# taz.de -- Messerattacke von Brokstedt: Schwarz-Grün will Abschieben lernen | |
> Schleswig-Holstein will Lehren aus der Attacke von Ibrahim A. ziehen. | |
> Darüber diskutierte der Landtag auch mit Hamburger Abschiebe-Experten. | |
Bild: Sabine Sütterlin-Waack, Innenministerin von Schleswig-Holstein | |
HAMBURG taz | „Wir werden Taten wie in Brokstedt nie ganz verhindern | |
können“, sagte am Mittwoch Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine | |
Sütterlin-Waack (CDU) zum Auftakt der Sitzung des Innenausschusses im | |
Landtag. Der Ausschuss befasste sich mit der Frage, wie Taten ähnlich der | |
Messerattacke von Brokstedt künftig zu verhindern sind. Ende Januar soll | |
der 33-jährige Palästinenser Ibrahim A. zwei Menschen im Regionalzug von | |
Kiel nach Hamburg während der Einfahrt in den Bahnhof Brokstedt mit einem | |
Messer ermordet haben. Fünf weitere Zuggäste waren bei der Attacke teils | |
schwer verletzt worden. Bei seiner Festnahme soll A. einen verwirrten | |
Eindruck gemacht haben. | |
Nicht ganz verhindern will Schleswig-Holsteins schwarz-grüne | |
Landesregierung solche Taten, aber doch das Risiko minimieren – und hat | |
sich eine Reihe von Konsequenzen aus der Messerattacke überlegt. 22 | |
Expert:innen hatte der Ausschuss deshalb geladen, um über die Vorschläge | |
zu diskutieren – darunter auch zwei Kriminalpolizisten aus Hamburg. | |
Denn Schleswig-Holstein will als Reaktion auf die Messerattacke künftig | |
effektiver Menschen abschieben – und sieht dafür in Hamburg ein Vorbild. Um | |
straffällig gewordene Ausländer:innen wie Ibrahim A, schneller | |
abzuschieben, hatte Hamburg 2016 eine Abschiebe-Soko eingerichtet: | |
Mitarbeiter:innen der Innen- und der Ausländerbehörde arbeiten seither | |
in der sogenannten „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe zur Rückführung | |
ausländischer Straftäter“ (Geras) zusammen. | |
Der Hamburger Senat wertet die Einführung als Erfolg, konnte die Soko doch | |
seither schon mehrere Hundert Fälle bearbeiten und dafür sorgen, dass mehr | |
als 200 Menschen abgeschoben wurden beziehungsweise freiwillig ausreisten, | |
erklärte einer der Polizisten im Ausschuss. Tätig werde die Geras, sobald | |
es Informationen gibt, dass eine Person verdächtigt wird, eine Straftat | |
begangen zu haben. „Dann prüft die Geras, ob von der Person eine Gefahr | |
ausgeht und ob eine Rückführung in Frage kommt.“ | |
## Prävention mit Ambulanz | |
Dabei ist nicht klar, ob die Tat von Brokstedt hätte verhindert werden | |
können, würde es eine solche Abschiebe-Soko schon in Schleswig-Holstein | |
geben. Das gilt allein schon, weil es kein Auslieferungsabkommen mit den | |
Palästinensergebieten gibt, aus denen Ibrahim A. stammt. | |
Zudem gab es auch behördliche Kommunikationspannen im Vorfeld der Tat: | |
Ibrahim A. saß bis kurz vor der Tat mehrere Monate im Gefängnis. Die | |
Hamburger Justiz informierte die für A. zuständigen Kolleg:innen in Kiel | |
nicht darüber, dass A. aus der Haft entlassen worden war. Und in Kiel | |
erfuhr man auch erst nach der Tat, dass sich A. in Haft mit dem Attentäter | |
vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verglichen und sich aggressiv | |
verhalten hatte. | |
Die Landesregierung will außerdem nicht nur mit einer härteren Gangart des | |
Rechtsstaates reagieren, sondern auch sozialpolitische Maßnahmen einführen. | |
Das betonen besonders die mitregierenden Grünen. So will das Land etwa | |
Mittel bereitstellen, um Menschen, die psychisch erkrankt sind und zu | |
Gewalt neigen, besser medizinisch betreuen zu können. | |
Dafür soll ein Pilotprojekt gestartet werden: Auch in Schleswig-Holstein | |
soll es künftig eine Präventionsambulanz bei Gewaltkriminalität geben – | |
ähnlich wie sie in Bayern schon existiert. Psychiater:innen, | |
Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und psychiatrische | |
Pflegekräfte betreuen hier Patient:innen mit Risikoprofil und versuchen | |
