahrnehmung. Ben Frost ist auf | |
seiner langen Bildungsreise zwischen Melbourne und Island auch in Krems | |
vorbeigekommen. Zwischen blauwalerschreckender Tiefbassdröhnung und der | |
praktischen Erprobung seiner ästhetischen Theorie der Maschinen greift | |
seine Musik den Hörer physisch an. Die Schnitzelsemmel könnte ein Fehler | |
gewesen sein. | |
Tatsächlich zum Speien war tags darauf die gute Stunde mit John Cale. Er | |
war wohl aufgerufen als einer der Kirchenväter jener Popavantgarden, denen | |
das Donaufestival seinen Distinktionsgewinn verdankt. Sein Auftritt im Kilt | |
schien zunächst cool, blieb ohne Strümpfe dann aber so lächerlich wie die | |
musikalische Seite. Eitler weißer Männer-Rock durchsetzt mit dem Ennui | |
darüber, im fortgeschrittenen Alter noch ans Geldverdienen denken (zu | |
müssen). Der ganze Auftritt war gleich in doppelter Weise weiblich umflort, | |
einmal vier Babes mit Gesang, dann vier Babes mit Saxofon und | |
Blechinstrumenten. Die Mitbeteiligten hören sonst auf den Namen "Femous | |
Orchestra" und waren in ihrem eigenen Programm dazu angetreten, das | |
männlich-weiße Popsubjekt und die Naturwüchsigkeit seiner Leiden zu | |
dekonstruieren. | |
## Geschichte lehren | |
Trotz dem Ärger über Cale ist das Programm von Tomas Zierhofer-Kin | |
schlüssig, wenn er jene Pop-Fraktion, die sich mit Avantgarde-Strategien | |
plagt, Geschichte lehren möchte. Laurie Anderson und ein Reenactment von | |
Lydia Lunchs "Queen of Siam" werden es kommendes Wochenende besser | |
ausfechten. | |
Die eigentliche Qualität des Festivalkonzepts zeigte sich beim | |
Performance-Duo Gintersdorfer/Klaßen, die mit afrikanischen Performern | |
zusammenarbeiten und ein Festival in Abidjan, der größten Stadt der | |
Elfenbeinküste, initiiert hatten. Zwei Tage lang konnten sie im | |
bürgerhausartigen Stadtsaal ihre Erkundungen aus Abidjan und den | |
Randbezirken von Paris als Opus magnum vorstellen. Da ließen die Dehnung | |
von Zeit und die Auffächerung von Erfahrungsmöglichkeiten die Dinge über | |
die immer rigideren Formate in den städtischen Reservaten des freien | |
Theaters hinauswachsen. Lobt die Provinz, denn sie ist dick und langsam! | |
5 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Mattheiss | |
## TAGS | |
Oper | |
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