# taz.de -- Redakteur über Haft-Ratgeber: „Ein Großteil der Taten sind Armu… | |
> Ein Redaktionskollektiv hat ein Knast-Handbuch publiziert, das in vielen | |
> Gefängnissen verboten ist. Warum, erklärt Mitautor Janko Egeling. | |
Bild: Eine der größten JVAs in Deuschland: Stadelheim | |
taz: Janko, du bist Teil eines Redaktionskollektivs, das ein [1][verbotenes | |
Buch] herausbringt. | |
Janko: Na ja, verboten ist es ja nicht. Es ist zwar in etwa der Hälfte der | |
Haftanstalten verboten, aber draußen ist es frei erhältlich. | |
taz: „Wege durch den Knast“ ist eine Art Handbuch zum Alltag im Gefängnis, | |
zu Gesundheitsfragen im Knast, und es gibt Gefangenen Rechtshilfe. Wo ist | |
das Problem? | |
Janko: Offenbar nehmen wir mit dem Buch dem Knast die Definitionsmacht | |
darüber weg, was Gefangenen nach dem Gesetz zusteht und was nicht. Das | |
mögen die nicht so. Zum Beispiel geben wir Tipps, welche Rechtswege Muslima | |
nutzen können, wenn die Knastküche kein Halalessen anbietet. Das werten | |
[2][einige JVAen] schon als Aufruf zu widerständigem Handeln, und dann | |
heißt es, das Buch gefährde die Sicherheit und Ordnung und fördere eine | |
ablehnende Haltung gegenüber der Justiz und dem Knastsystem. Aber wir haben | |
mit dem Buch Gefangenen nur ein Instrument gegeben, sich zu ermächtigen und | |
Kenntnisse über die eigenen Rechte zu erhalten. | |
taz: Wenn das Buch in einem Gefängnis erst einmal verboten ist, dann kann | |
man nichts mehr tun? | |
Janko: Die Gefangenen können einen 109er stellen, einen Antrag auf | |
gerichtliche Entscheidung. Das klappt aber eher selten, erfahrungsgemäß | |
entscheiden Gerichte gegen die Gefangenen. Oder man fordert, dass die | |
beanstandeten Stellen geschwärzt werden. Es gab zum Beispiel ein Urteil des | |
Oberlandesgerichts Brandenburg von 2017, auf das man sich berufen kann. | |
Damals ging es darum, dass eine JVA das Buch nicht schwärzen wollte, da der | |
Aufwand zu groß sei. Aber das Gericht wies darauf hin, dass die Arbeit ja | |
schon getan war, die JVA hatte die Stellen schon herausgesucht, um das | |
Verbot zu begründen. Deshalb meinte das Gericht, die etwa zwölf Stellen zu | |
schwärzen sei der Anstalt zuzumuten. Sie musste das Buch dann freigeben. | |
taz: Wie kam es eigentlich zu der Idee für das Buch? | |
Janko: Wir aus dem Redaktionskollektiv kommen eher aus dem | |
anarchistisch-autonomen Milieu und haben verschiedentlich zu Knast und | |
Repression gearbeitet. Dabei haben wir immer wieder nach neuen Werkzeugen | |
gesucht, die uns bei der Arbeit helfen können. 2011 sind wir auf den | |
„Ratgeber für Gefangene“ gestoßen, ein Buch aus den 80er Jahren. Das fand… | |
wir super und wollten es aktualisieren. Die Aufteilung haben wir großteils | |
übernommen: Alltag, medizinischer Teil, rechtlicher Teil. Aktualisiert | |
haben wir es dann zusammen mit (Ex-)Gefangenen und Kollektiven draußen. Die | |
traurige Geschichte des Ratgebers war, dass er überall verboten war, außer | |
in Bremen. Eigentlich waren es ähnliche Gründe wie in den heutigen | |
Verbotsverfügungen, außer dass einige Formulierungen noch klarer politisch | |
waren. Beispielsweise gibt es Leute, die sich für einen Hungerstreik | |
entschließen müssen, um gewisse Rechte durchzusetzen. Der Ratgeber hat | |
Hinweise gegeben, wie sie das machen können, damit es nicht über ein | |
gewisses Maß hinaus gesundheitsschädlich ist. Gesundheitsschädlich ist ein | |
Hungerstreik immer. In unserem Buch haben wir versucht, das so | |
umzuformulieren, dass es nicht als Aufruf gewertet wird. | |
taz: Woher habt ihr die Einblicke in den Haftalltag? Von Gefangenen selbst? | |
Janko: Genau. Wir hatten damals einen Aufruf in solidarischen Kreisen | |
gestartet: Kennt ihr Gefangene, die sich vorstellen könnten mitzuarbeiten? | |
Wir haben dann ganze Kapitel in den Knast geschickt und Gefangene gefragt, | |
ob sie die aktualisieren können. Da kam ehrlich gesagt wenig zurück – klang | |
ja auch nach einem Berg Arbeit. Heute würde ich eher kleinere Abschnitte | |
reinschicken und um Unterstützung fragen. | |
taz: Wie habt ihr euch stattdessen geholfen? | |
Janko: Das [3][Strafvollzugsarchiv in Dortmund] hat uns unterstützt, das | |
Praxiskollektiv Berlin hat den medizinischen Teil bearbeitet und | |
aktualisiert. Mit ein paar Gefangenen hat der Kontakt geklappt, wir kannten | |
zum Beispiel [4][Thomas Meyer-Falk, der damals in Sicherungsverwahrung | |
saß], der das Kapitel zu dem Thema aktualisiert hat. | |
taz: Das Buch ist jetzt in der vierten Auflage. Was ist neu? | |
