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# taz.de -- Volksbegehren für Vergesellschaftung: Populismus enteignen!
> Das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. Enteignen sammelt ab Freitag
> Unterschriften. Die taz widerlegt Argumente gegen das Volksbegehren.
Bild: In Berlin kann man dank des Enteignungs-Volksbegehrens vielleicht bald sc…
„Es entsteht keine einzige neue Wohnung dadurch“
So weit, so richtig, Franziska Giffey, genauso wenig wie durch Razzien in
Shishabars, den Ausbau des U-Bahn-Netzes oder Maßnahmen gegen Müll und
Verwahrlosung im öffentlichen Raum. Was die SPD-Bürgermeisterkandidatin bei
ihrem Scheinargument unter den Tisch fallen lässt: [1][Das Volksbegehren
Deutsche Wohnen und Co. Enteignen] hat primär überhaupt nicht das Ziel,
Wohnungen zu bauen. Giffey könnte der Initiative also genauso gut
vorwerfen, dass sie nicht für mehr innere Sicherheit oder die
Mobilitätswende sorgen wird.
Was die Initiatoren stattdessen wollen: die Spekulation mit Wohnraum, deren
Folge immer höhere Mieten sind, beenden und die Wohnungen zurück unter
demokratische Kontrolle holen. Mit dem Wohnungsbau hat das erst mal nichts
zu tun, auch nicht im Umkehrschluss: Denn Immobilienkonzerne wie die
Deutsche Wohnen, Vonovia oder Akelius bauen selbst so gut wie keine
Wohnungen, sondern handeln mit bestehendem Wohnraum und schütten
Überschüsse per Dividende an ihre Aktionäre aus.
Bei einer Anstalt öffentlichen Rechts, in die die enteigneten Wohnungen
überführt werden sollen, wäre das anders. Diese wirtschaftet nicht
profitorientiert, sondern kann die Mieteinnahmen investieren: zunächst in
die Rückzahlung der Kredite für die Entschädigung, später aber auch in den
Neubau von Wohnraum. Langfristig ist Giffeys Argument also sogar falsch.
„Die Entschädigungskosten wären für das Land unbezahlbar“
Um kaum etwas – außer Nachbarn, die falsch recyceln – sorgen sich
Durchschnittsdeutsche so sehr wie um die Staatsfinanzen. Mehr als 20 Jahre
Neoliberalismus haben da ganze Arbeit geleistet. Insofern wird dieses
Argument – in diesem Fall formuliert von Maren Kern, Vorstand des Verbandes
Berlin Brandenburgische Wohnungsunternehmen – der Initiative am meisten zu
schaffen machen.
Dabei haben die Enteigner*innen [2][einen durchaus validen Plan], wie
die Entschädigungssumme gestemmt werden kann. Wie hoch diese letztlich
ausfallen wird, ist umstritten. In der amtlichen Kostenschätzung des Senats
war von bis zu 36 Milliarden Euro die Rede, die Initiative hält
verschiedene Modelle entgegen, nach denen nur ein Viertel bis die Hälfte
dieser Summe fällig wäre, da eine Entschädigung auch unter dem durch
Spekulation aufgeblasenen Marktwert erfolgen kann.
Das Grundgesetz formuliert für die Höhe der Entschädigung den Anspruch,
dass diese „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und
der Beteiligten“ erfolgen solle. Eine Entschädigung rein nach Marktwert
würde die Interessen der Mieter*innen nach bezahlbaren Mieten jedoch
missachten.
Anders als der Senat, der damit rechnet, 20 Prozent der Entschädigungssumme
auf den Haushalt umzulegen, will die Initiative die Enteignung komplett
über verschiedene externe Kredite finanzieren.
Der Haushalt würde somit überhaupt nicht belastet. Die Rückzahlung würde,
so der Plan, innerhalb von 43,5 Jahren aus einem Teil der Mieteinnahmen
erfolgen.
„Jüdische Eigentümer in Deutschland werden möglicherweise zum zweiten Mal
enteignet“
Michael Müller wollte womöglich besonders sensibel sein, mit seiner Warnung
vor der Enteignung, tappt aber in eine Vorurteilsfalle – jene vom
[3][Stereotyp des reichen Juden]. Doch es spricht nichts dafür, dass
besonders jüdische Anteilseigner von der Enteignung der Wohnungskonzerne
betroffen wären. Das Vorurteil des reichen Juden ist – gerade beim Blick
auf jüdische Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik – eine Fiktion.
Auch hat eine Vergesellschaftung gegen Entschädigung nichts, aber auch gar
nichts mit der gewaltvollen Arisierung der Nationalsozialisten gemein. Wer
diese Verbindungslinie zieht, wie etwa auch [4][Welt-Chefredakteur Ulf
Poschardt], betreibt Propaganda, um dem Anliegen von DW Enteignen zu
schaden. Die Initiatoren agieren weder rassistisch noch antisemitisch, sie
unterscheiden nicht nach Firmensitzen, Religionen oder ethnischen Linien,
sie grenzen nicht aus, sondern wollen der Gemeinschaft einen Dienst
erweisen. Davon übrigens, würden wohl auch jüdische Mieter*innen
profitieren.
