# taz.de -- Gefangenenzeitung „HaftLeben“: Ein Lichtblick für Gefangene | |
> Rund 30 Gefangenenzeitungen gibt es deutschlandweit, einige erscheinen | |
> digital. Eine Haushaltssperre verhindert nun das Erscheinen der | |
> Chemnitzer „HaftLeben“. | |
Bild: Seit 1999 erscheint die „HaftLeben“ – bis zur Haushaltssperre in Sa… | |
„Ein erwachsener Mensch sollte, um fit zu sein, durchschnittlich 8 h am Tag | |
schlafen. Im Gefängnis ist manch eine jedoch froh, wenn sie für 3 bis 4 | |
Stunden schlafen kann“, heißt es in einem Artikel mit der Überschrift | |
„Schlaf dich gesund“ in der HaftLeben, einer Zeitung von und für Gefangene | |
der Frauenhaftanstalt in Chemnitz. Es ist die Nummer 79 vom September 2023, | |
Thema des Hefts ist „Apropos Gesundheit“. Noch fünf weitere Ausgaben | |
konnten erscheinen, dann war erst einmal Schluss: [1][Wegen der | |
Haushaltssperre in Sachsen] sind die Gelder für die HaftLeben gestoppt. Die | |
erste Ausgabe für das Jahr 2025 konnte nicht erscheinen, zumindest nicht | |
offiziell. | |
Das geht aus einem Schreiben der Redaktion vom 24. März 2025 an die | |
sächsische Justizministerin hervor, das der taz vorliegt. Es sei das erste | |
Mal seit 1999, dem Gründungsjahr der Zeitung, dass eine Ausgabe aus | |
Kostengründen nicht gedruckt werden konnte. Die HaftLeben sei „eine | |
wichtige Säule im Haftalltag der Frauen in Chemnitz“, ein „wichtiger und | |
sinnvoller Bestandteil der Gefangenenmitverantwortung“, schreibt die | |
Zeitung, aber auch ein „Informationsorgan für die | |
Vollzugsmitarbeiter*innen“. Mit dem Blatt solle „gegenseitiges Verständnis… | |
angeregt werden. | |
Über sechs Wochen später kommt eine Antwort des Justizministeriums, und sie | |
ist aus Sicht der Redaktion „unzufriedenstellend“, wie Lutz Richter der taz | |
sagt, der die HaftLeben seit 2008 ehrenamtlich unterstützt und berät – über | |
den genauen Inhalt der Antwort möchte er nichts sagen. Richter übernimmt | |
für die Redakteurinnen Aufgaben, die ihnen selbst verwehrt sind: | |
Internetrecherchen, denn sie haben, anders als beispielsweise die Redaktion | |
der größten deutschen Gefangenenzeitung Lichtblick aus Berlin-Tegel, weder | |
Internetzugang noch Telefon oder Fax; und den Kontakt bei Presseanfragen. | |
Lediglich 861 Euro an Druckkosten verursacht eine Ausgabe der HaftLeben | |
laut Justizministerium. Die Erklärung, die das Ministerium auf | |
taz-Nachfrage gibt, warum die Zeitung dennoch von der Haushaltssperre | |
betroffen ist: Die Prüfung habe „ergeben, dass der Druck der Zeitung | |
zeitlich nicht unaufschiebbar war bzw. ist“. | |
## Notlösung wegen Haushaltssperre | |
Die HaftLeben hat nur [2][eine feste, bezahlte Redaktionsstelle], dazu fünf | |
ehrenamtliche Redakteurinnen. Die Auflage orientiert sich an der Anzahl der | |
Gefangenen in der JVA Chemnitz. Zuletzt wurden rund 250 Stück gedruckt und | |
an die Insassen verteilt. Nicht so Ausgabe Nummer 85, die im Frühjahr | |
erscheinen sollte. Die Redaktion hat die Ausgabe zwar ganz normal | |
vorbereitet, offiziell erscheinen konnte sie wegen der Haushaltssperre aber | |