so dafür zu sorgen, künftige Taten zu verhindern. Kritik hatte die | |
Opposition am Mittwoch daran nicht – konnte sie aber auch nicht haben, da | |
dem Ausschuss bislang kein spezifiziertes Konzept vorgelegt wurde. | |
Zweifel an der Wirksamkeit dieser Ambulanzen gibt es bereits. Das Land muss | |
nämlich Einsparungen vornehmen – Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) | |
hatte deshalb bereits zeitweilig eine Haushaltssperre veranlasst. Deshalb | |
beschloss die Regierung schon die Halbierung der Mittel für | |
Präventionsambulanzen auf 200.000 Euro. „Dieses Projekt hat die Koalition | |
noch vor wenigen Wochen als eine der zentralen Lehren aus der Brokstedt-Tat | |
dargestellt“, sagte der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook. | |
## Daten über Messerangriffe | |
Die am Mittwoch diskutierten Konsequenzen sind der zweite Schwung an | |
Maßnahmen, die seit der Attacke angestoßen wurden. Auf der | |
Justizministerkonferenz vor zwei Wochen hatte Schleswig-Holstein drei | |
Maßnahmen vorgeschlagen, die auf Zustimmung stießen: So soll bei | |
Messerangriffen eine bessere Datengrundlage geschaffen werden, um damit | |
möglichen Handlungsbedarf in der Gesetzgebung zu identifizieren – es fehle | |
an Daten, wie groß das Problem von Messerangriffen bundesweit sei. | |
Im Hinblick auf die unterlassene Kommunikation zwischen Hamburg und | |
Schleswig-Holstein soll zudem ein besserer Informationsaustausch in | |
ausländer- und asylrechtlichen Sachverhalten geschaffen werden. Außerdem | |
soll überprüft werden, ob die zeitnahe Übermittlung aller strafrechtlich | |
relevanten Informationen an die Justizvollzugsanstalten verbessert werden | |
muss. | |
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ibrahim A. erhoben. | |
Grund für die Attacke war aus Sicht der Anklage eine Verärgerung über seine | |
persönliche Situation. Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) sagte, | |
sie rechnet noch im Sommer mit dem Beginn des Gerichtsprozesses. | |
8 Jun 2023 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
## TAGS | |
Polizei Schleswig-Holstein | |
Grüne Schleswig-Holstein | |
Schleswig-Holstein | |
Messerattacke | |
Abschiebung | |
Polizei Niedersachsen | |
Sucht | |
Messerattacke | |
Psychische Erkrankungen | |
Messerangriff | |
Messerattacke | |
Innere Sicherheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tödlicher Polizeieinsatz in Nienburg: Bei Notruf Todesschuss | |
Am Karsamstag erschoss die Polizei einen 46-jährigen Gambier. Die | |
Schilderungen mehrerer Augenzeug*innen und ein Video werfen Fragen | |
auf. | |
Prozess um Messerattacke von Brokstedt: Attentäter wollte eine Therapie | |
Ein Ausländerberater des Gefängnisses sagt, der Angeklagte habe um eine | |
Drogentherapie gebeten. Laut Justizbehörde ist das in U-Haft nicht planbar. | |
Prozessauftakt nach Messerattacke: Ibrahim A. hält sich für unschuldig | |
In Brokstedt soll der 34-jährige Staatenlose auf mehrere Menschen | |
eingestochen haben. Nun hat der Prozess gegen ihn begonnen. | |
Diskussion um Gewaltpräventionsambulanz: Vorsorge unter Stigmaverdacht | |
Nach dem Brokstedt-Attentat will Schleswig-Holstein | |
Gewaltpräventionsambulanzen für psychisch Kranke einrichten. Der | |
Flüchtlingsrat übt Kritik. | |
Zwei Tote in Zug nahe Brokstedt: Anklage wegen Messerangriff | |
Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Ibrahim A.. Ihm wird | |
vorgeworfen, Anfang 2023 zwei Personen in einem Zug nahe Brokstedt | |
erstochen zu haben. | |
Nach Angriff im Regionalzug: Mit KI gegen Messerattacken | |
Hamburg zieht Konsequenzen aus dem tödlichen Angriff bei Brokstedt. Aus | |
U-Haft Entlassene sollen betreut werden und Behörden besser kommunizieren. | |
Nach Messerattacke bei Brokstedt: Kameras schrecken niemanden ab | |
Nach dem Messerangriff im Regionalzug bei Brokstedt wird mehr | |
Kameraüberwachung gefordert. Dass die kaum Straftaten verhindert, ist lange | |
bekannt. |