# taz.de -- Extremisten wollen Agrarproteste kapern: Achtung, Bauern von rechts | |
> Zur Blockadeaktion gegen Wirtschaftsminister Habeck hatten auch | |
> Rechtsextreme mobilisiert. Der Bauernverband geht nur lasch gegen | |
> Unterwanderung vor. | |
Bild: Demonstranten mit Traktoren und Lkws in der Nähe des Fähranlegers, an d… | |
BERLIN taz | Als es zur Rangelei kommt, ist es schon dunkel im Hafen | |
Schlüttsiel in Schleswig-Holstein. Nur schemenhaft erkennt man auf Videos, | |
wie eine Gruppe in vornehmlich dunklen Jacken in Richtung der Fähre drängt. | |
Es sind rund 30 Menschen, sie füllen die Anlegerbrücke. Unter ihnen schäumt | |
das Wasser, oben schäumt die Wut. Im grellen Licht des Schiffsscheinwerfers | |
leuchten nur die gelben Westen einiger Polizisten, die sich der Gruppe | |
entgegenstellen. Sie schützen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf | |
dieser Spontan-Demonstration von [1][Landwirt*innen] gegen die von der | |
Bundesregierung geplanten Subventionskürzungen. Der Grünen-Politiker will | |
an diesem Donnerstag mit der Fähre gerade von einem Urlaub von der Hallig | |
Hooge zurückkehren. | |
Die Gruppe hat es auf Habeck abgesehen. [2][Polizei] und Reederei werden | |
später mitteilen, dass der Mob die Fähre stürmen wollte. Polizist*innen | |
bilden eine Reihe, schubsen einzelne Protestierende immer wieder zurück, | |
eine Sirene heult auf, irgendwann sieht man einen Strahl einer Flüssigkeit | |
in Richtung der Menge spritzen – die Polizei musste nach eigenen Angaben | |
Pfefferspray einsetzen. | |
Habeck hat zuvor noch ein Gespräch mit Vertreter*innen der | |
Protestierenden angeboten. Doch die aggressive Menge lehnt ab. Die Fähre | |
muss wieder ablegen, erst in der Nacht kann Habeck an Land gehen. Nun wird | |
wegen Nötigung und Landfriedensbruch gegen Unbekannt ermittelt. | |
Der Protest der Bauern weist Verbindungen ins rechtsextreme Milieu auf und | |
kann gewalttätig werden, das zeigte sich auch in Schlüttsiel. Rechtsextreme | |
versuchen, die Bauernproteste für sich zu nutzen – um die Ampelkoalition | |
und das „System“ zu stürzen. Sie mobilisieren für die Protestwoche, die d… | |
Deutsche Bauernverband am Montag starten will. Er hält an ihr fest, obwohl | |
die Bundesregierung ihm entgegengekommen ist. Sie will nun die | |
KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge doch nicht abschaffen | |
und den Steuerrabatt auf Agrardiesel lediglich stufenweise bis 2026 | |
streichen. | |
## Inhalte der „Identitären Bewegung“ | |
Bevor laut Polizei bis zu 300 Menschen an den Fähranleger kamen und rund | |
100 Traktoren auffuhren, hatte es Aufrufe in sozialen Medien gegeben. Unter | |
anderem ein Post im Telegram-Kanal „Freie Schleswig-Holsteiner“ forderte am | |
frühen Nachmittag dazu auf, in Schlüttsiel zu protestieren. Der Kanal hat | |
fast 6.000 Abonnent*innen und ist inspiriert von der vom | |
Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei „Freie Sachsen“. | |
Ein eigener Versand des Telegram-Kanals zeigt auf T-Shirt-Motiven das | |
bekannte ideologische Arsenal der Querdenker-Szene: Hass auf Grüne, Hass | |
auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Freundschaftsbekenntnisse zu | |
Russland sowie szeneübliche Kürzel wie die „NWO“. Die Abkürzung steht f�… | |
die antisemitisch grundierte Verschwörungsideologie einer „Neuen Welt | |
Ordnung“, bei der eine globale Elite angeblich an einer heimlichen | |
Weltregierung feile. | |
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein erwähnt den | |
Telegram-Kanal in seinem Bericht für das Jahr 2022 unter der Kategorie | |
„Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, die nach den | |