nicht. Hier gab es schließlich eine Notlösung, so berichtet Lutz Richter: | |
Je zwei Exemplare konnte auf jeder der 17 Stationen als Leihgaben | |
hinterlegt werden. | |
Die nächste Ausgabe, die Nummer 86, die im Sommer erscheinen soll, wird | |
sehr wahrscheinlich nicht pünktlich gedruckt. Aus dem Justizministerium | |
heißt es: „Auch wenn zwischenzeitlich der Regierungsentwurf für den | |
Doppelhaushalt 2025/2026 vorliegt, unterliegen alle Ausgaben weiterhin der | |
vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung. Seitens der Leitung der JVA | |
Chemnitz wurde dem Redaktionsteam daher vorgeschlagen, die Juni-Ausgabe | |
zeitlich etwas weiter ins Jahr zu verschieben.“ | |
Jede Ausgabe der HaftLeben ist einem anderen Thema gewidmet. Mal geht es um | |
Reue und Schuld, mal um besondere Begegnungen, mal um Familie. Neben | |
persönlichen Geschichten gibt es immer auch Bastelanleitungen, zum Beispiel | |
zu Fotoaufstellern, meist auch Rätsel, bei denen es etwas zu gewinnen gibt. | |
Eine bekannte Gefangene der JVA Chemnitz gewinnt dabei regelmäßig Kaffee: | |
[3][das NSU-Mitglied Beate Zschäpe]. | |
Die HaftLeben kann man auch online lesen, zumindest bis zur Ausgabe vom | |
September 2023. Und das ist Lilith Wittmann zu verdanken. Die Hackerin und | |
Aktivistin hat sich in den vergangenen Jahren vermehrt mit Gefängnissen | |
beschäftigt und stellte auf dem Kongress des Chaos-Computer-Clubs im | |
Dezember 2024 ihr „Knastarchiv“ vor. | |
Dafür hatte sie sich per Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz bei | |
allen Justizvollzugsanstalten nach den jeweiligen Gefangenenzeitungen | |
erkundigt. Aus 18 Einrichtungen kamen digitale Ausgaben bei ihr an: per | |
Mail, per CD-Rom, per USB-Stick. Insgesamt 350 Ausgaben hat sie bereits | |
[4][auf die Webseite knastarchiv.de] hochgeladen, 150 weitere liegen | |
Wittmann vor und sollen bald folgen, sagt sie der taz. | |
## Hohe Fluktuation | |
Einen aktuellen Überblick über alle Gefangenenzeitungen zu bekommen, ist | |
praktisch unmöglich. Das liegt daran, dass viele Zeitungen sehr | |
unregelmäßig erscheinen, die Fluktuation hoch ist und nicht alle | |
Justizvollzugsanstalten die Blätter sorgsam überall melden. | |
Neben dem Knastarchiv dokumentiert auch das Strafvollzugsarchiv aus | |
Dortmund Gefangenenzeitungen im Auftrag des Bundesarchivs. Insgesamt 195 | |
Zeitungen sind dort verzeichnet, die meisten erscheinen jedoch längst nicht | |
mehr. 21 Zeitungen kamen 2024 im Strafvollzugsarchiv an. | |
Gefangenenzeitungen müssen wie jedes andere Presseerzeugnis je zwei | |
gedruckte Exemplare an die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) abgeben. | |
Verzeichnet sind hier insgesamt 68 Zeitungen. Davon 20, die aktuell noch | |
erscheinen. | |
Die taz hat selbst in den Bundesländern nachgefragt. Das Ergebnis: 33 | |
Gefangenenzeitungen erscheinen aktuell, davon eine in der | |
Sicherungsverwahrung in Werl (Nordrhein-Westfalen), vier im Maßregelvollzug | |
und eine in einer sozialtherapeutischen Anstalt, teils sind sie dort | |
Ergebnisse von „Schreibwerkstätten“, also eher therapeutische Angebote als | |
