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# taz.de -- Gutachten zu Brokstedt-Attentäter: Psychisch krank aber schuldfäh…
> Der Psychiater und Gutachter Arno Deister hält den Attentäter Ibrahim A.
> für schuldfähig. Dieser hatte 2023 in einem Zug auf Mitreisende
> eingestochen.
Bild: Nun gibt es ein psyiatrisches Gutachten: Ibrahim A. beim Weg in den Geric…
Itzehoe taz | In welchem Zustand befand sich Ibrahim A. am 25. Januar 2023?
Ihm wird zur Last gelegt, an diesem Tag mit einem Messer in einem
Regionalzug bei Brokstedt [1][auf Mitreisende eingestochen] zu haben. Zwei
Jugendliche starben, weitere Personen wurden schwer verletzt, eine Frau
starb später infolge der Tat. War es Mord, wie die Staatsanwaltschaft ihm
vorwirft, oder war der 34-Jährige, der aus Palästina stammt, [2][psychisch
krank] und nicht schuldfähig?
Der Psychiater und Gutachter Arno Deister vermutet eine posttraumatische
Belastungsstörung (PTBS) des Angeklagten. Trotzdem sei A. in seiner
Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen, sagt der
Gutachter. Eine Unterbringung in der Psychiatrie und spätere
Sicherungsverwahrung könne dennoch sinnvoll sein. Denn in einer normalen
Haft könne A. eine Gefahr darstellen, und für die Zukunft seien weitere
Taten nicht auszuschließen.
Ibrahim A. schaute meist zu Boden während der Aussage des Gutachters,
einmal bat er um eine Pause: „Kopfschmerzen.“ Deister hatte ihn im
Verhandlungssaal beobachtet und einige Gespräche mit ihm geführt. Bei den
Treffen wurde A., der seit 2014 als Staatenloser in Deutschland lebt, stets
unruhig, wenn er über sein Leben in Gaza sprechen sollte, und brach die
Gespräche ab.
Entsprechend ausführlich ging Deister auf A.s mutmaßliche Erfahrungen in
Gaza ein. Nicht alles ist klar, aber es gibt Aussagen über Haft und
Verbrennungen durch die Hamas. Eine Ärztin, die A. kurz nach seiner Ankunft
in Deutschland untersucht hatte, sprach von möglicher Folter, auch sie
vermutete eine posttraumatische Belastungsstörung.
Anfang 2022 kam A. wegen einer anderen Gewalttat in Hamburg-Billwerder in
Untersuchungshaft, die fast ein Jahr dauerte. In dieser Phase seien weitere
Symptome hinzugetreten, darunter Halluzinationen und verschobene
Wahrnehmungen: „Die redeten mit mir aus der Heizung, auch aus der Lampe,
die haben mich über den Fernseher gesehen“, hatte A. dem Gutachter gesagt.
Die Ärzte, die ihn in jener Phase behandelten, berichteten von
psychotischen Symptomen – die aber nach Deisters Ansicht nicht Ausdruck
einer tatsächlichen Psychose gewesen seien, sondern Teil der PTBS. Die Zeit
im Gefängnis habe eine Retraumatisierung bewirkt.
Kurz ging der Gutachter darauf ein, ob Drogen eine Rolle gespielt haben.
Hasch konsumierte A. bereits als Jugendlicher, in Deutschland kamen Heroin
und Kokain hinzu – in welchen Mengen, sei unklar. Im Gefängnis [3][bekam er
die Ersatzdroge Methadon]. Deister ließ durchblicken, dass er das etwas
problematisch fand, da es keinen Beleg für eine Abhängigkeit gab. Möglich
seien Entzugssymptome, als A. aus der U-Haft entlassen wurde, sie seien
aber wohl nicht stark gewesen.
Im Januar 2023 ordnete ein Gericht A.s Entlassung an, weil die Dauer einer
möglichen Strafe erreicht war. Auf die Freiheit gab es keine Vorbereitung,
obwohl A. obdachlos war. Die Kieler Ausländerbehörde, bei der der
Staatenlose gemeldet war, wusste weder von der Haft noch von der
Entlassung. Die Zusammenarbeit der Behörden zu verbessern, versprachen
beide Landesregierungen nach der Tat. Passiert ist wenig, immerhin schuf
Hamburg ein Entlass-Management für Untersuchungshäftlinge und
Schleswig-Holstein richtete [4][eine Präventions-Ambulanz] ein.
Damals war A. nach Kiel gefahren, um seine Papiere in Ordnung zu bringen.
Auf der Rückfahrt geschah die Tat. Dass A. die Situation nicht real
erlebte, hielt Deister für unwahrscheinlich. Zwar hätten einige Zeugen den
Mann als teils emotionslos und unbeteiligt geschildert, andere ihn aber als
zielgerichtet erlebt.
Damit bestätigt der Gutachter die Staatsanwältin Janina Seyfert. Sie
beschuldigt A. des Mordes und versuchten Mords. Grund für den Angriff auf
die Unbeteiligten im Zug könnte demnach gewesen sein, dass er in Kiel seine
Angelegenheiten nicht klären konnte. Zu Deister hatte A.gesagt, er sei von
seinem späteren Opfer, einem deutschen Schüler, auf Arabisch beleidigt
worden, dagegen habe er sich wehren müssen.
26 Apr 2024
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## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Attentäter
Schleswig-Holstein
Posttraumatische Belastungsstörung
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Schwerpunkt Flucht
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