Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gefängnisskandal in Augsburg: Häftlinge berichten von Schlägertr…
> Der Augsburger Gefängnisskandal weitet sich aus: Lange soll es in der JVA
> Gablingen Missbrauch gegeben haben. Zwei frühere Insassen berichten.
Bild: Häftlinge sprechen von Folter: Hatte der Missbrauch System in der JVA Ga…
München taz | Eine Gefängnisleiterin, die in ihrer Anstalt fast nie gesehen
wird, ständig im Homeoffice sitzt und das operative Geschäft ihrer
Stellvertreterin überlässt. Eine überambitionierte Vize-Direktorin, die in
der [1][JVA] eine Art Willkürherrschaft etabliert hat. Eine berüchtigte
Sicherungsgruppe, die als gefürchtete Bande durch die Anstalt zieht und für
Gewalttaten mit massiven Verletzungen verantwortlich ist. Mitarbeiter, die
Unterlagen verschwinden lassen. Ein Ministerium, das abwiegelt. Ein
Minister, der noch nicht mal Bescheid gewusst haben will – und eine
Staatsanwaltschaft, die sich mit ihren Ermittlungen besonders viel Zeit
lässt.
Das ist so ungefähr das Bild, das sich ergibt, wenn man vielen
[2][Berichten über die JVA Gablingen] Glauben schenkte, die aktuell an die
Öffentlichkeit dringen. An welchen Stellen das Bild unscharf, vielleicht
sogar eine Täuschung, möglicherweise aber auch unvollständig ist, lässt
sich längst noch nicht sagen.
Dass vieles daran stimmen dürfte, ergibt sich jedoch aus der Vielzahl der
Berichte, die dem gezeichneten Szenario mittlerweile zugrunde liegen und
sich gegenseitig in wesentlichen Punkten bestätigen. Sie stammen von
ehemaligen Häftlingen, aber auch von Gefängnisseelsorgern,
Anstaltsärztinnen und Bediensteten. Daran, dass in der JVA zumindest – wenn
man es freundlich formulieren mag – so einiges im Argen lag, gibt es
mittlerweile kaum noch Zweifel.
Immer wieder taucht in dem Bild eine Art Kellerverlies auf: der besonders
gesicherte Haftraum (BgH). Das ist ein leerer Raum ohne Tageslicht, der
Boden aus Beton, im Eck ein Loch zum Verrichten der Notdurft. Hier hat die
Anstalt Gefangene eingesperrt, nackt. Für Stunden, eher für Tage, nicht
selten auch für Wochen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie eine
Papierunterhose. Wenn sie großes Glück haben, sogar eine Gummimatratze.
## Statt des Arztes kamen die Schläger
Auch was Albert Stöcker und Michael Neumann, die in Wirklichkeit anders
heißen, der taz erzählen, passt in das Bild all dieser Vorwürfe. Die beiden
Freunde und früheren Geschäftspartner saßen von Juli 2020 bis September
2021 in der JVA Augsburg-Gablingen in Untersuchungshaft. Der überwiegende
Teil der Insassen sind Untersuchungshäftlinge. Angeklagt waren Stöcker und
Neumann wegen „gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern“.
Die Staatsanwaltschaft hatte sie beschuldigt, für ihr Speditionsunternehmen
osteuropäische Lastwagenfahrer anzuwerben und in Deutschland zu
beschäftigen, ohne ihnen die dafür nötigen Aufenthaltstitel zu verschaffen.
Auch sie beschreiben beispielsweise die Sicherungsgruppe der JVA, die sie
„die SIG“ (sprich „Sigg“) nennen, als eine Art Schlägertrupp, der unte…
Häftlingen berüchtigt ist. Zu fünft oder sechst seien Männer der SIG stets
aufgetreten, hätten komplett schwarze Uniformen getragen. Eine klassische
Drohung der normalen Justizbeamten sei gewesen: „Oder sollen wir die SIG
rufen?“
Wenn die SIG tatsächlich gekommen sei, seien die betroffenen Gefangenen in
der Regel für mindestens drei Tage im BgH verschwunden. So zumindest die
Beobachtung Stöckers, der als sogenannter Hausarbeiter als einer der
wenigen Untersuchungshäftlinge in der JVA Arbeit hatte, während das Gros
der Inhaftierten 23 Stunden am Tag untätig in ihren Zellen saß.
Hausarbeiter wurden für Putzdienste, die Essensausgabe und ähnliche
Aufgaben eingesetzt. So bekam Stöcker auch etwas mehr von den Vorgängen in
der Anstalt mit als viele Mithäftlinge.
Einmal habe er erlebt, wie ein Häftling zweimal – mit einer einwöchigen
Unterbrechung – für je drei Wochen im BgH gehalten wurde, erzählt der
59-Jährige. Als er den Mann zwischen den Aufenthalten getroffen habe, sei
er vollkommen verstört und orientierungslos gewesen. Nach Aussage von
Beamten habe man ihn im BgH zudem zwangsernähren müssen. Stöcker habe bei
der Reinigung des Raumes dann die Zugänge für die künstliche Ernährung
entfernen müssen.