von Insassen verantwortete Produkte. | |
Wobei: Zwar mögen die meisten Zeitungen in Eigenverantwortung von | |
Häftlingen entstehen. Verantwortlich im Sinne des Presserechts sind in der | |
Regel die JVA-Leiter, und die haben auch das letzte Wort darüber, was | |
veröffentlicht werden darf. So auch bei der HaftLeben. | |
## Gegen die Stigmatisierung | |
Der [5][Lichtblick aus Berlin-Tegel] ist die älteste noch existierende | |
Gefangenenzeitung, so ist es auch in der Deutschen Nationalbibliothek | |
verzeichnet. Sie erscheint – unzensiert – seit 1968; mit kurzer | |
Unterbrechung in den Jahren 2023 und 2024, in denen die Redaktion [6][nach | |
einem Vorfall geschlossen] und später mit Unterstützung der taz wieder | |
aufgebaut wurde. | |
Aktuell hat sie fünf bezahlte Stellen. Das liegt nicht nur daran, dass die | |
JVA Tegel viel mehr Gefangene untergebracht hat als die Frauenanstalt in | |
Chemnitz. Der Lichtblick wird in ganz Deutschland gelesen, seine Auflage | |
liegt derzeit bei 7.000. Die meisten Ausgaben gehen an Gefangene, viele | |
aber auch an Rechtsanwält*innen, Behörden, Gefangenenhilfsvereine und | |
Unterstützer*innen. | |
Für Lichtblick-Redakteur Steffen Kahrels sind unzensierte | |
„Gefangenenzeitschriften als Druck-Medium schon allein deshalb wichtig, da | |
eine Vielzahl der in Deutschland inhaftierten und untergebrachten Personen | |
keinen Internetzugang haben“, wie er der taz per E-Mail schreibt. Sie | |
trügen zur Aufklärung bei und wirkten „den irrtümlichen Ursachen einer | |
Stigmatisierung von straffällig gewordenen Menschen entgegen“. | |
Auch Christine Graebsch, Jura-Professorin und Leiterin des | |
[7][Strafvollzugsarchivs in Dortmund], kritisiert, dass fast alle | |
Gefangenenzeitungen der Zensur unterliegen – außer dem Lichtblick: „Es ist | |
wichtig, dass es Gefangenenzeitungen gibt, damit die Stimmen der Gefangenen | |
nach außerhalb der Mauern dringen können. Allerdings ist dies authentisch | |
nur dann möglich, wenn eine Gefangenenzeitung nicht von der Anstalt | |
zensiert wird.“ | |
Online einsehbar sind die Zeitungen weder beim Strafvollzugsarchiv noch bei | |
der DNB. Die wenigsten Gefangenenzeitungen haben eine Onlinepräsenz. Der | |
Lichtblick ist da eine Ausnahme. Auch die HaftLeben war bis vergangenes | |
Jahr noch online abrufbar. Nach einem Copyrightproblem mit einem Foto wurde | |
das komplette Archiv abgeschaltet. | |
Die Redaktion der HaftLeben hofft nun, dass das zweite Heft für 2025, die | |
Nummer 86, wenn nicht regulär im Juni, dann wenigstens im Juli erscheinen | |
kann. „Wir arbeiten ganz normal weiter“, sagt Lutz Richter. | |
2 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Kuerzungen-im-Haushaltsentwurf/!6081108 | |
[2] /Urteil-zu-Gefangenenverguetung/!5938770 | |
[3] /Beate-Zschaepes-Leben-in-der-Haft/!5383585 | |
[4] https://knastarchiv.de/ | |
[5] /Unabhaengige-Gefangenenzeitung/!5978816 | |
[6] /Strafvollzug-Berlin/!5880127 | |
[7] /Sicherungsverwahrung/!5956413 | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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