„Das ist die Idee eines Sozialismus nach Berliner Art“
Mit klassischem DDR-Bashing antwortete Christian Gräff, CDU-Sprecher für
Bauen und Wohnen, auf das Konzept der Enteignungen. Dass seine Partei
zugleich gerne für den Bau von Autobahnen enteignet, scheint ihn
gleichzeitig nicht weiter zu stören. Enteignungen von Einzelpersonen,
Landwirten oder sogar ganzer Dörfer und Landstriche für den Kohletagebau
sind in der BRD an der Tagesordnung, sobald aber Unternehmen betroffen
sind, ist es gleich Kommunismus? Dem Volksbegehren geht es um die
Demokratisierung von Wohnraum im Sinne des Gemeinwohls. Es will die
Mitbestimmung von Mieter:innen stärken und den öffentlichen Ausverkauf
von großen kommunalen Wohnungsbeständen in den Nullerjahren rückgängig
machen.
Das wird höchste Zeit: Denn dass nur kommunaler Wohnraum auf Dauer ein
bezahlbares Leben in der Stadt sichert, hat die Mietenentwicklung der
vergangenen Jahre gezeigt. Man könnte aber auf das Sozialismus-Bashing auch
schlicht mit dem Rapper Kool Savas antworten: „Wo ist jetzt der Diss, ich
peil's nicht mal.“
„Das Volksbegehren ist verfassungswidrig“
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkhard Dregger hat mit diesem Satz
eindrücklich belegt, dass er keine Ahnung vom Grundgesetz hat. Denn
abgesehen davon, dass selbst die haarspalterischste juristische [5][Prüfung
der SPD-geführten Innenverwaltung] das Anliegen des Volksbegehrens nach
über einem Jahr zähneknirschend für zulässig erklären musste, hätte schon
ein Blick ins Grundgesetz geholfen. Denn im [6][Artikel 15] steht
ausdrücklich: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können
zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der
Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der
Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Weitgehend unstrittig ist dabei auch die Gesetzgebungskompetenz des Landes,
im Gegensatz etwa zum Mietendeckel, der deutlich umstrittener ist. Mit
Artikel 15 ließen sich im Übrigen auch ganze Industriezweige
verstaatlichen. Oder wie mietenpolitische Aktivist:innen sagen würden:
Private Immobilienfirmen hassen diesen Trick.
„Die Enteignungsfantasien schaden dem gesamten Wirtschaftsstandort Berlin.“
Dieses Argument von Michael Schick, dem Präsidenten des Immobilienverbands
Deutschland (IVD), ist Kaffeesatzleserei. Berlins Wirtschaft floriert seit
Jahren, trotz rot-rot-grüner Regierung unter Sozialismusverdacht. Bis zur
Coronakrise schrieb das nicht mehr ganz so arme, aber für Unternehmen immer
noch sexy wirkende Berlin (Hallo, [7][Elon Musk]!) schwarze Zahlen.
Demgegenüber halten die Löhne nicht Schritt mit den steigenden Mieten.
Berliner:innen geben zu viel ihres Einkommens für Miete aus. Wenn sie
weniger zahlen müssen, weil Immobilienfirmen keine Profite mehr abschöpfen
und als fette Dividenden ausschütten, bleibt mehr Geld für Konsum. Hinzu
kommt, dass der Staat über Sozialleistungen für viele Mieten und
Mieterhöhungen aufkommt. Der Staat bezahlt also indirekt die
Aktionär:innen der Deutschen Wohnen.
Eine Behebung des Sanierungsstaus in privaten Immobilien (siehe jährliche
[8][Heizungsausfälle bei der Deutschen Wohnen]) könnte zudem zu mehr
Aufträgen für Handwerksbetriebe führen – und gute Arbeit, denn kommunale
Wohnungsfirmen sind zudem dazu verpflichtet, auf prekäre Beschäftigung zu
verzichten.
Abgesehen davon ist der Wirtschaftsstandort eher durch die Coronapandemie
gebeutelt. Der gesamte Wirtschaftsstandort? Nein, ein kleiner unbeugsamer
Wirtschaftssektor macht in der Krise weiter Profite – die
Immobilienwirtschaft. So plädiert der Ökonom Claus Michelsen angesichts der
Kosten der Coronakrise für eine [9][Mietensteuer für Immo-Unternehmen].
Aber das ist ein anderes Thema.
26 Feb 2021
## LINKS
[1] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!t5562213
[2] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!5728757
[3] /Protestoper-in-Berlin-Grunewald/!5707948
[4] /Ulf-Poschardts-Geschichtsbild/!5738043
[5] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen-zulaessig/!5709972
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_15.html
[7] /Tesla-in-Brandenburg/!5747448
[8] /Heizungsausfall-bei-der-Deutsche-Wohnen/!5751698
[9] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/warum-immobilieneigentuemer-fuer…
## AUTOREN
Gareth Joswig
Erik Peter
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