| # taz.de -- Foltervorwurf gegen Bremer Knast: Doppelt bestraft | |
| > In Haft ohne Tisch und Stuhl – ist das menschenrechtswidrig? Und: Gab es | |
| > das wirklich? Ein Gefangener und eine Bremer Behörde widersprechen sich. | |
| Bild: Normale Ausstattung eines Haftraums mit Tisch und Stuhl: Das sei im Arres… | |
| S. führt einen Kampf. Seiten um Seiten, handschriftlich verfasst in seiner | |
| Zelle im Bremer Gefängnis, hat er an die Anstaltsleitung im Knast | |
| geschickt, Briefe, Beschwerden und Anträge. Seiten um Seiten sind auch an | |
| das Landgericht gegangen, an den Petitionsausschuss, an die Bremer | |
| Bürgerschaft, an die Justizsenatorin, und: an die Nationale Stelle zur | |
| Verhinderung von Folter. | |
| Denn Folter, das ist es, was S. der Bremer Justizvollzugsanstalt (JVA) | |
| vorwirft: Im April 2024 wurde S. 13 Tage lang in Arrest gesteckt, in einer | |
| Gitterzelle mit Lochblechfenster, Klo, Waschbecken und einer bloßen | |
| Matratze auf dem Boden. | |
| Stuhl und Tisch habe es nicht gegeben. Nach drei Tagen, so erzählt es S., | |
| habe er das Essen eingestellt. „Das war nicht menschenwürdig. Das macht was | |
| mit der Psyche“, erzählt er. „Für mich hat es sich wie Folter angefühlt. | |
| Auch wollte mein normales Denken diese Strafe innerlich nicht akzeptieren.“ | |
| Arrest ist ein übliches Mittel im Strafvollzug. Während die Haft an sich | |
| neben der Bestrafung für eine Tat immer auch die Resozialisierung anstrebt, | |
| ist der Sinn des Arrestes allein die Sanktion und die Aufrechterhaltung von | |
| Ordnung in den JVAs. | |
| ## Die Anstaltsleitung hat's in der Hand | |
| Arrest soll laut Bremischer Strafvollzugsordnung „mit großer Vorsicht | |
| eingesetzt“ werden und nur ein letztes Mittel sein; allerdings entscheidet | |
| die Anstaltsleitung allein über die Verhängung, es gibt keine weitere | |
| neutrale Prüfinstanz und für Gefangene keine Möglichkeit des Widerspruchs. | |
| S. hat in seiner Haftkarriere mehrfach in Arrest gesessen, für | |
| unterschiedliche Vergehen: Angriffe gegenüber anderen Gefangenen, | |
| Beleidigungen und Bedrohungen von JVA-Angestellten, Zerstören von | |
| Haftrauminventar. Im April 2024 aber war der Grund: Drogenmissbrauch, und | |
| zwar, so sagt es die Behörde, massiver und wiederholter Drogenmissbrauch. | |
| S. ist suchtkrank. Verurteilt ist er wegen Drogenhandels und -anbaus. Ob in | |
| Freiheit oder Haft, nie sei er davon losgekommen, schreibt auch die | |
| Justizbehörde. | |
| Dass sein Konsum „massiv und wiederholt“ statt „gemäßigt und einmalig�… | |
| liegt in der Natur der Sucht. Die JVA schafft es nicht, die Drogen aus dem | |
| Knast rauszuhalten, sagt S.: „Wenn ich will, hab ich hier so viel Stoff, | |
| dass ich mir jeden Tag was reinknallen kann.“ | |
| Es gäbe vieles, was S. am Arrest unwürdig vorkommt. Sein Kampf dreht sich | |
| seit anderthalb Jahren aber vor allem um einen Aspekt: „Ich saß 13 Tage | |
| ohne Tisch und Stuhl und das hat viel mit mir gemacht“. | |
| Kein Tisch, kein Stuhl – darin sieht er einen Angriffspunkt, dort immerhin | |
| ist die Rechtslage einigermaßen eindeutig: Eine Arrestzelle muss laut | |
| Gesetz einer „normalen“ Zelle gleichen, die „für den Aufenthalt bei Tag … | |
| Nacht geeignet“ ist. Das impliziert laut Urteilen des [1][Europäischen | |
| Gerichtshofs für Menschenrechte] auch eine gewisse Grundmöblierung. | |
| Das sieht im Prinzip auch die Behörde so. Auf eine Petition von S. aus dem | |
| Jahr 2024 antwortet man, das Landesstrafvollzugsgesetz entspreche den | |
| [2][Vorgaben der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze]. Zwar könnte bei | |
| Arresträumen ein Verzicht auf persönliche Gegenstände durchgesetzt werden, | |
