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# taz.de -- Volksentscheid Enteignung in Berlin: Gespaltener Senat
> Berlin stimmt über die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen ab. Der
> rot-rot-grüne Senat hat keine klare Haltung dazu.
Bild: 360.000 Unterschriften für Enteignungen: So viele hat noch kein Volksbeg…
Berlin taz | In Berlin steht in diesem Jahr eine Super-Super-Wahl an:
Wahlberechtigte stimmen am 26. September nicht nur über [1][Bundestag und
Abgeordnetenhaus] ab, sondern auch noch über einen Volksentscheid. Die
Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen hat knapp [2][360.000
Unterschriften gesammelt] für eine Frage, die es in sich hat: Sollen große
private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen
Entschädigung vergesellschaftet werden?
Die Enteignungsforderung ist die Antwort der gut organisierten
[3][Mietenbewegung Berlins] auf jahrelange Mietsteigerungen durch private
Wohnungskonzerne wie die Deutsche Wohnen und Vonovia. Seit der Finanzkrise
und Niedrigzinspolitik haben in vielen Ballungsräumen Konzerne Wohnraum als
Investitions- und Spekulationsobjekt genutzt – mit entsprechenden sozialen
Folgen.
Ein erfolgreiches Volksbegehren wäre eine Kehrtwende in der Wohnungspolitik
und soll 226.000 Wohnungen renditeorientierter Konzerne in Kommunalbesitz
überführen. So soll dauerhaft günstiger Wohnraum entstehen und eine sozial
gemischte Innenstadt erhalten bleiben. Vorbild ist Österreichs Hauptstadt
Wien, in der große Teile des Wohnraums in öffentlicher Hand und trotz
Innenstadtlage durchaus erschwinglich sind.
Ob die Vergesellschaftung wohnraumpolitisch zielführend ist, darüber
streitet die Stadtgesellschaft seit Kampagnenbeginn. Der rot-rot-grüne
Senat des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) hat am Dienstag
eine [4][Stellungnahme zum Volksbegehren] abgegeben, die neutral klingen
soll und doch [5][bei genauem Hinsehen etwas ablehnend ausfällt]:
Enteignungen wären teuer und Berlin unternehme schon viel gegen hohe
Mieten, heißt es dort. Allerdings steht in dem Statement auch, dass der
Wohnungsmarkt trotz aller Maßnahmen stark angespannt bleibt.
## Lifehack Artikel 15 Grundgesetz
Das Für und Wider der Stellungnahme zeigt die Gespaltenheit der
Landesregierung in der Enteignungsfrage: Die SPD, in Berlin traditionell
nah an der Immobilienwirtschaft, lehnt Vergesellschaftung rigide ab. Die
Linke befürwortet sie deutlich und diskutiert bereits Entwürfe für ein
Vergesellschaftungsgesetz.
Die Grünen befürworten die Ziele nach einem Parteitagsbeschluss ebenfalls.
Berlins demokratische Oppositionsparteien CDU und FDP lehnen das
Volksbegehren mit ähnlichen Argumenten wie die Immo-Wirtschaft
grundsätzlich ab. Die großen Gewerkschaften und Mietervereine hingegen
unterstützen die Kampagne.
Weitgehend unstrittig ist in der Enteignungsfrage eigentlich nur eines: Das
Ziel des Volksbegehrens – ein Gesetz zur Vergesellschaftung großer
Wohnungskonzerne – ist juristisch zulässig, wie auch Berlins SPD-geführte
Innenverwaltung [6][nach langer Prüfzeit etwas zähneknirschend bestätigte].
Ein etwaiges Gesetz wäre gemäß juristischer Mehrheitsmeinung zulässig – im
Gegensatz etwa zum gekippten Berliner [7][Mietendeckel], der in Konkurrenz
zur Bundesgesetzgebung stand. Der noch nie zur Anwendung gekommene Artikel
15 des Grundgesetzes ermöglicht dies gegen angemessene Entschädigung.
## Was kostet der Enteignungs-Spaß?
Und hier fangen auch schon die Diskussionen an: Wie hoch müssten etwaige
Entschädigungen ausfallen? Die Initiative will in einem Gesetz eine
Entschädigungssumme deutlich unter Verkehrswert verankern und rechnet mit
Kosten in Höhe von 8 Milliarden Euro (eine Milliarde mehr als der Flughafen
BER). Man wolle die Konzerne nicht auch noch für Spekulation entlohnen,
heißt es sinngemäß. Für die Kosten sollen Kredite oder
Schuldverschreibungen über einen langen Zeitraum [8][haushaltsneutral mit
Einnahmen abbezahlt] werden.
Der Senat geht in seinem Statement allerdings von Kosten zwischen 29 und 39
Milliarden Euro aus – gemäß der amtlichen Kostenschätzung, für die mit
Marktpreisen gerechnet wurde. Das entspräche dem Jahreshaushalt Berlins und
würde laut Senatsstatement den Haushalt stark belasten. Wie viel
schließlich zu zahlen wäre, müsste ein etwaiges Gesetz ausformulieren.
Letztlich würden wohl Gerichte über die Kosten entscheiden.
Umfragen legen nahe, dass der Ausgang des Volksentscheids offen ist. Im
April befürworteten laut [9][Infratest Dimap] 47 Prozent der
Berliner*innen Enteignungen, 44 Prozent waren dagegen. Die Zahl der
Befürworter sei nach dem gekippten Mietendeckel deutlich gestiegen.
Mittlerweile sind laut Umfrage selbst 33 Prozent der CDU-Wähler für
Enteignungen.
21 Jul 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Wahlen-in-Berlin/!t5106764
[2] /Volksbegehren-Deutsche-Wohnen-Enteignen/!5783725
[3] /Enteignungs-Volksbegehren/!5743994
[4] https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2021/pressemitte…
[5] /Senat-zu-Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5781734
[6] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen-zulaessig/!5709972
[7] /Mietendeckel/!t5567229
[8] https://www.dwenteignen.de/positionen/entschaedigung/
[9] https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/beitraege/berli…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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