# taz.de -- Innenministerkonferenz in Berlin: Mehr Härte gegen Migration | |
> Die Innenminister:innenkonferenz will mehr Länder als sichere | |
> Herkunftsstaaten einstufen und Messer in Zügen verbieten. Die Kritik | |
> folgt prompt. | |
Bild: Peter Beuth (CDU), Iris Spranger (SPD), Nancy Faeser (SPD) und Andy Grote… | |
BERLIN taz | Die Innenminister:innen von Bund und Ländern drängen auf | |
schärfere Maßnahmen gegen Migration. In einem einstimmigen Beschluss | |
forderten sie zum Abschluss ihrer Innenminister:innenkonferenz | |
(IMK) am Freitag in Berlin, mehrere weitere Staaten als sichere | |
Herkunftsländer einzustufen. Zudem soll es an der Grenze zu Polen striktere | |
Kontrollen geben. | |
Unisono begrüßten die Innenminister:innen die jüngst von | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mitverhandelte europäische | |
Aslyreform. Diese sieht Registrierungen an der EU-Außengrenze, dortige | |
Aufnahmelager und eine feste Verteilung in die EU-Länder vor. | |
Von einem „historischen Schritt“, sprach Hamburgs Innensenator [1][Andy | |
Grote] (SPD). Auch Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte, die | |
Vereinbarung sei ein „durchaus großer Schritt“. Allerdings werde es noch | |
dauern, bis die Reform Wirkung entfalte. | |
Die Innenminister:innen forderten deshalb weitere Maßnahmen. Bis die | |
europäische Asylreform greife, müsse man „irreguläre Migration eindämmen�… | |
so Beuth. Die deutschen Kommunen seien mit ihren Aufnahmekapazitäten „am | |
Anschlag“. Konkret wird der Bund von der IMK aufgefordert, die Grenze zu | |
Polen „lageangepasst“ stärker zu kontrollieren. Hierauf hatten vor allem | |
Brandenburg und Sachsen gedrängt. SPD-Mann Grote sagte, es gehe nicht um | |
stationäre Kontrollen, sondern um „smartes Grenzmanagement“. | |
## Moldau ist für Roma nicht sicher | |
Bundesinnenministerin Faeser blieb dennoch zurückhaltend: Man habe erst | |
zuletzt Maßnahmen verstärkt, etwa mit gemeinsamen, internationalen | |
Grenzstreifen, sagte sie. Zudem würden feste Grenzkontrollen zu „massiven | |
Einschränkungen“ für die Allgemeinbevölkerung führen. | |
Einig waren sich die Innenminister:innen der Länder auch, die Liste | |
der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern. Georgien, Armenien, Moldau, | |
Indien, Marokko, Tunesien und Algerien sollen künftig dazugehören. In dem | |
Fall könnten Asylverfahren und Abschiebungen deutlich beschleunigt werden. | |
In der Ampel lehnen das indes die Grünen ab. Faeser verwies zudem auf einen | |
von ihr geplanten Gesetzentwurf, in dem eine entsprechende Einstufung von | |
Moldau und Georgien vorgesehen ist. | |
Tatsächlich warnt [2][Mehmet Daimagüler], Antiziganismusbeauftragter der | |
Bundesregierung, dass etwa Moldau für Roma keineswegs sicher sei. Der | |
Bundesvorstand der Grünen lehnten erst diese Woche in einem Leitantrag für | |
ihren kleinen Parteitag am Samstag in Bad Vilbel zusätzliche „sichere | |
Herkunftsstaaten“ ab. | |
Die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat sagte der taz am Freitag, das | |
Konzept der sicheren Herkunfsstaaten sei „prinzipiell schon rechtstaatlich | |
problematisch, denn es steht einer individuellen und unvoreingenommenen | |
Prüfung des Schutzgesuchs entgegen“. Dies gelte auch für die von der IMK | |
ins Visier gefassten Staaten. In Tunesien werden seit Wochen | |
Regierungskritiker:innen drangsaliert, die Menschenrechtslage wird | |
immer prekärer“, so Polat. „In Algerien werden Frauenrechte massiv | |
eingeschränkt, gleichgeschlechtliche Beziehungen sind ein Straftatbestand, | |
Oppositionelle werden willkürlich wegen vermeintlicher terroristischer | |
