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# taz.de -- Skandal an der JVA Augsburg-Gablingen: „Der ist doch hinterher ei…
> Der Gefängnisskandal von Augsburg hat üble Missstände offenbart. Der
> ehemalige JVA-Leiter Thomas Galli benennt grundsätzliche Probleme mit dem
> System.
Bild: Strafvollzugsexperte Thomas Galli hat früher selbst Justizvollzugsanstal…
taz: Herr Galli, ist die Würde des Gefangenen in Deutschland unantastbar?
Thomas Galli: Ich würde sagen: Nein. Auch wenn man vielleicht mit
entsprechender juristischer Spitzfindigkeit anders argumentieren könnte.
Aber mit der Würde eines erwachsenen Menschen hat das oft wenig zu tun, was
in deutschen Vollzugsanstalten mit Inhaftierten passiert.
taz: Aktuell lässt einen gerade der [1][Skandal um die JVA
Augsburg-Gablingen] an einer menschenwürdigen Behandlung von Häftlingen
zweifeln. Dort wurden willkürliche Isolierungen bekannt, ohne Matratze,
nackt, für Tage oder Wochen. Jetzt beschäftigt sich die bayerische
Landesregierung mit dem Thema. Waren Sie überrascht über das, was über die
dortigen Zustände zu hören war?
Galli: Ja. Zumindest das Ausmaß der Vorwürfe hat mich schon überrascht.
Bayern ist zwar als hartes Pflaster im Strafvollzug bekannt, und das
Augsburger Gefängnis hat seit Jahren den Ruf, dass dort selbst für
bayerische Verhältnisse besonders hart durchgegriffen wird. Aber was jetzt
im Raum steht, hätte ich nicht für möglich gehalten.
taz: Im Mittelpunkt der Vorwürfe stehen ja die gerade erwähnten,
sogenannten BgHs, die „besonders gesicherten Hafträume“. Gefangene sollen
da in fensterlose Kellerräume gesperrt worden sein.
Galli: Meiner Meinung nach ist das rechtlich überhaupt nicht zu
rechtfertigen. Aber die Haftanstalten entwickeln über die Jahre oft ihre
eigene Logik. Ein Beispiel: Nach den Vorschriften müsste man ja einem
Gefangenen in einem BgH zumindest eine Papierunterhose zur Verfügung
stellen. Nun gab es aber vielleicht einmal unter Zehntausenden von
Häftlingen einen Fall, wo ein suizidgefährdeter Gefangener versucht hat,
sich mit dieser Unterhose zu ersticken. Das können die zuständigen Beamten
nun als Argument hernehmen, um einen Häftling völlig nackt in den Raum zu
sperren.
taz: Der JVA wird vorgeworfen, gegen entsprechende Vorschriften verstoßen
zu haben: Es hätte eine Matratze in dem BgH geben sollen, dem Häftling
hätte man besagte Papierunterhose zur Verfügung stellen müssen. Sprich: Mit
Papierunterhose und Matratze wäre so ein Kellerverlies schon okay?
Galli: Nein, das ist natürlich in jedem Fall furchtbar für die Betroffenen.
Man muss aber auch sehen, dass es Anstalten gibt, wo diese Räume wochenlang
nicht in Benutzung sind, wo die Beamten sehr gewissenhaft arbeiten und nur
in absoluten Notfällen dort jemanden unterbringen.
Welche Notfälle rechtfertigen denn eine solche Unterbringung?
Galli: Ich habe so etwas in meiner Zeit im Strafvollzug auch schon erlebt:
Da wird am Samstag von der Polizei jemand eingeliefert, der vielleicht
unter Drogen steht und sich vorher schon geritzt hat. Und im Knast ruft er
dann: „Ich bring mich um.“ Bis Montag ist kein Psychiater verfügbar, und du
musst eine Entscheidung treffen. Das ist nicht leicht. Den Bediensteten vor
Ort darf man nicht generell bösen Willen unterstellen. Die sind oft einfach
überfordert. Was, wenn sie die Drohung nicht ernst nehmen, und dann nimmt
sich der Mann tatsächlich das Leben? Dann möchte man nicht in deren Haut
stecken. Aber es kann keinen Grund geben, dort jemanden wochenlang
unterzubringen. Der ist doch hinterher ein völlig gebrochener Mensch. Mit
solchen Maßnahmen befördert man psychische Probleme ja erst. Deshalb müssen
wir die Strukturen des Systems grundsätzlich hinterfragen.
taz: Das heißt?