Ein andermal habe sich ein Gefangener in seiner Verzweiflung geritzt. Als
die Wunde aber zu stark zu bluten begonnen habe, habe er es mit der Angst
zu tun bekommen und nach dem medizinischen Dienst gefragt. Er sei dann in
den dortigen Warteraum gebracht worden, doch statt eines Arztes sei wenig
später die SIG erschienen und habe den Mann zusammengeschlagen. Stöcker
habe hinterher die Blutspur entfernen müssen. Diese habe vom Wartezimmer
über einen Verbindungsraum zum Nachbarhaus, den Fahrstuhl und einen
Kellerflur bis zum BgH gereicht.
## Zur Strafe in den Keller
Anders als etwa der sogenannte Bunker, eine spezielle Arrestzelle, in die
die Gefangenen zur Strafe isoliert und ohne persönliche Gegenstände
gesperrt werden können, in der es aber auch ein Bett gibt, dient der BgH
nicht zur Bestrafung. Hier dürfen Häftlinge nur untergebracht werden, wenn
akute Gefahr für andere oder sie selbst besteht. Allerdings ergibt sich aus
zahlreichen Zeugenaussagen, dass die BgHs in Gablingen regelmäßig als
Disziplinarmaßnahme eingesetzt wurden, manche sagen auch: zur Folter. Das
bestätigt auch Albert Stöcker.
In dem einen Jahr, in dem er als Hausarbeiter eingesetzt war, habe er
mehrfach mitbekommen, wie Gefangene in den BgH gebracht worden seien. Er
habe dann beispielsweise das Essen in „BgH-konforme Behälter“ umfüllen
müssen, eine Gummischüssel mit einem Gummilöffel. Mindestens sechsmal habe
er Blutspuren beseitigt, nachdem die SIG jemanden in den BgH gebracht
hatte.
Michael Neumann hatte keine Arbeit in der JVA, kam also nicht im Haus
herum. Einmal allerdings erlebte auch er einen Übergriff der SIG. Es war
die Zeit der Pandemie. Während des einstündigen Hofgangs habe einer der
Mithäftlinge seine Maske nicht korrekt aufgesetzt. Sofort sei daraufhin die
SIG gekommen und habe den Mann noch vor Ort verprügelt. Für zwei Wochen
habe man ihn dann in den BgH gesperrt. Als er danach wieder zum Hofgang
gekommen sei, habe er noch deutliche Spuren der Verletzungen im Gesicht
getragen. „Das war ein Moldawier, so ein kleiner, dünner Mann. Der verstand
kein Deutsch und wusste überhaupt nicht, worum es geht.“
## 40 Kilo verloren
Gegen einen anderen Mithäftling sei als Strafmaßnahme eine Besuchssperre
verhängt worden. Er habe mindestens drei Wochen lang keinen Besuch mehr von
seiner Familie bekommen dürfen. Der Grund für die Sanktion: Der Mann hatte
während eines Besuchs einen Papierflieger für seinen kleinen Sohn
gebastelt.
Sie selbst hätten keine physische Gewalt in der JVA erlebt, berichten
Neumann und Stöcker. Für ihn sei vor allem die Isolation belastend gewesen,
sagt Neumann. Während der 17 Monate habe er sich „in einem psychisch völlig
instabilen und suizidalen Zustand“ befunden. Er habe 40 Kilo Gewicht
verloren, unter Panik- und Angstzuständen gelitten. Von seinem
Gesundheitszustand sei jedoch keine Notiz in der JVA genommen worden. Er
habe weder ärztliche noch psychologische Hilfe bekommen.
Natürlich sind die Schilderungen der beiden Ex-Häftlinge keine objektiven
Berichte, auch lassen sie sich naturgemäß im Einzelnen nicht überprüfen.
Jedoch deckt sich vieles davon mit dem, was ehemalige Häftlinge, aber etwa
auch Ärzte, Seelsorger oder Bedienstete, zuletzt in anderen Medien
berichtet haben. Das bayerische Justizministerium will auf taz-Anfrage zu
den Vorwürfen keine Stellung nehmen, verweist [3][auf die grundsätzlichen
Statements des Ministers] und darauf, dass man sich prinzipiell nicht zu
„strafrechtlichen Einzelfällen“ äußere. Ein konkretes Dementi immerhin g…
es: Es habe in der JVA Gablingen keinen Fall gegeben, in dem Häftlinge
während der Unterbringung im BgH zwangsernährt worden seien.
