| # taz.de -- Prozess gegen Brokstedt-Attentäter: Vieles deutet auf Mord hin | |
| > Die Plädoyers im Prozess um Messerattentat bei Brokstedt sind gehalten. | |
| > Das Gericht erwägt, ob dem Angeklagten Heimtücke oder Mordlust anzulasten | |
| > ist. | |
| Bild: Sein Prozess nähert sich dem Ende: Ibrahim A. im Otzehoer Gerichtssaal | |
| Itzehoe taz | Es war ein letzter Strohhalm, nach dem Rechtsanwalt Björn | |
| Seelbach griff: Bei dem Prozess gegen Ibrahim A. beantragte der Verteidiger | |
| ein zweites [1][Gutachten zum psychischen Zustand seines Mandanten]. Dem | |
| wird zur Last gelegt, am 23. Januar 2023 mit einem Messer in einem | |
| Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein zwei Menschen getötet und | |
| vier weitere schwer verletzt zu haben. | |
| Die Frage, ob es Mord war oder ob der heute 34-jährige Angeklagte zum | |
| Zeitpunkt der Tat aufgrund einer Krankheit nicht schuldfähig ist, bestimmte | |
| den Prozess. Nach den Plädoyers und einer ersten rechtlichen Bewertung des | |
| Gerichts scheint vieles auf Mord zu deuten. | |
| Über zwei Stunden beriet das Gericht um den Vorsitzenden Johannes Lohmann | |
| über die Frage, ob ein zweites Gutachten nötig sei – lange Wartezeiten für | |
| die Beobachter:innen wie auch für den Angeklagten Ibrahim A., der | |
| stets in Handfesseln zum Verhandlungssaal geführt wurde. | |
| Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Psychiater Arno Deister | |
| bescheinigte dem Mann, der aus Gaza stammt und seit 2014 als Staatenloser | |
| in Deutschland lebt, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Trotz | |
| dieser Krankheit sei A. schuld- und steuerungsfähig gewesen, als er am 25. | |
| Januar in den Zug von Kiel nach Hamburg stieg. Dort kam es zu den | |
| Messerstichen. | |
| ## Gericht folgt psychiatrischem Gutachter | |
| Verteidiger Seelbach sieht dagegen Anzeichen dafür, dass A. in einem | |
| psychotischen Zustand war. Doch das Gericht lehnte ein weiteres Gutachten | |
| ab: Deister habe seine Meinung ausreichend begründet. | |
| In seiner rechtlichen Bewertung gab Richter Lohmann zu verstehen, dass das | |
| Gericht dem psychiatrischen Gutachter folgt, also von der Schuldfähigkeit | |
| des Mannes ausgeht. So steht die Anklage Mord im Raum. Allerdings käme im | |
| Fall des erstochenen Schülers auch Totschlag infrage, sagte der Richter. | |
| Der 19-Jährige hatte sich vor seine Freundin gestellt, auf die A. zuerst | |
| eingestochen hatte. Außerdem müsse das Gericht beraten, ob es sich um Mord | |
| [2][aus Heimtücke oder aus Mordlust handele.] Dazu gab Ibrahim A. eine | |
| kurze Stellungnahme ab: „Ich lehne das Töten ab. Mich erschrecken die toten | |
| Menschen, die ich sehen musste. Ich finde das eklig anzusehen.“ | |
| Doch in ihrem Plädoyer zeichnete Staatsanwältin Janina Seyfert ein anderes | |
| Bild. Zu Beginn rief sie einige Aussagen von Zeug:innen in Erinnerung: | |
| „Die Angst ist immer da, man verliert das Vertrauen.“ 97 Personen sind in | |
| dem Prozess gehört worden. Viele von ihnen hatten die Ereignisse im Zug | |
| miterlebt oder waren als Helfer:innen auf dem Bahnhof des kleinen Ortes | |
| Brokstedt dabei gewesen. Aus der „Vielzahl schlaglichtartiger Aussagen“ | |
| ergebe sich ein Bild. | |