Vorgehen verfolgt.“ | |
Ähnlich gehe es Menschen in Marokko, die sich kritisch zum Thema Westsahara | |
äußerten. In Georgien wiederum werde laut Human Rights Watch [3][hart gegen | |
queere Personen vorgegangen], Reporter ohne Grenze beklagten einen massiven | |
Rückgang der Pressefreiheit. „Solchen Ländern einen Persilschein | |
auszustellen, wäre verfehlt“, so Polat zur taz. Eher noch sollten Länder | |
wie Ghana oder Senegal von der Liste der sicheren Herkunfsstaaten | |
gestrichen werden, da dort queere Menschen verfolgt würden. | |
## Überwachung der Bahn soll verschärft werdn | |
Die Innenminister:innen fällten noch eine Vielzahl weiterer | |
Beschlüsse. Nach den [4][Messerattacken von Brokstedt] oder Passau fordern | |
sie den Bund auf, ein generelles Messerverbot in allen Zügen zu prüfen. | |
Faeser hatte sich dafür bereits kurz vor der IMK für den gesamten | |
öffentlichen Personenverkehr ausgesprochen: „Ich möchte, dass strikter | |
kontrolliert werden kann, um schlimme Gewalttaten zu verhindern“, sagte | |
Faeser am Freitag. Die genaue Umsetzung sei noch zu prüfen. | |
Wichtig sei eine stärkere Polizeipräsenz in den Verkehrsmitteln und ein | |
Ausbau der Videoüberwachung an Bahnanlagen von derzeit 9.000 auf 11.000 | |
Kameras. Hamburgs Innensenator Grote, von dem der Vorstoß ursprünglich kam, | |
betonte, dass die Kontrollen nicht vom Zugpersonal, sondern von der Polizei | |
durchgeführt werden müssten. | |
Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), nannte den | |
Vorstoß am Freitag überfällig. „Messertaten verunsichern die Bürger nicht | |
erst seit gestern.“ Die GdP habe hier schon länger Maßnahmen eingefordert. | |
Der IMK-Beschluss sei daher erst dann glaubwürdig, „wenn aus Theorie Praxis | |
wird“. | |
## Länder plädieren für Vorratsdatenspeicherung | |
Die IMK plädierte einstimmig für die Speicherung von IP-Daten zur | |
Verbrechensbekämpfung – also für die Wiedereinführung der | |
[5][Vorratsdatenspeicherung]. Die scheitert in der Ampel bisher allerdings | |
an den Grünen und der FDP. Ausgesprochen wurde sich von der IMK auch für | |
verstärkte Maßnahmen gegen queerfeindliche Gewalt. | |
Beschlossen wurde auch die Fortsetzung eines BKA-Lagebilds zur Letzten | |
Generation. Die Unions-Länder hatten hier mehr gewollt: ein Vorgehen auch | |
gegen die Finanzierung der Klimaprotestgruppe. Die SPD aber blieb hier | |
zurückhaltend. CDU-Mann Beuth kritisierte Bundeswirtschaftsminister Robert | |
Habeck (Grüne), der [6][Razzien gegen die Letzte Generation] jüngst als | |
„absurd“ bezeichnet hatte. Dies sei „ein unerträglicher Vorgang“, schi… | |
Beuth. Die Durchsuchungen seien richterlich abgesegnet gewesen. „Solche | |
Äußerungen schaden dem Rechtsstaat.“ | |
Am Ende kritisierten die Innenminister:innen ebenso scharf und | |
gemeinsam, dass sie nicht an der Erarbeitung der [7][Nationalen | |
Sicherheitsstrategie] beteiligt wurden, welche die Bundesregierung am | |
Mittwoch vorgestellt hatte. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte | |
diese am Donnerstag auf der IMK noch mal vorgestellt. | |
Angesichts der Zuständigkeit für die Sicherheit auch in den Ländern sei das | |
Vorgehen „sehr leichtfertig“ und dies habe man „sehr deutlich kritisierte… | |
sagte Gastgeberin Iris Spranger (SPD), Innensenatorin von Berlin. Beuth | |
nannte das Vorgehen „völlig inakzeptabel“. Die Strategie könne so am Ende | |
nicht bindend sein. Die Ansage an Baerbock nannte Beuth ein „reinigendes | |
Gewitter“. | |
16 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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