# taz.de -- Prozess um Messerattacke von Brokstedt: Attentäter wollte eine The… | |
> Ein Ausländerberater des Gefängnisses sagt, der Angeklagte habe um eine | |
> Drogentherapie gebeten. Laut Justizbehörde ist das in U-Haft nicht | |
> planbar. | |
Bild: Ausdruck der Trauer: Blumengestecke und Kränze liegen am Jahrestag nach … | |
HAMBURG taz | Der [1][Messerattentäter im Regionalzug] von Brokstedt hatte | |
in seiner Zeit im Gefängnis vor der Tat den Wunsch nach einer | |
Drogentherapie geäußert. Das berichtete vergangene Woche ein | |
Ausländerberater vor dem Landgericht Itzehoe, wo [2][der Mordprozess seit | |
neun Monaten] verhandelt wird. Doch nach Auskunft der Hamburger | |
Justizbehörde kommt die direkte Entlassung in eine Suchttherapie für | |
Untersuchungsgefangene – wie es der Angeklagte Ibrahim A. formal war – | |
nicht in Betracht. | |
Der Ausländerberater führte in der Hamburger Justizvollzugsanstalt | |
Billwerder vier Gespräche mit Ibrahim A., der sich wegen zweifachen Mordes | |
und vierfachen versuchten Mordes verantworten muss. Der staatenlose | |
Palästinenser war erst wenige Tage vor der Tat aus der Untersuchungshaft | |
entlassen worden. | |
Der Zeuge sagte, die Gespräche im Mai, Juni, September und Dezember 2022 | |
seien völlig normal verlaufen. Ibrahim A. habe die Absicht geäußert, nach | |
der Drogentherapie ein straffreies Leben zu führen, zu arbeiten und eine | |
Familie zu gründen. „Ich habe keinen schlechten Eindruck von ihm gehabt. Er | |
war sehr umgänglich.“ Die Gespräche seien freundlich und angenehm | |
verlaufen. Man habe Deutsch gesprochen. Von psychischen Auffälligkeiten des | |
Angeklagten in der Untersuchungshaft habe er damals gehört, das sei aber in | |
den Gesprächen kein Thema gewesen. | |
Verteidigung fordert Verlegung in Psychiatrie | |
Ibrahim A. steht seit Juli 2023 vor Gericht, weil er am 25. Januar 2023 im | |
Regionalzug von Kiel nach Hamburg ein Messer gezogen und auf Fahrgäste | |
eingestochen hat. Der Angeklagte streitet die Taten nicht ab. Zwei junge | |
Menschen starben, vier wurden schwer verletzt. | |
Die Staatsanwaltschaft hält den Palästinenser für voll schuldfähig. Er habe | |
aus Frustration über einen für ihn erfolglosen Termin bei der | |
Ausländerbehörde in Kiel gehandelt. Die Verteidigung geht dagegen von einer | |
psychischen Erkrankung des Angeklagten aus und fordert seine Verlegung aus | |
der Untersuchungshaft in eine Psychiatrie. | |
Ibrahim A. befand sich vor der Tat seit Januar 2022 in eben jener | |
Untersuchungshaft. Zwar wurde er im August 2022 unter anderem wegen | |
gefährlicher Körperverletzung zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, | |
die er auch absaß. Doch laut Justizbehörde war das Urteil nicht | |
rechtskräftig, da er Berufung eingelegt hatte. | |
Gefragt, warum Ibrahim A. in der JVA Billwerder keine Suchttherapie | |
begonnen hat, erläutert Justizbehördensprecherin Linda Luft, solche | |
Therapien fänden ausschließlich in Krankenhäusern oder in speziellen | |
Suchteinrichtungen statt und dauerten 22 bis 26 Wochen. Reguläre | |
Strafgefangene könnten unter bestimmten Voraussetzungen ihre Strafe zum | |
Zweck einer Therapie zurückstellen oder aussetzen. Und sie könnten in der | |
JVA Billwerder im Wege der Suchtberatung darauf vorbereitet werden. | |
Alternativ könne dies auch „umfassender“ auf der therapievorbereitenden | |
Station der JVA mit ihren 28 Haftplätzen geschehen. | |
## Der Mann erhielt Methadon und Arzt-Adressen | |
„Im Bezug auf Untersuchungsgefangene besteht keine Möglichkeit, sie | |
unmittelbar in eine Suchttherapie zu entlassen“, sagt Luft. Das liege | |
daran, dass der Entlassungszeitpunkt völlig ungewiss sei und die | |
Therapieplätze in Kliniken termingebunden und nicht beliebig lange | |
freizuhalten seien. Und ohne Platz könne die Kostenübernahme mit der | |
Krankenkasse nicht geklärt werden. Geklärt werden müsste auch der | |
ausländerrechtliche Status. Das könne ein „zusätzliches Hindernis“ | |
bedeuten. | |
Gleichwohl könnten alle Untersuchungsgefangene die Leistungen der | |
Suchtberatung in Anspruch nehmen, was Ibrahim A. auch getan habe, betont | |
Luft. Er habe die Ersatzdroge Methadon erhalten und bei seiner Entlassung | |
„Angaben zur Dosierung für den weiterbehandelnden Arzt“ und Kontaktdaten | |
von Praxen bekommen. „In Hamburg können auch Menschen ohne festen Wohnsitz | |
und ohne Krankenversicherung substituiert werden“, sagt die Sprecherin. | |
Gleichwohl hätte man rückblickend mehr für ihn tun müssen. Ibrahim A. war | |
in Billwerder [3][in Folge von Übergriffen in Isolationshaft]. Ein | |
Psychiater, der Ibrahim A. im Juli 2022 untersuchte, [4][sagte im NDR], | |
dieser leide an einer Abhängigkeitserkrankung und einer „psychotischen | |
Reaktion im Rahmen der Inhaftierung“. | |
Der rot-grüne Senat versprach inzwischen mehr Geld, um Hilfen für psychisch | |
kranke Gefangene zu verbessern. Die grüne Justizsenatorin Anna Gallina | |
kündigte zudem „Übergangscoaches“ für Menschen an, die aus der U-Haft in | |
Freiheit entlassen werden, um diese „besser an die Hand“ zu nehmen. | |
Der Prozess in Itzehoe ist noch bis Ende April terminiert. | |
mit Material von dpa | |
16 Mar 2024 | |
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[3] /Hamburg-diskutiert-Messerattacke/!5909563 | |
[4] https://www.ndr.de/nachrichten/info/Brokstedt-Kein-psychiatrisches-Gutachte… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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