| Demnach stahl A. ein Messer, um es gegen Menschen einzusetzen. Im Zug wurde | |
| er ohne Fahrkarte ertappt, musste in Neumünster aussteigen und stieg dann | |
| in den Regionalzug. Dort stach er auf einmal auf die 17-jährige Schülerin | |
| ein. | |
| „Die Angriffsserie begann völlig unvermittelt“, sagte die Staatsanwältin. | |
| Sie bewertet die Taten als „heimtückischen Mord aus niederen Beweggründen“ | |
| und nannte sie „besonders verachtenswert“. Sie verlangte eine lebenslange | |
| Freiheitsstrafe sowohl für die vollendeten Tötungen als auch für die | |
| Angriffe, die nicht tödlich endeten. | |
| Während ihres Plädoyers und jenen der Nebenklage verbarg A. teilweise das | |
| Gesicht in den Händen oder legte den Kopf auf den Tisch. Eine | |
| Nebenklage-Anwältin kritisierte die Medien, die über A.s mögliche | |
| [3][Schuldunfähigkeit] berichtet hatten: Sie seien der Erzählung der | |
| Verteidigung gefolgt. | |
| Verteidiger Seelbach beantragte in seinem Plädoyer erneut, A. sei aufgrund | |
| mangelnder Schuldfähigkeit vom Mord-Vorwurf freizusprechen. Die Taten | |
| bestritt er nicht: A. sei in seinem psychotischen Zustand „völlig außer | |
| Kontrolle geraten“. Er solle deswegen [4][in der Psychiatrie untergebracht | |
| werden.] | |
| Das Urteil soll Mitte Mai folgen. Die Tat hatte auch zu politischen | |
| Debatten geführt: Ibrahim A. hatte ein Jahr lang in Hamburg in U-Haft | |
| gesessen und war ohne Vorbereitung entlassen worden, obwohl er als | |
| aggressiv und psychisch gestört auffiel. Auch wusste die Kieler | |
| Ausländerbehörde nichts von der Haft in Hamburg. Doch die Staatsanwältin | |
| betonte, dass es beim Urteil nicht darum gehe, weitere Verantwortliche | |
| außer A. zu finden: „Die Opfer hatten damit nichts zu tun.“ | |
| 2 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gutachten-zu-Brokstedt-Attentaeter/!6003692 | |
| [2] /Prozess-um-Angriff-von-Brokstedt/!6000464 | |
| [3] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__20.html | |
| [4] /Prozess-um-Messerattacke-von-Brokstedt/!5997032 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
| ## TAGS | |
| Schleswig-Holstein | |
| Attentäter | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Justiz | |
| Täter | |
| Attentäter | |
| Messerangriff | |
| Sucht | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Urteil im Brokstedt-Prozess: Lebenslang für tödliche Attacke | |
| Mit einem Messer ging Ibrahim A. in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein | |
| auf Fahrgäste los, zwei Menschen starben. Das Gericht befindet auf Mord. | |
| Gutachten zu Brokstedt-Attentäter: Psychisch krank aber schuldfähig | |
| Der Psychiater und Gutachter Arno Deister hält den Attentäter Ibrahim A. | |
| für schuldfähig. Dieser hatte 2023 in einem Zug auf Mitreisende | |
| eingestochen. | |
| Prozess um Angriff von Brokstedt: Ein „böser Teufel“ im Kopf | |
| Im Prozess um tödliche Messerstiche in einem Regionalzug geht es um die | |
| Frage: In welchem psychischen Zustand war der Täter? Zwei Ärzte sagten aus. | |
| Prozess um Messerattacke von Brokstedt: Attentäter wollte eine Therapie | |
| Ein Ausländerberater des Gefängnisses sagt, der Angeklagte habe um eine | |
| Drogentherapie gebeten. Laut Justizbehörde ist das in U-Haft nicht planbar. |