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# taz.de -- Vorwürfe gegen Hamburger Justiz: Amtlicher Rassismus hinter Gittern
> Ein Insasse der Hamburger Untersuchungshaftanstalt meldet die
> rassistische Behandlung eines Zellennachbarn. Der Senat scheint das zu
> ignorieren.
Bild: Untersuchungshaftanstalt am Hamburger Holstenglacis: Beamte sollen sich r…
Hamburg taz | Es ist eine lange Liste an Vorwürfen von Gewalt durch
Justizbeamte und rassistischen Beleidigungen eines Ausländers in der
Nachbarzelle, die ein Hamburger Untersuchungsgefangener erhebt: Sätze wie
„Halts Maul, sonst kriegst du auf die Fresse. Verpiss dich in dein
Gummiboot“, „Du dummes Stück Scheiße, schnapp dir ein Gummiboot und verpi…
dich, wo du hergekommen bist“ und „Ich kann dich hier drin auch totprügeln…
will Leon P. etwa am 2. Dezember vergangenen Jahres aus der Nachbarzelle
gehört haben.
Außerdem soll der Gefangene gegenüber einem Beamten geklagt haben, dass ein
anderer Beamter ihn geschlagen habe. Darauf hätte der gesagt: „Hab ich
nicht gesehen. Du bist ’ne Fotze, ’ne kleine Fotze.“
Die taz erhielt ein Schreiben von Leon P., in dem er die Vorwürfe auflistet
und welches er nach eigener Aussage fast wortgleich auch als Beschwerde an
die Anstaltsleitung schickte. Doch in einer aktuellen Antwort auf eine
Anfrage der Linksfraktion zu Beschwerden über Diskriminierung und
Hasskriminalität durch [1][Mitarbeitende des Justizvollzugs] fand dieser
Fall keine Erwähnung.
In seiner eigenen Sache hatte P. noch aus der Untersuchungshaftanstalt
Hamburg am Holstenglacis heraus Strafanzeige gestellt. Die Vorfälle hätten
sich dort in den ersten Tagen in der Aufnahmestation in Haus A zugetragen.
Es sei ein schlimmes Gefängnis, sagt der Mittzwanziger, der inzwischen
wieder entlassen ist. „Mit mir waren sie scheiße umgegangen, aber mit den
Ausländern noch fieser.“
## „Hörst du jetzt auf, du Wichser?“
Er selbst sei in seiner Zelle am Tag nach seiner Verhaftung Ende November
sehr wütend gewesen, weil ihm weder bei der Polizei [2][noch in U-Haft]
erlaubt worden sei, seinen Anwalt anzurufen. Nachdem er nach Tisch und
Stuhl trat, womit er in der sonst leeren Zelle niemand hätte verletzen
können, seien die Beamten reingekommen, um ihn in den „Bunker“ zu bringen,
einen besonders gesicherten Verwahrraum.
Er sei widerstandslos mitgekommen, die Beamten hätten ihn rechts und links
an den Armen festgehalten. Da hätte ein Beamter, der hinter ihm stand,
versucht, ihm die Beine wegzutreten. Er habe daraufhin in seiner Wut
darüber den Kopf gedreht und versucht, den Mann anzuspucken, ohne zu
treffen. Im dem Moment hätten mehrere Beamte ihn auf den Boden gedrückt und
seinen Arm nach hinten verdreht. Ein Bediensteter, dessen Namen er später
notierte, hätte ihm zwei Mal ins Gesicht geschlagen und dabei gesagt:
„Hörst du jetzt auf, du Wichser?“
P. schreibt, er habe durch einen im Anschluss angewandten Schmerzgriff noch
mehrere Tage Schmerzen gehabt und Abschürfungen im Gesicht auf der Seite,
mit der er auf dem Boden aufschlug. Das habe er sich von der
Gefängnisärztin dokumentieren lassen. In seiner Sache läuft nun ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gemäß
Paragraf 340 Strafgesetzbuch beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE). Das
bestätigen auch Innenbehörde und Staatsanwaltschaft.
Doch auch die Dinge, die er wenige Tage später aus der Nachbarzelle
vernommen haben will, dokumentierte Leon P. mit minutengenauen Angaben,
wann jedes der insgesamt acht beleidigenden Zitate fiel. Und er sagt, er
habe dies einer Beschwerde an die Anstaltsleitung angefügt.
## Vorfall taucht in Senatsantwort nicht auf
Er tat das auch deshalb, weil er hörte, dass es schon mal Berichte über
rassistischen Umgang mit U-Häftlingen gab. Die Linksfraktion in der
Hamburger Bürgerschaft hatte mehrere Anfragen zu „Hasskriminalität“
gestellt, womit auch mit Rassismus verbundene Kriminalität gemeint ist, und
fand so heraus, dass es hierzu mehrere Vorwürfe gegen Bedienstete der
U-Haft-Anstalt gab. Am 5. November 2022 soll ein Bediensteter einen
Gefangenen geschubst haben, sodass er mit dem Fuß umknickte und Schmerzen
erlitt, und ihn unter anderem als „Kanaken“ beschimpft haben.
