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# taz.de -- Gefangenen-Zeitung „Lichtblick“: Ex-Redakteure vor Gericht
> Zwei ehemalige Redakteure aus Tegel müssen sich wegen eines Sex-Artikels
> über eine Justizmitarbeiterin verantworten. Das Verfahren wird
> eingestellt.
Bild: Knastmauer der JVA Tegel
Berlin taz | Der Lichtblick ist Deutschlands einzige unzensierte
Gefangenen-Zeitschrift. Viermal im Jahr erscheint das Magazin, das in der
Berliner Haftanstalt Tegel produziert wird, in einer bundesweiten Auflage
von 7.500 Stück. [1][Seit neuestem hat die Zeitung eine neue
Redaktionsgemeinschaft]. Der Vorfall, der am Freitag vor dem Amtsgericht
Tiergarten verhandelt wird, betrifft noch die Vorgänger-Redaktion.
Zwei frühere Lichtblick-Redakteure sind wegen Beleidigung und übler
Nachrede angeklagt. Mit der Überschrift „Gefangene von Bediensteter sexuell
missbraucht“ und „Sexdays in Kassel“ waren die Artikel in der
Lichtblick-Ausgabe, erschienen im September 2021, überschrieben.
Ein Gefangener aus der JVA Kassel und dessen Anwalt hätten sich seinerzeit
mit entsprechenden Informationen an die Lichtblick-Redaktion gewandt, sagt
der Angeklagte Andreas B. vor Gericht. B., 48 Jahre, kahler Kopf,
braungebrannt, war seinerzeit der presserechtlich verantwortliche
Redakteur. Er ist inzwischen aus der Haft entlassen.
Eine Anfrage des Lichtblick beim Justizministerium Hessen habe ergeben,
dass gegen eine Beamtin ein Ermittlungsverfahren anhängig sei. Auch habe
man in der Justizvollzugsanstalt Kassel angerufen; die Beamtin habe sich
aber nicht äußern wollen. Und es habe noch einen weiteren Zeugen gegeben,
der eine sexuelle Nötigung bestätigt habe. Was er, B., damit sagen wolle:
Die Redaktion habe die journalistische Sorgfaltspflicht keineswegs außen
vor gelassen.
## Falscher Autoren-Name
Der Mitangeklagte Elias R. sitzt noch im Gefängnis. Vor Gericht erscheint
der 46-Jährige im Knast-Arbeiter-Outfit: blaue Latzhose, blauweiß
gestreiftes Hemd. Der besagte Artikel war mit seinem Namen unterzeichnet,
weshalb der Staatsanwalt meint, R. war der Autor des Textes. Falsch, sagt
B. Er habe den Artikel geschrieben, aber R.s Namen darunter gesetzt.
R. schweigt zu den Vorwürfen. In der Erklärung, die sein Anwalt für ihn
verliest, heißt es, R. sei in der Redaktion seinerzeit „mit anderen
Aktivitäten“ beschäftigt gewesen. Damit sein Name ab und zu in der Zeitung
auftauche, habe B. hin und wieder Artikel für ihn geschrieben. Fakt ist,
dass der [2][Lichtblick im vergangenen Sommer wegen mutmaßlich krimineller
Aktivitäten von R. – angeblich getätigt über das Redaktionstelefon –
durchsucht und geschlossen worden war].
Die Beschreibungen über die Praktiken, mit denen die Kasseler Justizbeamtin
– im Text steht ein Vorname, der Nachname ist abgekürzt – Gefangene zum Sex
genötigt haben soll, waren im Lichtblick recht detailreich ausgefallen.
„Triebhafte Neigungen“ werden ihr vom Autor unterstellt. Reißerisch und
ehrverletzend findet das der Staatsanwalt laut Anklageschrift.
Das Verfahren gegen die Beamtin war 30. Juli 2021 von der hessischen
Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Aber da war der Lichtblick mit dem
besagten Artikel schon fertig gedruckt. In der online-Ausgabe habe man das
sogleich richtig gestellt, betont B. am Freitag.
## Keine Schulung im Presserecht
Bei seiner Verteidigung bringt B. noch einen anderen Aspekt vor: Gänzlich
ungeschult und unwissend sei er von der Tegeler Anstaltsleitung zum
Lichtblick-Redakteur bestimmt worden. Keine Ahnung von Presserecht,
geschweige denn von sonstigen journalistischen Regeln hätten Neu-Redakteure
wie er gehabt. Einfach so ins Wasser geworfen habe man ihn. Dabei sehe eine
zwischen Lichtblick und Anstaltsleitung geschlossene
Kooperationsvereinbarung eine entsprechende Beschulung vor. „Einem
Gartenarbeiter drückt man auch nicht ohne Einweisung eine Rosenschere in
die Hand“, so B., plastisch.
Das leuchte ihr ein, sagt die Amtsrichterin, es sei aber keine
Entschuldigung. Egal ob Journalist oder Privatperson: die soziale Schulung
des Lebens müsse einem doch sagen, dass man nicht einfach so Gerüchte in
die Welt setzen könne. „Man erzählt nichts als Fakt, was man nicht
nachweisen kann.“
Das Verfahren gegen B. und R. wird dann aber doch eingestellt: Mit Blick
darauf, dass beide in anderer Sache noch Freiheitsstrafen zur Verbüßung
offen haben.
Was die nicht vorhandene Schulung von Lichtblick-Redakteuren betrifft, hat
sich das inzwischen geändert. Die im April 2023 neu eingesetzte vierköpfige
Redaktion ist [3][bei taz-Redakteurinnen und Redakteuren in die Schule
gegangen]. Das Projekt zum Wiederaufbau des Lichtblick, der nach der
Durchsuchung neun Monate quasi tot war, wurde von der taz-Panterstiftung
finanziert.
2 Jun 2023
## LINKS
[1] /Strafvollzug-Berlin/!5882589
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[3] /Knastzeitung-aus-Berlin-Tegel/!5922963
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Strafvollzug
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Gefangene
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