# taz.de -- Deutsche Wohnen und Co. enteignen: Ist das Begehren stark genug? | |
> Die Enteignungs-Initiative sammelt wieder Unterschriften. Im Herbst | |
> sollen die Berliner die Enteignung beschließen. Kann das klappen? | |
Bild: Ab Ende Februar will die Initiative für den Enteignungs-Volksentscheid w… | |
## Nein, sagt Bert Schulz. | |
Bis vor ein paar Jahren war das E-Wort ein politisches und | |
gesellschaftliches Tabu. Wer es verwendete, gehörte klandestinen | |
kommunistischen Kreisen an oder wurde ihnen jedenfalls fortan | |
zugeschrieben. Jemandem dessen Eigentum wegnehmen aus höheren Gründen – das | |
steht zwar als Option im Grundgesetz und wurde im Stillen auch immer wieder | |
praktiziert, etwa um Grundstücke für den Autobahnbau zu bekommen. Aber so | |
ganz offiziell einem Reichen etwas abzunehmen, weil es die breite Masse | |
dringend braucht – nein, das ging nun wirklich zu weit. | |
Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen hat dieses Thema | |
enttabuisiert. Angesichts des dramatischen Wohnraummangels nicht nur in | |
Berlin ist Enteignung zu einer politischen Option geworden. Nun braucht es | |
nur noch jemanden, der die Verantwortung dafür übernimmt. Von den Parteien | |
im Abgeordnetenhaus traut sich das nur die Linke. Die SPD hat klar | |
abgewunken, auch den Grünen ist das eigentlich zu forsch; eine Einigung mit | |
der Initiative wäre ihnen lieber gewesen. Für FDP und CDU ist die Idee | |
sowieso Sozialismus pur. | |
Deshalb müssen die BerlinerInnen die Enteignung von großen | |
Immobilienunternehmen selbst beschließen. Die Initiative muss für den | |
nötigen Volksentscheid von Ende Februar bis Ende Juni 175.000 | |
Unterschriften sammeln. Eine „Hardcore“-Aufgabe mitten in einer Pandemie, | |
wie Linkenchefin Katina Schubert sagte – aber machbar. Doch gilt das auch | |
für den Entscheid selbst, der parallel zu Abgeordnetenhaus- und | |
Bundestagswahl am 26. September stattfinden dürfte? Wird dann tatsächlich | |
eine Mehrheit der BerlinerInnen für den Vorschlag der Initiative stimmen? | |
Schon einmal hat die Bevölkerung dem Senat die Grenzen seiner Macht | |
aufgezeigt: Gegen den erklärten Willen fast aller politischen Parteien | |
votierte 2014 eine Mehrheit gegen die von der damaligen SPD/CDU-Regierung | |
gewünschte Bebauung des Tempelhofer Feldes. | |
Doch dieser Entscheid fand nur parallel zu einer Europawahl statt; die | |
Beteiligung war mit 46 Prozent niedrig. Im September wird sie höher sein, | |
vielleicht sogar bei 80 Prozent; dann geht es schließlich um die Nachfolge | |
von Angela Merkel als Kanzlerin; um eine zweite Amtszeit der Koalition aus | |
Linken, Grünen, SPD in Berlin; um die Macht in den Bezirken. Aber sollte es | |
auch zu dem Enteigenen-Entscheid kommen, wird dieser viele andere Themen | |
überlagern. | |
Denn die Frage polarisiert weiter, auch wenn sie kein Tabu mehr ist: Die | |
CDU wird die E-Frage im Wahlkampf stellen, um vor allem gegen die Grünen | |
Stimmung zu machen. Der Druck auf alle Parteien, den Vorstoß als | |
realitätsfern, gar „kommunistisch“ abzulehnen, dürfte immens sein. | |
Für die Grünen stellt sich zudem konkret die Machtfrage: Kann sich jemand | |
im Bund eine Regierung von Ex-Alternativen und CDU vorstellen, während in | |
Berlin unter Grün-Rot-Rot Tausende Wohnungen verstaatlicht werden? | |
Dass angesichts dieses Drucks eine Mehrheit für die Initiative stimmt, ist | |
leider sehr, sehr unwahrscheinlich. Und mit einer Niederlage an der Urne | |
stirbt die Idee, zumindest für die nächsten Jahre. Das ist dann aber zu | |
spät, um den Wohnungsmarkt in Berlin zu retten. | |
## Ja, sagt Erik Peter. | |
Sind die BerlinerInnen wirklich bereit, mehrheitlich für eine so | |
radikale Idee wie die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne zu | |
votieren? | |
Formulieren wir die Frage einmal andersherum: Sind die BerlinerInnen | |
dafür, dass sich die Mietwohnungen der Stadt zu einem großen Teil in den | |
Händen weniger Großkonzerne befinden, für die Renditemaximierung oberstes | |
Ziel ist? Dies, und daran muss man in dieser Debatte auch erinnern, ist | |
weder ein Naturgesetz noch haben oder hätten sich die BewohnerInnen der | |
Stadt je dafür ausgesprochen. | |
Geht es nach den Bedürfnissen der MieterInnen – eine bezahlbare, sichere | |
Wohnung, die weder luxussaniert noch in Eigentum umgewandelt wird, in der | |
Reparaturen anstandslos ausgeführt werden, das Wohnumfeld gepflegt und in | |
der Nebenkostenabrechnung nicht beschissen wird – müsste die Antwort | |
eindeutig ausfallen. Die 80 Prozent der BerlinerInnen, die zur Miete | |
wohnen, können aus gutem Gewissen und Eigeninteresse ihr Kreuz bei der | |
Enteignungs-Initiative machen – selbst wenn sie in anderen Lebensbereichen | |
konservativ eingestellt sind oder auf den Wahlzetteln im September CDU oder | |
SPD ankreuzen. | |
Doch das Bewusstsein der Mehrheit für ihre eigenen Belange ist nicht | |
ungetrübt. Der Marktradikalismus hat jahrzehntelang sein Gift verstreut, | |
und die GegnerInnen der Enteignungsinitiative – jene, die aus der | |
kapitalistischen Marktaufteilung ihre Profite ziehen, sowie ihre | |
politischen HandlangerInnen – werden alles dafür tun, die Menschen dazu | |
zu bringen, gegen ihr Interesse abzustimmen. | |
Den Hebel zum Erfolg haben die AktivistInnen von DW enteignen dennoch | |
selbst in der Hand: Denn sie haben die besseren Argumente. | |
Sie müssen nur durchdringen mit ihrer Erzählung, die Köpfe öffnen für eine | |
– eigentlich bescheidene – Utopie, die, obwohl im Grundgesetz verankert, | |
schon länger undenkbar scheint. Sie müssen die Gegenerzählung einer | |
finanziellen Überlastung für die Stadt brechen, geduldig und | |
hunderttausendfach erklären, dass die Entschädigungskosten durch die | |
Mieteinnahmen refinanziert werden. Die Initiative ist bestens vorbereitet, | |
generiert Spenden und gewinnt immer weitere MitstreiterInnen. Wenn Tausende | |
Aktive die Argumente in ihre Nachbarschaften tragen, können sie mehr | |
erreichen als boshafte Kommentare im Boulevard, liberale Bedenkenträgerei | |
im Feuilleton und die Diffamierungskampagnen der Immobilienlobby. | |
Berlins MieterInnen haben diese eine Chance. Sie sollten sie nutzen. | |
1 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
Erik Peter | |
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