Neumann erhebt aber noch einen weiteren schweren Vorwurf: Er sieht sich
durch die Umstände der U-Haft um sein Recht auf ein faires Verfahren
gebracht. Schon wenn man in Gablingen den Wunsch geäußert habe, seinen
Anwalt anzurufen, sei dies grundsätzlich abgelehnt worden. „Schreiben Sie
einen Brief“, habe es dann geheißen. Eine in Bayern damals übliche Praxis,
wie das Ministerium bestätigt. Erst seit einer Änderung des
Strafvollzugsgesetzes Ende 2022 sei diese gelockert worden.
Da sei aber nicht nur das Telefonverbot gewesen, so Neumann, sondern
beispielsweise auch die Sache mit den Prozessakten: Diese hätten in seinem
Fall 36.000 Seiten umfasst. Üblicherweise bekomme man derart umfangreiche
Unterlagen von seinen Anwälten per USB-Stick übermittelt. In Gablingen
hätten sich aber rund 180 Häftlinge einen Laptop teilen müssen. So habe er
sich nicht adäquat auf seine Verteidigung vorbereiten können. Neumanns
Anwalt, der Münchner Strafverteidiger Stephan Tschaidse, sagt zwar, er habe
Neumann die Unterlagen in Papierform zur Verfügung gestellt – laut Neumann
war das allerdings nur ein Aktenordner mit ein paar hundert Seiten.
## „Untersuchungshaft schafft Rechtskraft“
Bleibt die grundsätzliche Frage nach der Notwendigkeit der
Untersuchungshaft in Fällen wie dem von Neumann und Stöcker. „Die
Verhängung von Untersuchungshaft wird nach meiner Erfahrung in Bayern
inflationär gehandhabt“, sagt etwa Anwalt Tschaidse. In der Regel werde sie
mit Fluchtgefahr begründet. Eigentlich seien hierfür aber konkrete
Anhaltspunkte notwendig, dass sich ein Angeklagter eher einem Verfahren
entziehen werde, als ihm beizuwohnen. Mit fadenscheinigen Begründungen
werde in Bayern aber dennoch Untersuchungshaft verhängt. Von
„Wischiwaschi-Geschwurbel“ spricht Tschaidse.
Albert Stöcker versteht auch nicht, wie man in seinem Fall eine
Fluchtgefahr annehmen konnte. Er hatte Familie, Arbeit, wieso hätte er
fliehen sollen? Zudem war er ja überzeugt, dass die Anschuldigungen der
Staatsanwaltschaft falsch seien.
Tschaidse erinnert an einen Satz, den er schon während seines Studiums
gelernt habe: „Untersuchungshaft schafft Rechtskraft.“ Die zynische
Juristenweisheit besagt nichts anderes als: Wenn ein Beschuldigter erst
einmal in U-Haft sitzt, erhöht das seine Bereitschaft zum Geständnis
ungemein.
Sollte die bayerische Praxis der Verhängung von Untersuchungshaft
tatsächlich System haben: In Neumanns und Stöckers Fall hat es
funktioniert. Im November 2021 haben beide nach einem
Verständigungsvorschlag des Gerichts gestanden. Sie wurden zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren beziehungsweise drei Jahren und neun
Monaten verurteilt. Zunächst wurden sie aber auf freien Fuß gesetzt und
konnten Weihnachten mit ihren Familien feiern. „Um da rauszukommen“, sagt
Neumann, „hätte ich auch einen Mord gestanden.“
20 Nov 2024
## LINKS
[1] /JVA/!t5012517
[2] /Gefaengnisskandal-in-Augsburg/!6046037
[3] /Gefaengnisskandal-in-Augsburg/!6042875
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Justizvollzugsanstalt
Justiz
Gefängnis
Augsburg
Bayern
Social-Auswahl
JVA
JVA
JVA
Justiz
JVA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sicherheits-Leak in der JVA Burg: Leck im Knast?
Ein Sicherheitsplan der JVA Burg kursierte unter Gefangenen, eine
Datenschutzpanne bringt Bedienstete in Gefahr. Der Rechtsausschuss sucht
Antworten.
Sicherheitsleck in der JVA Burg: Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen
Nach Recherchen der taz ist ein detaillierter Plan der JVA Burg in die
Hände von Gefangenen gelangt. Die Leiterin der Anstalt wurde vorläufig
freigestellt.
Skandal an der JVA Augsburg-Gablingen: „Der ist doch hinterher ein völlig ge…
Der Gefängnisskandal von Augsburg hat üble Missstände offenbart. Der
ehemalige JVA-Leiter Thomas Galli benennt grundsätzliche Probleme mit dem
System.
Gefängnisskandal in Augsburg​: „Dimension der Vorfälle unterschätzt“​
Im Augsburger Gefängnisskandal meldet sich nun auch der Justizminister zu
Wort. Und es gibt erste personelle Konsequenzen.
Gefängnisskandal in Augsburg: „Keine Matratze, splitterfasernackt am Boden�…
​In einem Augsburger Gefängnis sollen Häftlinge über Jahre misshandelt
worden sein. Im Zentrum der Vorwürfe steht die stellvertretende
JVA-Leiterin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.