Galli: Dass man zum Beispiel genügend Bedienstete bereitstellt, auch solche
mit psychologischen und psychiatrischen Fachkenntnissen, um gegebenenfalls
mit so einem Fall, wie ich ihn geschildert habe, auch anders umgehen zu
können. Mit entsprechenden Ressourcen müsste man niemanden oder wirklich
fast niemanden mehr derart unterbringen.
taz: Bräuchte man nicht vor allem ein effektiveres Kontrollsystem?
Galli: Es gäbe da sicher Verbesserungsmöglichkeiten. In Bayern ist
beispielsweise eine richterliche Anordnung nötig, wenn ein Häftling
fixiert, also gefesselt wird. Etwas ähnliches wäre natürlich auch für die
Unterbringung in einem BgH denkbar. Oder ein Beispiel aus Sachsen: Zu der
Zeit, als ich die JVAs in Zeithain und Torgau geleitet habe, hat dort der
für den Strafvollzug zuständige Abteilungsleiter im Ministerium angeordnet,
dass immer, wenn jemand in einem solchen Raum eingeschlossen wurde, ein
Beamter abgestellt werden musste, der dauernd vor Ort war – einerseits zur
Beobachtung, andererseits als Ansprechpartner für den Inhaftierten. So
wurde erreicht, dass es sich die Anstalten nicht zu leicht machten. Aber
ich sehe den eigentlichen Knackpunkt nicht bei Kontrollen und rechtlichen
Vorgaben. Es ist eine Frage der Philosophie.
taz: Das müssen Sie näher erklären!
Galli: Wenn sich das Justizministerium wirklich Gedanken machen würde über
die Gefangenen, darüber, wie man mit ihnen menschlich umgehen kann, dann
würde ein ganz anderer Geist herrschen, nicht diese bürokratische
Absicherungsmentalität. Aber ein solcher Geist muss gelebt werden. Wenn ich
sehe, [2][wie der bayerische Justizminister Georg Eisenreich auf die
Vorwürfe reagiert], macht mich das nicht zuversichtlich. Da gehen
schwerwiegende Vorwürfe einer Anstaltsärztin beim Ministerium ein, und
alles, was das Ministerium macht, ist, darauf zu achten, dass alles
bürokratisch korrekt abgehandelt wird: Man gibt den Fall an die
Staatsanwaltschaft ab, schreibt der Ärztin, ob sie ihre Vorwürfe nicht noch
etwas detaillierter beschreiben könne …
taz: … und dann kontaktiert man noch die Anstaltsleitung und fragt, ob die
Vorwürfe zutreffen. Überraschenderweise lautet die Antwort: Nein, bei uns
läuft alles korrekt. Sollen die Anstalten und der Strafvollzug etwa weniger
kontrolliert werden?
Galli: Das klingt nicht nach strenger Kontrolle. Das klingt aber auch nicht
danach, dass sich da jemand wirklich Sorgen oder Gedanken macht. Wenn die
Vorwürfe, die jetzt im Raum stehen, nur im Ansatz stimmen, dann sind das
die seit Jahrzehnten schlimmsten Zustände, die in einem deutschen Gefängnis
bekannt wurden. Und das Ministerium als Aufsichtsbehörde ist nur daran
interessiert, sich formal abzusichern. Dabei ist das ein ganz massives
strukturelles Problem, das nicht mit Vorschriften und Regelungen in den
Griff zu bekommen ist.
taz: Es gibt ja auch den Vorwurf, dass es in der Haftanstalt einen
Sicherheitsdienst, die SIG, gegeben haben soll, der als so eine Art
Schlägertrupp fungiert haben und exzessive Gewalt an Häftlingen ausgeübt
haben soll.