Coronaprotesten neu geschaffen wurde. Laut der Behörde ist der | |
Telegram-Kanal von Beginn an „als größte Stimme der Protestbewegung | |
aufgetreten“, wobei es zuletzt zu einer thematischen Verschiebung gekommen | |
sei: Jedes Thema sei aufgegriffen worden, „das auch nur im Ansatz geeignet | |
schien, Empörung zu erzeugen“. Nach der Hochphase der Pandemie lautete | |
demnach die pauschale Forderung, die Regierung komplett abzusetzen. | |
Eigentlich verbreitet der Kanal beispielsweise Inhalte von Martin Sellner | |
weiter, einem Anführer der rechtsextremen Identitären Bewegung, Videos des | |
rechten US-Influencers Tucker Carlson oder Beiträge zur AfD, die deren Kurs | |
als zu wenig radikal kritisieren. Einige der Nachrichten zeigen nun aber | |
auch einen Bezug zu den Bauernprotesten. | |
Am Donnerstag berichtete der Kanal für seine Abonnent*innen am frühen | |
Abend fast live mit Videos und Bildern von der Protestaktion gegen Habeck | |
und von Rangeleien mit der Polizei am Fähranleger in Schlüttsiel. „Die | |
Bauern bereiten den Empfang“, heißt es unter einem Video eines | |
Trecker-Konvois am Deich. „Habek (sic!) wird mit Feuerwerk zurück ins Watt | |
geschickt“, so der Kommentar unter zwei Fotos. | |
## „National. Revolutionär. Sozialistisch“ | |
Auch bei der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ kennt man derzeit vor | |
allem ein Thema: die Bauernproteste. Unter Bildern von moosgrünen Flaggen | |
mit dem Eichenlaub-Logo der Partei und T-Shirts mit dem Slogan „National. | |
Revolutionär. Sozialistisch“ wirbt die Internetseite der Rechtsextremen für | |
die Protestwoche der Bauern. „Stoppt die Volksverräter!“ steht auf der | |
Homepage, daneben die schwarze Fahne der gewalttätigen Landvolk-Bewegung | |
aus den 1920er Jahren mit Pflug und blutrotem Schwert, die als ein | |
Wegbereiter der NSDAP gilt. „Wir von der Partei ‚Der III. Weg‘ werden uns | |
selbstverständlich nach unseren Möglichkeiten an den Aktionen beteiligen“, | |
kündigte die Gruppierung an. Auch die AfD, „Die Heimat“ (die frühere NPD), | |
die „Freien Sachsen“, auch die rechtsoffene Querdenker-Partei „die Basis�… | |
solidarisieren sich mit den Protesten. | |
In diversen Telegram-Gruppen wird für eine lange Reihe von Protestaktionen | |
am Montag aufgerufen, die Rede ist von einem „Generalstreik“, ganze | |
Branchen hätten zugesagt, sich an den Protesten der Landwirte zu | |
beteiligen. Die Gruppe „Landvolk schafft Verbindung“ beispielsweise gibt es | |
bereits seit Juli 2020, heute hat sie gut 6.500 Mitglieder. „Wenn eine | |
Regierung Scheiße baut, gehört sie abgesetzt!“, heißt es hier, unter dem | |
Hashtag: DeutschlandErblüht. Es gehe darum, die „grüne Welle zu brechen, | |
bevor sie uns bricht“, der Regierung wird angeboten, „auf den Pfad der | |
Vernunft zurückzukehren“, andernfalls müsse sie abgesetzt werden. Ständig | |
werden auf Telegram neue „Ortsgruppen“ gegründet und Aktionen angekündigt. | |
Rechtsextreme hatten auch schon frühere Proteste von Bauern gegen schärfere | |
Umweltvorschriften versucht zu unterwandern. Tatsächlich tauchten bei | |
Demonstrationen immer wieder Landvolk-Fahnen auf – aber nur vereinzelt. | |
## Innenministerium warnt vor Instrumentalisierung | |
Das Bundesinnenministerium warnt nun vor Versuchen von extremen Kräften, | |
die Bauernproteste zu missbrauchen. Ein Sprecher von Ministerin Nancy | |
Faeser (SPD) sagte, es sei davon auszugehen, dass insbesondere Akteure aus | |
dem rechtsextremistischen Spektrum wie auch aus dem Spektrum derjenigen, | |
die den Staat delegitimieren wollten, im Verlauf der Protestwoche versuchen | |
würden, Veranstaltungen für eigene Interessen zu instrumentalisieren. | |
