# taz.de -- Urteil gegen Justizvollzugsbeamten: Ungerechtfertigte Schläge | |
> Ein Beamter einer Hamburger Justizvollzugsanstalt steht wegen | |
> Körperverletzung eines Häftlings vor Gericht. Das Urteil: über 11.000 | |
> Euro Geldstrafe. | |
Bild: Genießt keinen guten Ruf: die Hamburger Untersuchungshaftanstalt am Hols… | |
Hamburg taz | Der Prozess zieht sich über mehrere Termine. Einmal stehen | |
der Angeklagte Christoph K., seine Kollegen aus der Hamburger | |
Untersuchungshaftanstalt und sein Anwalt auf dem Flur. „Unser angeblich | |
Geschädigter ist nicht da“, sagt einer von ihnen und das „angeblich“ ist | |
deutlich zu hören. Dieser angeblich Geschädigte ist Jakub W.. Der | |
Justizvollzugsbeamte Christoph K. soll auf ihn eingeschlagen haben, als er | |
bereits auf dem Boden des Gefängnisflurs lag. Nun ist K. wegen | |
[1][Körperverletzung im Amt] und Nötigung angeklagt. | |
Solch ein Fall ist selten, aber die Pressebank ist leer. Nur die Kollegen | |
von Christoph K. kommen zuverlässig zu den Terminen. „Vielen Dank, dass ihr | |
da wart“, sagt K. zum Abschied nach einem Prozesstag zu ihnen. „Das weiß | |
ich zu schätzen.“ | |
Christoph K., 41, ist ein kräftiger Mann mit Kinnbart, verheiratet, zwei | |
Kinder. Er kommt in weißem Hemd und schwarzen Jeans. Es ist ihm anzumerken, | |
dass es hier um etwas geht. Seit dem Vorfall im Juli 2023 ist er vom Dienst | |
suspendiert, der Ausgang des Prozesses wird eine Rolle spielen im | |
Disziplinarverfahren, das gegen ihn läuft. | |
Tatsächlich spielt es erst einmal keine große Rolle, dass Jakub W. vom | |
Gericht zunächst nicht ausfindig zu machen ist. Es gibt ein Video der | |
Überwachungskameras in der Haftanstalt, das zeigt, was auf dem Flur | |
passiert ist. Von der Pressebank aus ist es schlecht zu deuten, zwei | |
Figuren, die plötzlich umzufallen scheinen, aber vorne erkennt man mehr. | |
„Er musste sich mit Nachdruck wehren“, sagt der Anwalt des Angeklagten. | |
„Wir reden nicht über das Zubodenbringen“, sagt der Richter. „Ich sehe a… | |
Schlagbewegungen, die erschließen sich mir nicht.“ Der Anwalt von Christoph | |
K. versucht, sie plausibel zu machen: „Wenn Sie es vergleichen mit dem | |
Widerstand gegen Polizeibeamte, der ist zu brechen.“ | |
Laut Erklärung des Angeklagten ist die Vorgeschichte folgende: Der | |
Untersuchungshäftling W. schrie laut aus dem Fenster und hörte auch nach | |
zwei Ermahnungen nicht damit auf. Bei der dritten Aufforderung habe er den | |
Hitlergruß gezeigt und mit einem Tetrapack nach ihm geworfen. Schließlich | |
sei W. ihm auf den Flur gefolgt. „Touch me again and you will see“, habe er | |
dort gesagt, woraufhin K. von einem „unmittelbar bevorstehenden Angriff“ | |
ausgegangen sei. Dann habe der Angeklagte den Häftling, so liest es der | |
Anwalt in Justizvollzugssprache vor, mit einem „Nasendruck kontrolliert zu | |
Boden gebracht“. | |
Zur Vorgeschichte können die Zeugen, die das Gericht danach anhört, nichts | |
sagen. Es sind K.’s Kollegen, die „hinzugeeilt sind“, so sagen sie | |
merkwürdig altertümlich, als K. den Alarmknopf drückte. Sie können sich an | |
keine Schläge von K. erinnern, nur an die heftige Gegenwehr von Jakub W., | |
aufgrund derer zwei Beamte damit beschäftigt waren, seine Beine zu | |
fixieren. | |
„Warum kommen da so viele Beamte?“, fragt die Staatsanwältin. „Das ist so | |
üblich, damit möglichst wenige von uns zu Schaden kommen“, sagt der | |
Justizvollzugsbeamte T.. Später, auf dem Flur, wird der Vorgesetzte des | |
Angeklagten sagen: „Das ist doch eine Geisellage, darum kommen so viele“, | |
und es klingt so, als glaube er nicht, dass sich die Staatsanwältin | |
vorstellen kann, wie eine JVA funktioniert. | |
Und auch wenn an diesem Tag der wichtigste Zeuge, Jakub W., immer noch | |
nicht aufzufinden ist, gibt es Interessantes zu erfahren, vor allem in den | |
Nebensätzen. Der Rechtsanwalt fragt den Zeugen T., was der Angeklagte für | |
ein Mensch sei. „Ein sehr straighter Kollege“, sagt T., „wir sind ein | |
bisschen strenger.“ Persönlich sei K. ein „humorvoller Typ“, die Gefange… | |
