| # taz.de -- Kretschmer, AfD und Rechtsterrorismus: Die Irren und Gleichgültige… | |
| > Ein Blick nach Sachsen genügt, um sich deutsche Arroganz wegen der Wahl | |
| > Trumps zum US-Präsidenten abzuschminken. Dort wird mit Rechten | |
| > gekuschelt. | |
| Bild: Mehrere mutmaßliche Rechtsterroristen aus Sachsen werden am 5.11. zum Er… | |
| Es gibt Tage, da trage ich die Gespräche fremder Menschen stundenlang mit | |
| mir herum. Ich schnappe ihre Gesprächsfetzen im Vorbeigehen auf und | |
| rätsele, worüber das Paar in der U-Bahn oder die Jungs im Café wohl | |
| gesprochen haben. In diesen Tagen gibt es wenig zu rätseln. Worüber die | |
| Menschen sprechen, ist auch ohne Kontext nicht schwer zu erraten. | |
| „Die sind doch im Fiebertraum da drüben auf der anderen Seite“, höre ich … | |
| Mittwoch Vormittag im Wartezimmer meiner Hausärztin einen hustenden Rentner | |
| zu seiner Nebensitzerin sagen. Im Späti vor mir sagt eine Frau beim | |
| Tabakkaufen: „Selbst schuld, wenn sie freiwillig so einen Horrorclown | |
| wählen.“ Und an einer roten Ampel sagt ein Radfahrer resigniert zum | |
| anderen: „Ich glaub, das war’s mit der Demokratie.“ [1][An Donald Trump | |
| kommt] man auch im deutschen Alltag gerade nicht vorbei. Nicht einmal die | |
| [2][dramatische Trennung zwischen Kanzler Scholz und Finanzminister | |
| Lindner] kommt dagegen an. | |
| Aus den Sprachfetzen höre ich vor allem eines: Entsetzen. Auch wenn alle | |
| wussten, dass es wieder passieren kann, scheinen die meisten schockiert, | |
| dass in den USA erneut ein verurteilter Sexualstraftäter, | |
| Verschwörungserzähler und Rassist zum Präsident gewählt wurde. Auch mich | |
| schockiert es. Doch neben dem Entsetzen klingt in den Gesprächen noch etwas | |
| anderes mit: etwas moralisch Überlegenes. Als seien Faschismus und rechte | |
| Ideologien ein Problem der Amerikaner*innen, mit denen wir liberale | |
| Europäer*innen nichts zu tun hätten. Als könnte so etwas bei uns nicht | |
| passieren. | |
| Und ja, noch ist so einer wie Trump nicht Chef dieses Landes. Doch die | |
| moralische Überlegenheit steht uns nicht gut. Denn stehen wir in Europa | |
| wirklich so viel besser da mit Kickl, Le Pen, Meloni und Orbán? | |
| ## Gefährliches Grundrauschen | |
| Um zu sehen, wie weit die Rechten vorgerückt sind, braucht es keinen Blick | |
| in die Nachbarländer. Auch hierzulande sind sie längst da. Das haben | |
| spätestens die ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Jahr gezeigt. Und sie | |
| sind gekommen, um zu bleiben. Nur scheint das kaum jemanden mehr zu | |
| schockieren. Der große Protest ist zumindest bislang ausgeblieben. Und die | |
| Spielchen der Kameraden inner- und außerhalb der Parlamente sind längst zu | |
| einem gefährlichen Grundrauschen geworden. | |
| Nur so ist es zu erklären, wie es eine Randnotiz bleiben konnte, dass sich | |
| Sachsens amtierender [3][Ministerpräsident Michael Kretschmer diese Woche | |
| mit AfD-Chef Jörg Urban] zum Gespräch getroffen hat. Und das mitten in | |
| einer schwierigen Sondierungszeit. Worüber die beiden gesprochen haben, | |
| wollen sie nicht näher erläutern. Solche Gespräche im Hinterzimmer mit dem | |
| Vorsitzenden einer Partei, die der Verfassungsschutz als gesichert | |
| rechtsextrem einstuft, sollten uns beunruhigen. | |
| Und noch viel mehr, dass am gleichen Tag acht Neonazis bei Razzien in | |
| Sachsen festgenommen wurden. Es sind mutmaßliche Rechtsterroristen, die | |
| eine Gesellschaft nach nationalsozialistischem Vorbild errichten wollen: | |
| mit einem eigenen Staatsgebiet in Ostdeutschland, der „Ausrottung“ von | |
| jüdischen und migrantischen Menschen – und auch von einem „Holocaust“ | |
| sollen sie fantasiert haben. Teile der „Sächsischen Separatisten“ sind | |
| AfD-Politiker, [4][andere posierten auf einer Veranstaltung der Jungen | |
| Alternative mit dem Faschisten Björn Höcke]. | |
| Nun könnte man hoffen, dass in einer normalen Woche ohne Trump und | |
| Ampelcrash diese Nachrichten stärker durchgedrungen wären. Doch selbst dann | |
| ist es unwahrscheinlich, dass die Gespräche auf den Straßen, in den Cafés | |
| und in den U-Bahnen durch die Angst und den Kampf gegen Rechte und | |
| Faschisten bestimmt wären. Denn die scheinen uns vor allem dann zu | |
| interessieren, wenn sie ganz weit weg sind. Da drüben bei den Irren auf der | |
| anderen Seite des Atlantiks. | |
| Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, | |
| dass uns Hinterzimmergespräche mit Menschen aus rechtsextremen Parteien | |
| beruhigen sollten. Das Gegenteil ist der Fall. Danke für die Hinweise! | |
| 8 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Carolina Schwarz | |
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