| # taz.de -- Rechtsstreit um Mietendeckel: Der Deckel vor Gericht | |
| > Das Bundesverfassungsgericht will noch in diesem Halbjahr über die | |
| > Zukunft des Mietendeckels entscheiden. Alles ist möglich. | |
| Bild: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe | |
| Für die Immobilienwirtschaft ist der Mietendeckel bekanntlich Sozialismus – | |
| und Sozialismus, da ist man sich in der Branche einig, hat mit der | |
| Bundesrepublik und ihrem Grundgesetz nichts zu tun. Naheliegend also, dass | |
| gegen den Deckel Verfassungsklagen eingereicht wurden, über die | |
| voraussichtlich im zweiten Quartal 2021 am Karlsruher | |
| Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden wird. | |
| Folgt man den Gegner:innen des Deckels, ist dieser eindeutig | |
| verfassungswidrig, wie etwa die Wirtschaftskanzlei Heussen in einer | |
| Abhandlung schreibt. Professor Florian Rödl von der Freien Universität | |
| Berlin, der gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Geulen & Klinger das Land | |
| Berlin vertritt, kann sich über diese „siegesgewisse Rhetorik“ nur wundern, | |
| das Urteil sei „wenigstens völlig offen“, so Rödl. | |
| Doch um was geht es in der Rechtsverhandlung eigentlich genau? Geklagt wird | |
| auf zwei Ebenen: Erstens liegt dem BVerfG eine von Bundestagsabgeordneten | |
| der CDU und FDP eingereichte „Normenkontrollklage“ vor, die infrage stellt, | |
| ob Berlin als Bundesland überhaupt die für einen Mietendeckel nötige | |
| Gesetzgebungskompetenz besitzt. Zweitens klagen Vertreter:innen der | |
| Immobilienwirtschaft, die einen zu tiefen Eingriff in die Eigentumsrechte | |
| befürchten. | |
| Lediglich die Normenkontrollklage über die Frage der Zuständigkeit Berlins | |
| besitzt dabei das theoretische Potenzial, den Deckel in seiner Gesamtheit | |
| zu kippen. Darauf hat zuletzt Christoph Schmid von der Uni Bremen in einem | |
| Fachartikel hingewiesen. Das BVerfG müsste dafür Berlin nicht nur die | |
| Kompetenz absprechen, einen solchen Mietendeckel zu erlassen, sondern zudem | |
| von Übergangsregularien absehen, die die sozialen Folgen eines solchen | |
| Urteils (etwa Mietnachzahlungsforderungen, Räumungsklagen, Obdachlosigkeit) | |
| abmildern. | |
| ## Es ist kompliziert | |
| Davon sei aber nicht auszugehen, so Schmid, auch wenn das BVerfG hier | |
| kürzlich für Irritationen gesorgt hatte: Zwar wies es den Eilantrag eines | |
| Vermieters ab, der den Deckel schon vor Inkrafttreten seiner zweiten Stufe | |
| kippen wollte, begründete das aber unter anderem damit, dass der klagende | |
| Vermieter sich ja „eine höhere Miete versprechen“ lassen könne. | |
| Doch wie steht es nun um die Zuständigkeit? Es ist kompliziert. Denn Berlin | |
| hat ein juristisches Novum geschaffen: Zwar war das Vorschreiben von | |
| Mietpreisen bis in die 1980er Jahre gängige Praxis, ging aber stets vom | |
| Bund aus – dass ein Bundesland etwas Derartiges vornimmt, ist neu. | |
| Dabei war dieses Novum zu erwarten, denn 2006 wurde das Wohnungswesen in | |
| die Zuständigkeit der Länder überführt. Dieser Bereich beinhaltet nicht nur | |
| Milieuschutz und Zweckentfremdungsverbote. Auch Zwangsbewirtschaftung – die | |
| staatliche Zuweisung von Mieter:innen und Mietpreis, in der | |
| Nachkriegszeit gang und gäbe – gehöre seither zum prinzipiellen Repertoire | |
| der Länder, wie Rödl ausführt. Damit sei klar, dass auch eine Festlegung | |
| von Höchstmieten grundsätzlich kein rechtliches Problem darstellten. „Da | |
| sind wir uns unserer Sache ganz sicher“, so Rödl. | |
| Ist also alles klar? Nicht ganz. Denn was Rödl „gewisse Kopfschmerzen“ | |
| bereitet, ist die Möglichkeit einer Rechtsauffassung, die das Grundgesetz | |
| wesentlich bundesfreundlicher auslegen könnte, indem sie davon ausgeht, | |
| dass der Bund mit dem Verabschieden der Mietpreisbremse den gesamten | |
| Bereich der gesetzlichen Regulierung von Mieten an sich gezogen hat. | |
| Findet dieses Argument vor Gericht Gehör, kann das zu der Schlussfolgerung | |
| führen, dass sich Berlin mit dem Mietendeckel über die Mietpreisbremse des | |
| Bundes hinweggesetzt und damit die so genannte Bundestreue verletzt habe. | |
| Für Rödl hätte das eine „dramatische“ Veränderung im Kräfteverhältnis | |
| zwischen Bund und Ländern zur Folge. Die Bundesregierung würde in die Lage | |
| versetzt, „rein marktförmige Lösungen“ gegen den Willen der Länder | |
| durchzusetzen, ganz einfach indem sie behauptet, zur Lösung eines Problems | |
| beitragen zu wollen. Durch diese Willenserklärung allein würde den Ländern | |
| ihre Zuständigkeit entzogen werden. | |
| Nach Rödl hätte der Bund für eine solche Rechtsprechung allerdings direkt | |
| mit der Verabschiedung der Mietpreisbremse klarstellen müssen, dass er | |
| keine weiteren Regelungen im Bereich Mieten wünscht. In der Vergangenheit | |
| habe das BVerfG stets „sehr streng“ auf eine solche Formulierung bestanden | |
| – sie sei im Gesetzestext zur Mietpreisbremse jedoch „nicht einmal | |
| oberflächlich zu identifizieren“, sagt Rödl. | |
| Die Zukunft des Mietendeckels ist also alles andere als klar, obwohl das | |
| Verfahren noch in den Anfängen steckt. Bis dato haben die verschiedenen | |
| Seiten nur Stellungnahmen abgegeben, doch bald dürfte zur Anhörung | |
| eingeladen werden. Auch für die Mieter:innen bleibt es also spannend. | |
| 31 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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