| aber nicht auf die normale Haftraumausstattung mit Tisch und Stuhl. | |
| Sprich: Das Gesetz sieht Tisch und Stuhl vor. Also, so die Justizbehörde, | |
| hat es für S. Tisch und Stuhl gegeben. Auch gegenüber der taz bleibt eine | |
| Sprecherin der Justizsenatorin dabei: Die Zelle, in der S. 13 Tage lang | |
| untergebracht war, sei mit Tisch und Stuhl ausgestattet gewesen. | |
| Am Ende steht Aussage gegen Aussage. Die Aussage eines drogensüchtigen | |
| verurteilten Dealers, der von sich selbst als „anstrengender Häftling“ | |
| spricht, gegen die Aussage der Justizbehörde und der JVA selbst. | |
| ## Antifolter-Stelle rügt Bremer Arrestausstattung | |
| S. aber bleibt bei seiner Geschichte. In seinen Briefen beschreibt er das | |
| eindrücklich: „Im Sitzen auf der Kante von der Matratze sein Essen | |
| einzunehmen, auch noch aus einem Plastiknapf mit Plastiklöffel, obwohl man | |
| nicht aggressiv war, oder an einem Tisch mit Stuhl, Teller, Gabel und | |
| Messer“, schreibt er in einem Brief an Bremens Anstaltsleiter Erdtmann, | |
| „das sind zwei Welten, die viel in einer Bestrafung ausmachen“, nämlich: | |
| „in Würde oder in Unwürde essen.“ | |
| Viele Schilderungen dieser Art ziehen sich durch S. Briefe über die Monate. | |
| Hat er sie sich nur ausgedacht? Die Version von S. hat einen starken | |
| Fürsprecher: Auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter, die 2024 | |
| die JVA in Bremen besucht und kontrolliert hat, [3][kritisiert die Bremer | |
| Justiz für Arresträume], aus denen Tisch und Stuhl entfernt wurden. | |
| Auch einzelne andere besichtigte Gefängnisse waren im Jahr 2024 betroffen. | |
| „Es ist darauf zu achten, dass die Ausstattung der Arresträume die | |
| Menschenwürde nicht beeinträchtigt“, schreibt die Anti-Folter-Stelle [4][in | |
| ihrem Jahresbericht.] | |
| Das schließe „ausdrücklich aus, dass Mahlzeiten auf dem Bett oder sitzend | |
| auf dem Boden eingenommen werden müssen“. Die Bremer Behörde geht in ihrer | |
| Stellungnahme zum Bericht auf diese Kritik nicht ein. | |
| ## Ein Bett ist Stuhl genug | |
| Auch ein anderer Fall zeigt, dass Arrest ohne Tisch und Stuhl zumindest | |
| immer wieder vorkommt: Vorm Bremer Amtsgericht wurde in diesem September | |
| die entsprechende Klage eines anderen Gefangenen behandelt. Das Gericht | |
| bezweifelte dabei nicht, dass die Schilderung stimmt. Es entschied am Ende | |
| dennoch, dass es mit dem Bremer Arrest so seine Richtigkeit hat – und wies | |
| die Klage ab. | |
| Die Bremer JVA hatte zur Verteidigung das Urteil eines Kammergerichts von | |
| 1984 herangezogen: Die Gelegenheit, sich zu setzen, könne auch zugleich das | |
| Bett sein, hieß es dort. Das Bremer Gericht folgte dem. | |
| S. aber verzweifelt darüber. Eine Matratze auf dem Boden sei schließlich | |
| gar kein Bett: Man könne die Beine nicht anwinkeln und den Rücken im Sitzen | |
| nie gerade lassen. Und überhaupt: Dass das Gericht ein Kammergerichtsurteil | |
| von 1988 über das Strafvollzugsgesetz und [5][über die Regeln der | |
| Europäischen Kommission zur Verhinderung von Folter] stelle, das sei | |
| absurd. Er will nun ebenfalls klagen. Seine Schriften hat er schon | |
| eingereicht. | |
| 24 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://hudoc.echr.coe.int/tkp197/view.asp#%20 | |
| [2] https://rm.coe.int/09000016804d4421 | |
| [3] https://www.nationale-stelle.de/fileadmin/dateiablage/Dokumente/Berichte/Be… | |
| [4] https://www.nationale-stelle.de/fileadmin/dateiablage/Dokumente/Berichte/Ja… | |
| [5] /Gefaengnisskandal-in-Augsburg/!6049180 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
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