Galli: In der Sicherungsgruppe, also der SIG, sind speziell ausgebildete
Beamte, die in Gefahrensituationen verletzungsfrei Menschen überwältigen
können. So wie es sich anhört, sind die meisten Bediensteten, gegen die die
Staatsanwaltschaft jetzt in Augsburg ermittelt, Mitglieder der SIG. Wenn es
diese Übergriffe gegeben hat, ist das ein ganz großer Skandal – aber nicht
repräsentativ für den allergrößten Teil der Vollzugsbediensteten. Die SIGs,
die ich kenne, sind definitiv keine Schlägertrupps.
taz: Kann sich innerhalb der Gefängnismauern eine Art Willkür-Regime
etablieren?
Galli: Da müssten wir uns erst mal mit dem Gefängnisgedanken an sich
auseinandersetzen, mit diesem Prinzip einer geschlossenen Anstalt, in der
eine große Anzahl von Menschen auf engstem Raum möglichst kostengünstig
verwaltet werden soll. Das lässt zwangsläufig wenig Raum für den Einzelnen
und führt zu großen Spannungen. Dadurch ergibt sich nach der
anstaltseigenen Logik wiederum die Notwendigkeit, rigide zu reagieren, um
zu verhindern, dass die Situation eskaliert. So entstehen erst viele der
Probleme, die wir im Strafvollzug haben.
taz: Nun gilt ja als Hauptzweck von Freiheitsstrafen in Deutschland die
Resozialisierung von Straftätern. Wird der real existierende Strafvollzug
dem gerecht?
Galli: Nein. Wie auch? Leute einfach nur wegzusperren, ist keine Maßnahme,
die Resozialisierung fördern kann.
taz: Wenn Sie den Strafvollzug in Deutschland reformieren dürften, was
würden Sie tun?
Galli: Zunächst bräuchte es viel mehr Aufklärungsarbeit. Wissen Sie zum
Beispiel, dass die Hälfte der Inhaftierten in Deutschland Freiheitsstrafen
von weniger als einem Jahr verbüßt? Für diese Menschen würde ich Maßnahmen
außerhalb der Gefängnismauern aufbauen und mit den Straffälligen in
dezentralen Wohngruppen arbeiten. Ich würde auch die
Schadenswiedergutmachung viel mehr in den Vordergrund rücken. Sicher gäbe
es auch weiterhin Menschen, denen man die Freiheit tatsächlich bis zum
Lebensende entziehen muss – um die Allgemeinheit zu schützen. In diesen
Fällen erhebe ich gar nicht mehr den Anspruch einer Resozialisierung. Aber
ich denke, das sind wirklich sehr wenige Menschen. Und dadurch hätte man
dann auch wieder ganz andere Möglichkeiten, auch diese menschenwürdig zu
behandeln.
taz: Ist es denn wissenschaftlich belegt, dass eine Resozialisierung
außerhalb von Gefängnismauern funktioniert? Schließlich soll doch eine Haft
auch eine abschreckende Wirkung haben.
Galli: Das [3][kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen hat in
der Tat herausgefunden, dass die Unterbringung im offenen Vollzug sich
positiv auf die Rückfallquote auswirkt]. Überspitzt könnte man also sagen,
dass eine Justizverwaltung, die zu viele Menschen im geschlossenen Vollzug
unterbringt, so die Sicherheit der Allgemeinheit gefährdet. Aber solche
Forschungsergebnisse müssten halt auch entsprechend kommuniziert und
verbreitet werden.
11 Nov 2024
## LINKS
[1] /Gefaengnisskandal-in-Augsburg/!6046037
[2] /Gefaengnisskandal-in-Augsburg/!6042875
[3] https://kfn.de/blog/2023/05/neuer-forschungsbericht-legalbewaehrung-nach-en…
## AUTOREN
Dominik Baur
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