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# taz.de -- Holger Friedrichs „Berliner Zeitung“: Der Systemsprenger
> Die „Berliner Zeitung“ wird 80. Zum Geburtstag wächst intern der Unmut
> über den Verleger Holger Friedrich. Über die Abgründe eines
> Medienimperiums.
Bild: Der Bärtige: Holger Friedrich bei der Vorstellung des neuen Buches von E…
Der Saal des Berliner Babylon-Kinos ist am 26. Mai rappelvoll, als Matthias
Oehme, Leiter der Eulenspiegel-Verlagsgruppe, [1][Holger Friedrich] und
[2][Egon Krenz] vorstellt. Ersterer sei „Verleger einer Zeitung, die
vielleicht mehr als andere dem Prinzip der Diskursivität verpflichtet ist“,
ein „leidenschaftlicher Zeitungsmann“, letzterer ein „leidenschaftlicher
Sozialist“. Viele der mehr als 700 Gäste unterbrechen die Vorstellungsrunde
mit Applaus, [3][wie ein Video des Abends zeigt]. Oehme verspricht ihnen
durch Holger Friedrichs Moderation des Bühnengesprächs etwas anderes „als
die oft hochnotpeinlichen Verhöre, denen sich manchmal Egon Krenz stellen
muss“.
So stellt Holger Friedrich sich gerne dar: als Verleger, der für die
Meinungsfreiheit einstehe, der mit allen rede, der die DDR vor einer
falschen Erinnerungspolitik verteidige. Einer, der mit seinen Titeln
Berliner Zeitung, Berliner Kurier und [4][seit Kurzem auch der neuen
Weltbühne]den öffentlichen Diskurs mit einer fehlenden Perspektive
bereichere. Der mit dem Kauf des Verlags 2019 ein Stück ostdeutscher
Geschichte vor der Bedeutungslosigkeit habe retten wollen, wie er es
gegenüber [5][dem Medienportal Kress formulierte]. Er sei einer der
„politikfernsten Verleger Deutschlands“, sagte er [6][Radioeins], die
Berliner Zeitung berichte „wertneutral“.
Friedrichs Kritiker – und davon gibt es viele – würden dieser Darstellung
vehement widersprechen. Doch selbst sie würden eingestehen:
Leidenschaftlich ist er auf alle Fälle. Sie sehen in ihm aber vor allem
einen populistischen und russlandnahen Verleger, der auf Kuschelkurs mit
Autokraten gehe und redaktionellen Einfluss aus persönlichen,
geschäftlichen und politischen Gründen übe. Sie sagen: Friedrich habe die
Berliner Zeitung zu einem Kampfblatt der Querfront entwickelt, das nicht
der polarisierten Gesellschaft entgegenwirke, sondern die Spaltung selbst
vorantreibe. Eine Zeitung, die die politischen Ränder bedient – vom BSW zur
AfD. Eine, die Figuren wie Egon Krenz hofiert.
Anlass des Abends im Babylon-Kino ist die Vorstellung des dritten
Memoirenbandes von Krenz. Er war 1989 für 50 Tage Nachfolger Erich
Honeckers als SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR, wurde
nach der Wende zu sechseinhalb Jahren Haft für die Mauertoten verurteilt.
Für die Berliner Zeitung durfte er zahlreiche Gastbeiträge verfassen, seine
Memoiren wurden dort vorab veröffentlicht. Auf der Bühne bedankt sich
Friedrich bei ihm mehrmals, als sei er der eigentliche Held der Wende, weil
er 1989 keinen Schießbefehl gab. „Danke, dass ihr das damals so entschieden
habt“, sagt Friedrich, damals Soldat, „weil es war eine zivilisatorische
Großtat“.
Nun feiert die Berliner Zeitung ihr 80. Jubiläum, eine Sonderausgabe zum
Geburtstag erschien Ende Mai. Im selben Monat lancierte Friedrich ein
Projekt, von dem die allermeisten im Verlag nichts wussten: Er legte
[7][Die Weltbühne neu auf]. Ende Juni wurde der Berliner Verlag in den
Kreis der Gesellschafter der dpa aufgenommen – Deutschlands führender
Nachrichtenagentur, wie diese auf taz-Anfrage bestätigt.
## Schwarze Zahlen und dunkle Wolken
Folgt man Friedrichs Darstellung, läuft fast sechs Jahre nach seiner
Übernahme des Verlags alles nach Plan. Pünktlich zum Jubiläum vermeldet er,
dass er aus einem Verlustgeschäft von 8 Millionen Euro pro Jahr ein
profitables Blatt gemacht habe. 1,4 Millionen Euro Gewinn vor Zinsen und
Steuern soll der Verlag 2024 erwirtschaftet haben – „ohne irgendwelche
Buchungstricks“, sagte Friedrich Radioeins. „Dieses Jahr werden wir ein
bisschen was über 2 Millionen schaffen.“
Doch zum Geburtstag seiner Zeitung ziehen auch dunkle Wolken auf. Nach dem
Launch der Weltbühne [8][hagelte es Kritik]: Deborah Feldman zweifelte die
jüdische Identität von Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen
Allgemeinen, fälschlicherweise an. Nicholas Jacobsohn, Enkel des jüdischen
Gründers der Weltbühne, die von den Nazis verboten worden war, bezeichnete
Friedrichs Neuauflage als „Diebstahl“.
Was will Holger Friedrich mit dem Verlag? Was treibt ihn um? Wie hat sich
die Berliner Zeitung unter ihm entwickelt? Und läuft alles wirklich nach
Plan?
