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# taz.de -- Solidarität mit Enissa Amani: Der öffentliche Kampf
> Um junge Menschen vor rechter Ideologie zu schützen, müssen Idole
> solidarischen Protest vorleben. Enissa Amani tut das, verpasst aber eine
> Chance.
Bild: Enissa Amani in einer Fernsehtalkshow 2018
Drastische Zeiten erfordern drastische Maßnahmen. [1][Während wir mit
voller Wucht in der vierten Welle gelandet sind], viele von uns irgendwo
zwischen Isolation, Überarbeitung und Todesangst festhängen, rennen da
draußen seit gut zwei Jahren [2][rechte Verschwörungstheoretiker] herum und
mobilisieren munter Leute dazu, sich gegen die „Coronadiktatur“
aufzulehnen. Nicht selten sind es verunsicherte junge Menschen, die
vergeblich versuchen, sich einen Reim auf das unentschlossene Hin und Her
der Coronapolitik zu machen und bei Querdenkern einfache Antworten auf
ihre Fragen erhalten.
Die Politisierung einer ganzen Generation Jugendlicher und junger
Erwachsener fällt mit der Pandemie zusammen. Es ist eigentlich kaum
verwunderlich, wenn einige von ihnen es als radikalen Akt des politischen
Protests missverstehen, wenn selbst ernannte Freiheitskämpfer sich gegen
das Impfen und Masketragen aussprechen. Weil sie sich trotz
gesellschaftlicher Ächtung „gegen das System“ stellen (und dabei sämtliche
Mitmenschen in Lebensgefahr bringen). Es müssen also dringend andere
Möglichkeiten des politischen Widerstands sichtbar werden in populären und
zugänglichen Räumen. Und zwar Protestformen, die aus Solidarität entstehen
und sich tatsächlich gegen systematische Unterdrückung richten.
In diese Stimmung platzt also die Nachricht von Enissa Amani wie eine
Bombe. Die Komikerin und Aktivistin [3][erklärte am Montag] ihren eine
Million Followern auf Instagram, dass in den nächsten Tagen [4][ein
Haftbefehl gegen sie ausgestellt werde]. Amani wurde wegen Beleidigung des
bayerischen AfD-Politikers Andreas Winhart verurteilt und weigert sich, die
Geldstrafe von 1.800 Euro zu bezahlen. In einem Videostatement erklärte
Amani die Sachlage und bat ihre Fans, ihr ihre Gedanken und Meinungen
zukommen zu lassen, ob sie es für richtig halten, dass Amani, statt zu
bezahlen, für 40 Tage ins Gefängnis gehen wolle, um ein Zeichen zu setzen.
Was nach dem Erörterungsthema einer Klassenarbeit klingt, ist Amanis
bitterer Ernst: Sie sehe es zwar ein, dass man für Beleidigungen rechtlich
belangt und bestraft werden müsse (Amani hatte Winhart einen „Bastard“
genannt). Doch sei es ihr unbegreiflich, dass Winhart, der für seine
rassistischen Aussagen in einer öffentlichen Rede, wo unter anderem das
N-Wort fiel und Geflüchtete für HIV und Krätze verantwortlich gemacht
wurden, trotz mehrerer Anzeigen wegen Volksverhetzung straffrei bleibe. Um
gegen diese Entscheidung des Verfassungsgerichts zu protestieren, wolle
Amani die für sie nach eigenen Angaben lächerlich geringe Geldstrafe nicht
bezahlen.
Korrektester Move, bis hierhin: Die eigenen Privilegien nutzen für
aktivistische Zwecke. Niemand würde sich für eine Unbekannte aus prekären
Verhältnissen interessieren, die in den Knast muss. Für Amani aber
interessiert man sich. Fans schreiben Kommentarspalten voll, die halbe
Medienlandschaft diskutiert mit. Es ist ein mutiger und kluger Akt, der
meinen größten Respekt verdient.
Aber es hätte auch ein enorm politisierender sein können für so viele
Menschen, wenn Rassismus nicht auf schlimme Parolen reduziert würde:
[5][Amani erklärt auf Twitter] das systematische Level dieser Geschichte,
„das deutsche Rechtssystem“, zu einem der „besten der Welt“. Wozu? Warum
misst man ein Rechtssystem an anderen und nicht an dem, was es vorgibt zu
sein? [6][Oury Jalloh] wurde in einer deutschen Gefängniszelle ermordet.
[7][Achidi John] und [8][Laya-Alama Condé] starben ebenfalls in Gewahrsam.
Warum wurde niemand verurteilt? Damit verpasst Amani leider die Chance,
Leuten begreiflich zu machen, dass das, womit sie sich gerade
auseinandersetzen muss, kein Ausrutscher in einem sonst perfekten System
ist.
19 Nov 2021
## LINKS
[1] /Coronalage-in-Ostdeutschland/!5812594
[2] /Verschwoerungsmythen-und-Corona/!t5015225
[3] https://www.instagram.com/p/CWTxDnkFWSI/
[4] /Enissa-Amani-will-ins-Gefaengnis/!5816261
[5] https://twitter.com/enissaamani/status/1460252031013244932?s=20
[6] /Oury-Jalloh/!t5024194
[7] /Hamburger-Folteropfer-Achidi-John/!5797300
[8] /Mahnmal-fuer-Laye-Conde/!5693524
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Kolumne Red Flag
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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Protest
Solidarität
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