Janko: Die Gesellschaft wird repressiver, und das spiegelt sich natürlich | |
auch im Knast wider. Beispielsweise ändern sich ständig die Rechte für | |
Gefangene ohne deutschen Pass. Da mussten wir einiges aktualisieren. Ab der | |
zweiten Auflage ist auch das Kapitel für trans Personen dazugekommen. Das | |
hat eine Gruppe aus Berlin geschrieben, die das auch als Extrabroschüre | |
herausgeben. Und durch die damalige Föderalismusreform im Strafvollzug hat | |
sich noch einiges in den jeweiligen Landesstrafvollzugsgesetzen geändert. | |
taz: Es gibt auch ein Kapitel über Frauen im Knast, das fällt aber ziemlich | |
kurz aus. | |
Janko: Ja. Ex-Gefangene, auch weibliche, sagen uns regelmäßig, dass die | |
Grundproblematik die Gleiche ist, egal ob Männer- oder Frauenknast. Das | |
Buch kann auch nicht alles abdecken, sondern nur ein Instrument von vielen | |
sein. Den Wissens- und Erfahrungsaustausch der Gefangenen untereinander | |
ersetzt es nicht. Das ist sowieso das Wichtigste: solidarische Beziehungen | |
im Knast knüpfen und erhalten. Mir wurde erzählt, wenn jemand neu in den | |
Knast kommt, ist es Standard zu fragen, was er braucht, und ihm zu sagen, | |
wie er es bekommt. Es gibt außerdem immer Leute, die für andere Anträge | |
schreiben. Es gibt Lesekreise, auch für unser Buch, in denen Teile | |
übersetzt werden für Leute, die kein Deutsch lesen können. In manchen | |
Knästen macht unser Buch die Runde durch den Trakt, damit alle mal | |
hineinschauen können. | |
taz: Apropos ausländische Häftlinge: Habt ihr auch mal überlegt, euer Buch | |
zu übersetzen? | |
Janko: Ja, wir fänden das schön, aber das können wir uns nicht leisten. Die | |
Frage wäre auch: in welche Sprache? Russisch würde Sinn machen. Türkisch, | |
Vietnamesisch, Polnisch und Arabisch auch. Wenn sich Übersetzerinnen finden | |
würden, die das Buch in eine andere Sprache übersetzen möchten, das wäre | |
super. | |
taz: Wie ist überhaupt die Nachfrage nach so einem Buch? Insgesamt ist die | |
Knastbevölkerung ja doch ziemlich klein. | |
Janko: Na ja, circa 60.000 ist auch nicht wenig. Bei der ersten Auflage | |
2016 hatten wir 50 bis 60 Anfragen von Gefangenen pro Woche. Jetzt bei der | |
neuen Auflage sind es vielleicht 10 bis 15 im Monat. Meistens beginnen die | |
so: „Ein Mithäftling hat mir erzählt, dass …“ Da läuft viel über | |
Mundpropaganda. | |
taz: Die Gefangenen bekommen das Buch kostenlos. Wie wird das finanziert? | |
Janko: Anfangs hatten wir Solipartys gemacht und einen Zuschuss von der | |
Roten Hilfe bekommen. Heute wird es vor allem über die Einnahmen für die | |
regulären Verkäufe des Buchs gegenfinanziert. Die Portoausgaben sind ein | |
privater Solidaritätsbeitrag. | |
taz: Wird das Buch denn auch viel regulär gekauft? | |
Janko: In den vergangenen Jahren hat der repressive Druck auf die | |
antifaschistische Bewegung zugenommen. Immer mehr linke Leute sehen sich | |
mit Haftstrafen oder längeren Haftstrafen konfrontiert. Dadurch gibt es | |
hohen Bedarf an dem Buch, auch von solidarischen Menschen. | |
taz: Habt ihr auch Promis, die das Buch bestellen? Daniela Klette zum | |
Beispiel? | |
Janko: Es gibt schon auch „Promis“, aber wer das ist, werde ich natürlich | |
nicht sagen. Ein ziemlich bekannter Neonazi, einer der Unterstützer vom | |
[5][NSU], wollte das Buch mal bestellen. Dem haben wir stattdessen eine | |
Liste der rechtsextremen Angriffe und Brandanschläge auf | |
Flüchtlingsunterkünfte in dem Jahr geschickt. Ich fand, das war noch eine | |
sehr zahme Antwort. | |
taz: Apropos Neonazi. Warum eigentlich ein Knasthandbuch? Das sind ja nicht | |
alles Linke oder Menschen, die Gutes für die Gesellschaft getan haben. | |
Janko: Ich würde sagen, [6][mehrheitlich sitzt die arme Bevölkerung im | |
Gefängnis]. Ein Großteil der Taten sind Armutsverbrechen. Aber klar gibt es | |
auch Arschlöcher im Knast – so wie draußen auch. Unsere Perspektive jedoch | |
ist eine andere: In einzelnen Fällen sind wir durchaus solidarisch mit den | |
Gefangenen. Aber hauptsächlich sind wir solidarisch gegen den Knast, weil | |
wir nicht glauben, dass Knast zu einer besseren Gesellschaft beiträgt, um | |
es mal vorsichtig zu formulieren. Ziel ist es doch, zu einem Zusammenleben | |
zu kommen, in dem gewisse Taten nicht mehr begangen werden müssen. Und da | |
sehen wir den Knast, der ja Ausdruck unserer Gesellschaft ist, als eines | |
der ungeeignetsten Mittel. | |
13 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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