Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutsch-türkische Beziehungen: 60 Jahre Komplizenschaft
> Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei war unter Kanzlerin
> Angela Merkel toxisch. Auch nach ihrer Amtszeit wird es wohl so
> weitergehen.
Bild: 16 Jahre kühle Beziehungen gepflegt: Merkel beim Abschiedsbesuch in Ista…
Okay, dass Angela Merkel kurz vor dem Ende ihrer 16-jährigen
Kanzlerinnenschaft [1][auf Abschiedsreise nach Ankara gereist ist],
überrascht wenig. Mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan hat die Kanzlerin
stets eine kühl anmutende, aber politisch doch recht wohlwollende Beziehung
gepflegt. Erdoğan, der Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz letzte
Woche seine „Freundin“ nannte, hat während der Merkel-Jahre die Türkei zu
einer De-facto-Autokratie umgebaut. Dabei konnte er, trotz gelegentlicher
Kritik an Menschenrechtsverletzungen, immer auf Waffen aus Deutschland
bauen.
Merkels Abschiedsbesuch in Ankara lässt sich aber zugleich als Warnsignal
verstehen. Denn die toxische Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei
wird mit Merkels Amtszeit wohl nicht enden. Das Flüchtlingsabkommen mit der
EU soll weitergeführt werden. Auch wenn Erdoğan eine indirekte
Wahlempfehlung für Laschet ausgesprochen hatte – die Ampelkoalition wird
sicher nichts dagegen haben, „illegale Migration“ durch ein paar Milliarden
Euro an die Türkei zu unterbinden.
Spätestens bei den nächsten Türkei-Wahlen dann wird die hiesige Presse
[2][wieder bestürzt feststellen, wie viele wahlberechtigte
Deutschtürk_innen ihre Stimme der antidemokratischen AKP geben.] Sollte
Erdoğan im eigenen Land tatsächlich nur noch auf 30 Prozent kommen, wie es
Umfragen nahelegen, wird sein Stimmenanteil bei den Deutschtürk_innen
erwartungsgemäß höher liegen. Zum einen, weil Wähler_innen in der Diaspora
nicht jenen Problemen ausgesetzt sind, unter denen die dortige Bevölkerung
leidet (Inflation, Arbeitslosigkeit). Zum anderen, weil die Stimme an die
AKP oder ihren ultrarechten Koalitionspartner MHP auch Ausdruck einer
Ideologie ist, an deren Verbreitung und Verfestigung hierzulande die
Bundesregierung nicht unschuldig ist.
## Rechte Strukturen bauten sich auf
Zufällig feiert gerade auch das Anwerbeabkommen mit der Türkei
60-jähriges Jubiläum. Mit ihm kamen ja nicht nur Arbeiter_innen,
sondern auch politische Subjekte. „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein
nationalistischer Staat. Die dort lebenden Deutschen, sind, genau wie wir
Türken, Nationalisten und Feinde des Kommunismus,“ [3][erklärte eine
türkische Broschüre in den 1960ern den neu ankommenden Arbeiter_innen]. Und
so waren es während des Kalten Kriegs vor allem linke
Migrant_innenorganisationen, die in der BRD kritisch beäugt wurden. Rechte
bauten indessen munter ihre Strukturen auf und wurden gar von deutschen
Politiker_innen unterstützt.
„Graue Wölfe gibt es nicht einmal in der Türkei“, zitiert die taz 1980 den
Leiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes, der keine rechtsextremen
Tendenzen in der türkischen Community seines Bundeslandes erkennen konnte.
„Dagegen führt der Staatsschutz in seinen schwarzen Listen über 20.000
Mitbürger aus der Türkei als linksextremistische Verfassungsfeinde, die (…)
eine schwere Bedrohung der inneren Sicherheit darstellen“, heißt es weiter.
Zwei Jahre zuvor lud der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß den
Chefideologen der Grauen Wölfe, Alparslan Türkeş, zur Audienz nach München
ein. Kurz darauf sprossen die sogenannten Idealistenvereine, in denen sich
die rechtsextremen Grauen Wölfe organisierten, nur so aus deutschem Boden.
Nachwirkungen dieser Politik sind heute noch spürbar in der exzellenten
Vernetzung rechtsextremer Vereine. Auch wenn Forderungen nach einem Verbot
der Grauen Wölfe lauter werden, ist der ihnen nahe stehende Dachverband
Atib Mitglied im Zentralrat der Muslime und somit direkter Ansprechpartner
der Bundesregierung. Die Kriminalisierung linker, vor allem kurdischer
Aktivist_innen reicht indessen weiterhin von Ankara bis Berlin. Das sind
die Früchte der 60-jährigen Komplizenschaft, die mit der Merkel-Ära nicht
enden wird.
24 Oct 2021
## LINKS
[1] /Merkel-Besuch-in-der-Tuerkei/!5808279
[2] /Gastkommentar-Wahl-der-Deutschtuerken/!5512743
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Wie_geht_man_als_Arbeiter_nach_Deutschland%3F
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Kolumne Red Flag
Türkei
Graue Wölfe
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Schwerpunkt Angela Merkel
Recep Tayyip Erdoğan
GNS
Graue Wölfe
IG
Putschversuch Türkei
Kolumne Red Flag
Migration
Türkei
Schwerpunkt Rassismus
Ausstellung
Kolumne Transit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rechtsextreme „Graue Wölfe“: Hass aus 3.000 Kilometern
Der kurdischstämmige Politiker Civan Akbulut erhält Morddrohungen im
Internet. Er ist nur eines von vielen Opfern. Taz-Recherchen führen in die
Türkei.
Geplantes Archiv zu Rechtsterrorismus: Die klaffende Lücke
Die Ampel möchte ein Archiv unter anderem mit NSU-Akten einrichten. Damit
es kein Symbol bleibt, müssen endlich Aufklärungslücken geschlossen werden.
Repressionen in der Türkei: 23 Jahre Haft für Enver Altaylı
Wegen angeblicher Spionage und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation
ist Enver Altaylı verurteilt worden. Er sitzt seit 2017 in der Türkei in
Haft.
Abtreibungen in Deutschland: Ein ideologisches Kampffeld
Abtreibungsverbote wirken aus der Zeit gefallen, doch sie bestehen
weiterhin, nicht nur in Polen. Selbst wenn sie das Leben der Schwangeren
gefährden.
Anwerbeabkommen: In mehreren Heimaten zu Hause
60 Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei: Nach Berlin
kamen viele Arbeitsmigrant*innen – und blieben.
Diplomatische Eskalation in der Türkei: Erdoğan will Botschafter ausweisen
Der türkische Staatschef reagiert auf Diplomaten, die sich für den
inhaftierten Osman Kavala einsetzen. Hintergrund dürfte die Währungskrise
sein.
60 Jahre Migration aus der Türkei: „Es heißt immer ‚du als Türke‘“
Der Künstler Adem Şahantürk erzählt übers Aufwachsen in Bremen als Kind
türkischer Gastarbeiter. Ein Gespräch über Rassismus, Religion und
Graffiti.
Ausstellung zu Fotograf Ergun Çağatay: Deutsch-türkische Wirklichkeit
Der Fotograf Ergun Çağatay fotografierte 1990 in deutschen Städten. Nach 60
Jahren Anwerbeabkommen zeigt sie jetzt das Ruhr Museum in Essen.
60 Jahre deutsch-türkisches Abkommen: Von Gastarbeitern und Immigranten
Dieses Jahr ist der sechzigste Jahrestag des deutsch-türkischen
Anwerbeabkommen. Seit 1961 waren reichlich Rückzugsgefechte zu beobachten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.