Am 9. Dezember 2022 sollen die Mitarbeiter einen Gefangenen grundlos zu
Boden gebracht, gegen Kopf und Füße getreten und mit dem „N-Wort“
beschimpft haben. Und am 26. Januar 2023 soll ein Bediensteter einen
Insassen beschimpft haben, er solle zurück nach Senegal gehen, obwohl dies
nicht sein Herkunftsland ist, nachdem er nach längerem Warten in einem
Haftraum durch Klopfen auf sich aufmerksam machte. Der Beamte und fünf
weitere Bedienstete sollen den Mann dann am Boden fixiert und geschlagen
haben.
All dies ist nachzulesen in den Antworten auf Anfragen der Linken. Wobei
der Senat zusicherte, er werde die Dienstvorschrift des Justizvollzugs
überarbeiten, in der „ausdrücklich klargestellt“ werden soll, dass das
Verhalten der Bediensteten nicht zu diskriminierenden Behandlungen wegen
rassistischer oder kulturchauvinistischer Zuschreibungen führen darf.
Die Vorwürfe vom 5. November 2022 und 26. Januar 2023 beziehen auf das
besagte Haus A. Dort ist laut Behörde auch der von P. namentlich genannte
Beamte weiter im Dienst. Die Vorwürfe vom 9. Dezember 2022 bezogen sich auf
eine andere U-Haft-Station. Hier wurden die Ermittlungen laut Senat
eingestellt. Der Gefangene habe bei der Vernehmung gesagt, er könne sich
kaum an den Vorfall erinnern.
Die Linke hakte im Februar dieses Jahres nochmal nach, stellte eine neue
Anfrage, in der sie nach weiteren Fällen von Hasskriminalität durch
Mitarbeitende des Justizvollzugs seit Januar 2022 fragt. Doch in der
Antwort vom 23. Februar dieses Jahres fehlt jeder Hinweis auf die
Schilderungen des Leon P. und seine Beschwerde.
Das DIE habe im fraglichen Zeitraum „keine weiteren Fälle im Sinne der
Fragestellung bearbeitet“, schreibt der Senat. Und bei der
Staatsanwaltschaft liege dazu keine Statistik vor. Auch in einer als Anlage
angefügten Tabelle, die ältere Beschwerden aus der U-Haft wegen
rassistischer Beleidigung und unangemessenen Verhaltens enthält, fehlt der
Fall.
## Linke bezweifelt, ob Gefangene geschützt sind
Auf die Frage der taz, wieso das so ist, [3][geben die zuständigen Stellen
kaum aufschlussreiche Antworten.] Die Innenbehörde erklärt, beim DIE sei
zwar ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Körperverletzung im Amt
zum Nachteil von P. bekannt. Doch dessen Schilderungen zum Nachteil eines
anderen Insassen könne „keinem dem DIE vorliegenden Ermittlungsverfahren
zugeordnet werden“.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg erklärt zunächst, aufgrund von P.s
Unterlagen würden zwei Ermittlungsverfahren geführt, die beide an das DIE
versandt wurden. Doch eine nochmalige Nachfrage bei der Innenbehörde
ergibt: Es gibt nur ein Verfahren. Und: In der Sache des Nachbar-Insassen,
der laut P. ein Flüchtling gewesen sein muss, wird nicht ermittelt.
Die Justizbehörde wiederum erklärt, sie hatte keine Kenntnis von dem
Ermittlungsverfahren gehabt. Zur Frage, warum sie nicht P.s Beschwerde als
solche in der Senatsantwort erwähnte, heißt es, die Anstaltsleitung habe
den Brief von Herrn P. als Strafanzeige gewertet und an die
Staatsanwaltschaft geschickt. Und über Strafanzeigen gibt der Senat in der
Kleinen Anfrage keine Antwort, weil die Zeit zu knapp sei, diese händisch
auszuwerten. Auch disziplinarisch passierte nichts.
So rutscht der Fall durch. „Die beschriebenen Äußerungen sind rassistisch
und es ist unerklärlich, es ist unerklärbar, dass die Behörden den
Vorwürfen nicht ernsthaft nachgehen“, sagt indes die justizpolitische
Sprecherin der Linksfraktion, Cansu Özdemir. Hasskriminalität im Vollzug
sei keine Lappalie, sondern stelle die Integrität des Justizvollzugs
ernstlich infrage. Die Häufung der Fälle werfe zudem die Frage nach
strukturellen Defiziten in Bezug auf Rassismus und Gewalt gegenüber
Gefangenen auf.
Özdemir fordert externe Melde- und Ermittlungsstellen, um solche Fälle
künftig aufklären und verhindern zu können. Dass die Justizbehörde nicht
mal in der Lage sei, die Fallzahlen korrekt zu erfassen, lasse daran
„zweifeln, dass die Gefangenen ausreichend geschützt werden“.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben nach Erscheinen des Artikels im dritten
Absatz die Formulierung „Anfrage der Linksfraktion“ in „Antwort auf eine
Anfrage der Linksfraktion“ präzisiert.
11 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Kaija Kutter
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