seien auch auf ihn zugekommen. | |
Und dann wieder einer der Nebensätze: W. sei zunächst „ruhig und höflich“ | |
gewesen, aber nach ein bis zwei Wochen habe er sich verändert, ab dann sei | |
er „fordernd und aggressiv“ gewesen. Warum? Das wisse er nicht, vielleicht | |
ein Gesprächstermin oder ein Besuch. Nachgefragt hat anscheinend niemand, | |
auch das Gericht fragt nicht. Aber dessen Auftrag ist es, die | |
Körperverletzung aufzuklären, als den Eisberg sozusagen und nicht die | |
Kältegrade ringsherum. | |
Und noch so eine Fußnote, als das Gericht weiter nachfragt, ob T. wirklich | |
keine Schlagbewegungen gesehen habe, als er „hinzueilte“. „Die | |
Anstaltsleitung war auch der Meinung, dass ich mehr gesehen haben muss“, | |
sagt T.. „Mir vorzuwerfen, ich hätte mehr gesehen, ist fast beleidigend.“ | |
Aber auch wenn keiner der Zeugen etwas von Schlägen gesehen haben will – | |
die Akten des Krankenhauses, in das W. auf seinen Wunsch hin gebracht | |
wurde, sprechen für sich: festgestellt sind Prellungen an Kopf und | |
Oberkörper, ein Wirbelsäulen- und Beckentrauma. | |
Knapp zwei Monate nach Beginn des Prozesses erscheint Jakub W., 41, | |
Geschädigter und Zeuge, tatsächlich vor Gericht. Er kommt aus der | |
Untersuchungshaft in Chemnitz, davor war er in Polen in Haft. Er ist | |
gelernter Verputzter, Trockenbau, kurz geschorenes rot-blondes Haar. Die | |
Fragen des Gerichts beantwortet er gern. „Ich kann mich wunderbar | |
erinnern“, sagt er, „ich wurde brutal geschlagen, ich habe nichts getan, | |
ich habe die Unversehrtheit des Körpers des Beamten nicht verletzt.“ | |
Was er sagt, gewinnt in der Übersetzung durch die Dolmetscherin eine | |
gewisse Förmlichkeit, die es in Wirklichkeit vermutlich nicht hat. Er habe | |
einem polnischen Zellennachbarn die Bitte zugerufen, seiner Familie zu | |
sagen, wo er sei, und nicht gewusst, dass solche Rufe verboten seien. | |
Ab dann weicht das, was W. erzählt, weit ab von dem, was der Angeklagte | |
vorgebracht hat. Er habe kein Tetrapack geworfen; dass sein Gruß der | |
verbotene Hitlergruß gewesen sei, habe er nicht gewusst. Gegenüber der | |
Polizei hat W. gesagt, [2][dass K. ihn als Polen rassistisch behandelt | |
habe], nun will er K. am Tattag zum ersten Mal gesehen haben. Aber: Wie | |
provozierend W. auch gewesen sein mag – und nach allem Anschein ist er | |
nicht der „Mustergefangene“, als den er sich unaufgefordert beschreibt – | |
für den Tatvorwurf spielt das keine große Rolle. | |
## Plötzlich geht es schnell | |
Und an dem hält die Staatsanwältin unverändert fest. Nachdem W. den Saal | |
verlässt, geht das Verfahren, das Wochen gedauert hat, in nicht mal einer | |
Stunde zu Ende. Die Staatsanwältin fordert eine Bewährungsstrafe von sechs | |
Monaten. Sie sieht es als erwiesen an, dass K. nicht aus Notwehr handelte. | |
Selbst wenn man den Nasengriff hinnehme, blieben vier Schläge, die sich | |
nicht rechtfertigen ließen. | |
K.s Anwalt dagegen kann keine Schläge seines Mandanten auf dem Video | |
erkennen. „Muss der Beamte sich denn erst schlagen lassen?“, fragt er | |
rhetorisch – und beantragt Freispruch. Christoph K. steht ein letztes Wort | |
zu. „Er hat versucht, mich zu dominieren“, sagt er über W.. „Er war nicht | |
durchsucht; ich bin ein paar Mal angegriffen worden.“ | |
Das Gericht verurteilt Christoph K. zu 150 Tagessätzen à 75 Euro. Er könne | |
sich vorstellen, dass es eine schwierige Situation für K. gewesen sei, sagt | |
der Richter. Natürlich seien Leute, die strafverdächtig seien, nicht völlig | |
ungefährlich – W. sei jedoch nur verbal aggressiv gewesen. Und selbst wenn | |
K. die Lage als gefährlich eingeschätzt habe – „ich sehe für diese Schl�… | |
keine Rechtfertigung“. | |
K. atmet tief aus, als er das Urteil hört und man weiß nicht, ob es | |
Erleichterung oder Enttäuschung ist. Später, im Flur, fragt er seinen | |
Anwalt: „Ist das das Mittelmaß?“ | |
11 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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