# taz.de -- Wohnungsnot in München: Bodenständig bleiben | |
> Nirgendwo in Deutschland zahlt man so viel Miete wie in München. Nun wird | |
> über eine Verschärfung bei der sozialgerechten Bodennutzung entschieden. | |
Bild: Für viele unbezahlbar: eine Wohnung in der Münchner Innenstadt | |
„Die Wohnungssuche in den Großstädten der Bundesrepublik, insbesondere in | |
München, ist eine Tätigkeit, die von der ganzen Person Besitz ergreift. Man | |
lernt am eigenen Leib die Auswirkungen der spätkapitalistischen Ordnung | |
kennen“, schrieb die Schriftstellerin Gisela Elsner, die viele Jahre ihres | |
Lebens in der bayrischen Landeshauptstadt verbracht hat. | |
Zweimal die Woche versammelten sich „die Wohnungssuchenden von München“ | |
vorm Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung und es entstünde ein | |
„regelrechtes Handgemenge“ um die druckfrischen Mittwoch- und | |
Freitagausgaben mit den Wohnungsinseraten. Bei günstigen Angeboten ginge es | |
„um Minuten, wenn nicht gar um Sekunden.“ | |
[1][Der zitierte Text „Gläserne Menschen“] stammt aus dem Jahr 1983. | |
Wohnungssuchende lesen schon lange keine Zeitungsinserate mehr, aber wer | |
heute die digitalen Immobilienportale für München nach bezahlbaren | |
Wohnungen durchscrollt, hat womöglich trotzdem ein Déjà-vu. Seit | |
Jahrzehnten ist in München der Wohnraum knapp und die Mietpreise liegen im | |
bundesweiten Vergleich mit Abstand auf Platz eins. Bei Neuvermietung stehen | |
sie mittlerweile bei über 20 Euro Netto kalt. | |
Dem stetig hohen Druck auf die Mieten steht in München allerdings auch eine | |
lange [2][Tradition wohnungspolitischer Steuerungsversuche] gegenüber. | |
Eines dieser Instrumente ist die 1994 eingeführte [3][Sozialgerechte | |
Bodennutzung, kurz Sobon]. Sie soll in Neubauquartieren eine soziale | |
Mischung garantieren, in dem sie einen bestimmten Anteil von geförderten | |
Wohnungen vorschreibt. Investoren und Bauträger werden außerdem dazu | |
gezwungen, sich an den Kosten für Infrastruktur wie Straßen, Grünflächen, | |
Kitas und Schulen zu beteiligen. Mittlerweile gibt es ähnliche Modelle in | |
den meisten Großstädten und Ballungsgebieten. | |
## „Eindeutig zu schwach“ | |
An diesem Mittwoch entscheidet der Münchner Stadtrat auf Initiative der | |
grün-roten Regierungskoalition über eine Verschärfung der Sobon. Denn die | |
jüngste Reform von 2017, damals regierten SPD und CSU, sei „eindeutig zu | |
schwach gewesen“, findet Anna Hanusch, Fraktionsvorsitzende der Grünen/Rosa | |
Liste. | |
Die Neuerung, wie Grün-Rot sie vorschlägt, sieht vor, dass auf privaten | |
Flächen, für die die Stadt neues Baurecht schafft, 80 Prozent Mietwohnungen | |
entstehen müssen (bisher 40 Prozent), davon 60 Prozent geförderte und | |
preisregulierte Wohnungen (bisher 40 Prozent). | |
Die Bindung sowohl für Mietwohnungen als auch geförderter Wohnraum steigt | |
auf 40 Jahre (bisher 25 bis 30 Jahre). Außerdem erhöht sich der Anteil, den | |
die Bau- und Immobilienwirtschaft an den Infrastrukturkosten tragen müssen | |
von 100 auf 175 Euro pro Quadratmeter. | |
Gleichzeitig soll ein Punktemodell nach dem Baukastenprinzip gelten. | |
Investoren und Bauträger können bei den vier genannten Grundbausteinen die | |
„Regler verschieben“, so Hanusch. „Wer an einer Stelle runtergeht, muss | |
dafür an anderer Stelle hochgehen“. Zusätzliche Punkte gibt es, wenn | |
Investoren einen Teil des Grundstücks günstig an die Stadt oder an eine | |
Genossenschaft verkaufen. Nur wer die volle Punktzahl erreicht, darf bauen. | |
## Durchaus erfolgreich | |
Christian Stupka ist Genossenschaftsgründer und Sprecher der Münchner | |
Initiative für ein soziales Bodenrecht. Er betrachtet die Sobon durchaus | |
als Erfolg: „In den letzten 25 Jahren sind im Rahmen von | |
Baurechtsschaffungen über 16.000 preisgebundene Mietwohnungen entstanden | |
und von den privaten Investoren Millionen in die Infrastruktur geflossen, | |
die sonst die Allgemeinheit hätte aufbringen müssen.“ | |
Nach der neusten Sobon werden mindesten 50 Prozent aller Wohnungen | |
preisgebunden. Optimistisch, dass sich die Mietsituation in naher Zukunft | |
entspannen könnte, ist Stupka dennoch nicht. Dafür seien insgesamt einfach | |
zu viele Wohnungen in München dem Marktgeschehen unterworfen. | |
Das Geschehen auf dem Münchner Mietmarkt ist vor allem bestimmt durch die | |
extrem hohen Baulandpreise. Der letztes Jahr verstorbene ehemalige Münchner | |
Oberbürgermeister und Bundesbauminister Hans-Jochen Vogel (SPD), rechnete | |
in einem 2020 erschienenen Manifest für eine neue Bodenordnung vor, dass | |
die Baulandpreise in München zwischen 1950 und 2017 um sagenhafte 39.390 | |
Prozent gestiegen seien. | |
Vor allem seit der Finanzkrise von 2008/09 ist Boden weltweit zum | |
Spekulationsobjekt geworden. Mittlerweile kostet ein Quadratmeter Bauland | |
in München durchschnittlich knapp 2.400 Euro und der Anteil der | |
Baulandkosten an den Baukosten beträgt fast 80 Prozent. | |
## Neue Bodenpolitik | |
Wie soll unter solchen Bedingungen bezahlbarer Wohnraum entstehen? Die | |
Sobon mag auf kommunaler Ebene ein gutes Mittel sein, pro Jahr eine | |
bestimmte Anzahl geförderter Wohnungen zu schaffen, doch sie kann | |
steigenden Bodenpreise und damit steigende Mieten nur in einer kleinen | |
Nische etwas entgegensetzen. | |
Um wirklich etwas an der Wohnungsmisere in München und anderswo zu ändern, | |
braucht es sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene eine neue, | |
gemeinwohlorientierte Bodenpolitik, so wie sie unter anderem die | |
[4][Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht] und das im Frühjahr | |
gegründete bundesweite „Bündnis Bodenwende“ fordern. Sonst werden mit den | |
Bodenpreisen auch die Mieten weiter steigen. | |
28 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.verbrecherverlag.de/author/detail/15 | |
[2] /Dieter-Reiter-ueber-OB-Wahlen-in-Bayern/!5669423 | |
[3] /Boden-nicht-umsonst-vergolden/!1300324/ | |
[4] https://www.stattbau-muenchen.de/ein-soziales-bodenrecht.html | |
## AUTOREN | |
Anna Lerch | |
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