Schon am 30. Dezember in Augsburg demonstrierten laut Polizei unter den | |
rund 1.100 Teilnehmern auch Bauern mit insgesamt 277 Traktoren. Aufgerufen | |
hatte keine landwirtschaftliche Organisation, sondern das „Bürgerforum | |
Schwaben“. Diese Initiative hat bereits früher gegen „manipulierte Medien�… | |
„erleichterte Einbürgerung“ und für die „Offenlegung aller | |
Corona-Massnahmen“ und „Transparenz der Impfschäden“ demonstriert. | |
Bei mehreren der jüngsten Protestaktionen von Bauern haben manche | |
Teilnehmer [3][unter Rechtsextremen beliebte Parolen, Galgensymbole und die | |
Fahne der Landvolk-Bewegung] gezeigt. Die Veranstalter distanzierten sich | |
im Nachhinein auf taz-Anfrage, waren aber nicht eingeschritten. Bei der | |
zentralen Demonstration des Bauernverbands am 18. Dezember in Berlin konnte | |
einer der Hauptredner auf der Bühne Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) | |
mit einem als rassistisch verstandenen Spruch verhöhnen, ohne dass der | |
daneben stehende Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied das dort | |
verurteilt hätte. | |
Sein Verband hat zwar die Blockadeaktion gegen Habeck verurteilt und | |
bezieht auch gegen Rechtsextreme Stellung: „Der Deutsche Bauernverband | |
distanziert sich von solchen Trittbrettfahrern und Symbolen wie Galgen, | |
Särgen, schwarzen Fahnen, die auf unseren Demonstrationen nichts zu suchen | |
haben“, teilte Generalsekretär Bernhard Krüsken mit. Er ging aber nicht auf | |
die Frage der taz ein, mit welchen konkreten Maßnahmen er verhindern will, | |
dass an den Demonstrationen Rechtsextremisten teilnehmen und solche Symbole | |
gezeigt werden. | |
## Agrarwende-Aktivisten kritisieren Bauernverband | |
„Die Distanzierungen auf Twitter reichen nicht. Das kam viel zu spät“, | |
kritisiert denn auch Inka Lange, Sprecherin des ökologisch orientierten | |
„Wir haben es satt“-Bündnisses, das die gleichnamige Demonstration für ei… | |
Agrarwende am 20. Januar in Berlin organisiert. „Wir schreiben diese | |
Distanzierung gleich in unseren Aufruf rein.“ Auf den Demos des Bündnisses | |
würden Ordner die Flaggen und Statements anschauen. „Und wenn das in | |
gewisse Richtungen geht, es diffamierend wird, fordern wir dazu auf, die | |
runter zu nehmen. Das passiert bei den Bauernverbands-Demos alles nicht.“ | |
Der zweite große Veranstalter der Agrardieseldemos, der Bauernverein | |
Landwirtschaft verbindet Deutschland (LSV), reagierte bis Redaktionsschluss | |
nicht auf eine Bitte der taz um Stellungnahme zu den | |
Unterwanderungsversuchen von Rechtsaußen. LSV-Sprecher Anthony Lee hat auch | |
kein Problem damit, in einem langen [4][Video] gemeinsam mit einer | |
Landesvorsitzenden der Querdenkerpartei „die Basis“ aufzutreten. Sie duzen | |
sich sogar. Mehrmals hat er rechten Medien wie Tichys Einblick oder | |
Demokratischer Widerstand Interviews gegeben. Und bei einer Veranstaltung | |
im September 2021 hatte sich Lee [5][ausländerfeindlich und | |
„klimaskeptisch“] geäußert. Gut möglich, dass solche Parolen auch bei den | |
über 100 angekündigten Protesten in der kommenden Woche zu hören sind. | |
5 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Landwirtschaft/!t5007831 | |
[2] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/6313/5685541 | |
[3] /Bauernproteste-fuer-Agrarsubventionen/!5981447 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=_V6wHFRTxIY | |
[5] /Protestbewegung-gegen-Umweltschutz/!5805034 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
Malene Gürgen | |
Christian Jakob | |
Jean-Philipp Baeck | |
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