Die taz hat mit knapp 20 ehemaligen und aktuellen Mitarbeiter*innen
des Berliner Verlags gesprochen. Sie arbeiten oder arbeiteten in
unterschiedlichen Abteilungen und Ressorts, auf unterschiedlichen Ebenen,
manche seit vielen Jahren, einige waren Führungskräfte. Für alle, die den
Verlag inzwischen verlassen haben, war seine Entwicklung unter Friedrich
ein Grund. Alle wollen anonym bleiben. Einige sagen, sie hätten Angst vor
Holger Friedrich.
Die taz hat auch Holger Friedrich um ein Interview gebeten, er hat sich im
Mai und Juni dazu mehrfach bereit erklärt. Er bot unter anderem an, dass
die taz ihn vom Flughafen in Berlin abholen könne. Den von ihm
vorgeschlagenen Termin Ende Juni im Verlagshaus am Alexanderplatz sagte er
wieder ab.
Die taz hätte in der Vergangenheit die mit Abstand unhöflichsten und
unsachlichsten Texte über ihn und den Berliner Verlag veröffentlicht,
schreibt er in einer E-Mail. Er unterstellt der taz, weder objektiv noch
vollständig noch fair zu berichten. Friedrich erklärte sich danach trotzdem
bereit, schriftliche Fragen der taz per E-Mail zu beantworten. Einen
Fragenkatalog der taz ließ er jedoch bis heute unbeantwortet.
## Neoliberale Disruption
Als Holger Friedrich und seine Ehefrau Silke im September 2019 den Berliner
Verlag überraschend kauften, habe es zunächst Hoffnung gegeben, berichten
einige. Er sei mit offenen Armen empfangen worden, weil er ambitioniert
gewirkt habe. Kolleg*innen beschreiben ihn als locker und charismatisch.
Journalistische Erfahrung hatte er nicht. Dafür hatte der Mann, heute 58
Jahre alt, seine Millionen mit dem Verkauf eines Techunternehmens an den
SAP-Konzern gemacht, er war später Partner beim Beratungsriesen McKinsey.
Mit Friedrich zog eine Mischung aus Start-up-Geist und neoliberaler
Disruption in die 1945 gegründete Zeitung. „Die bessere Idee gewinnt. Keine
Hierarchien. Keine Autoritäten“ – so sagte Friedrich selbst es [9][dem
Spiegel damals] zu seinem Antritt als Verleger. Das Ziel: Die
„Transformation zu einem technologiebetriebenen Medienhaus“, wie es in
Dokumenten des Verlags steht.
Friedrichs Vorbilder seien Menschen wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Peter
Thiel, sagen Kolleg*innen. Eine vergleicht Friedrichs Ideen mit denen von
Musk und dessen Department of Government Efficiency, oder „DOGE“, das auf
einen fanatischen Sparkurs in diversen US-Behörden zwecks „Produktivität“
ging.
Die Berliner Zeitung ist heute zweifelsohne eine andere: Friedrich habe den
Verlag technologisch modernisiert, sagen einige. Es folgten ein Redesign
der Zeitung und Webseite, ein Relaunch der Wochenendausgabe, eine
kurzlebige englische Onlineausgabe, „Open Source“-Artikel, die von allen
eingereicht werden können, und ein neues Redaktionssystem, das auch mobiles
Arbeiten erleichtert.
Eine vergleichsweise gute Bezahlung lockt vor allem
Nachwuchs-Journalist*innen an. Nach eigenen Angaben ist die Belegschaft
heute im Schnitt elf Jahre jünger als vor Holger Friedrichs Kauf und kommt
heute aus mehr als 20 Nationen. Ein ehemaliger Redakteur sagt der taz: „Er
hat die Zeitung schon gerettet.“
Friedrich hat die Zeitung auch inhaltlich radikal umgebaut. Sie sei
inzwischen ein „merkwürdiges Alternativmedium für Russlandfreunde,
Impfgegner, Fans vom FC Union Berlin und die letzten Rammstein-Fans“,
formuliert es ein ehemaliger Mitarbeiter. Es ist eine Beschreibung, die man
oft hört.
Als er und seine Frau Silke Friedrich 2019 den Verlag übernahmen,
veröffentlichten sie ein knapp 4000 Wörter langes Manifest voller Nostalgie
und Rebellion, in dem sie etwa fragten, warum man 2001 die ausgestreckte
Hand von Herrn Putin nicht ergriffen hätte. Silke Friedrich hat sich
inzwischen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, ihr Mann mit dem markanten
Bart macht alleine weiter. Heute applaudiert er dem Zollkrieg und Sparkurs
von Donald Trump, von dem Europa lernen müsste, wie er im April in einem
[10][Gastbeitrag für Die Welt] argumentierte.
## Zwischen Anerkennung und Rache
Mehrere Menschen, die mit ihm eng zusammengearbeitet haben, beschreiben
Friedrich als libertären Kapitalisten. „Er denkt, dass das alte System so
schlecht ist, dass nur Zerstörung helfen kann“, sagt eine Person. Eine
andere sagt: „Seine Ambition ist, das System, so wie es ist, abzuschaffen.“
Viele sagen aber auch, dass man Friedrich besser psychologisch als
politisch verstehen könne: Er sei gekränkt, habe einen
Minderwertigkeitskomplex, wolle Anerkennung, sehe sich und die Ostdeutschen
als Opfer der Geschichte – und sei schließlich von Rache getrieben. Er
präsentiere sich – trotz inoffizieller Mitarbeit bei der Stasi,
SED-Mitgliedschaft und NVA-Wehrdienst – als Verfolgter des DDR-Systems,
nicht als Teil davon.
Auf der Bühne im Berliner Babylon-Kino mit Egon Krenz sagt Holger
Friedrich, die Ostdeutschen sollen eigentlich den Friedensnobelpreis
bekommen, weil sie die Wende gewaltfrei geschafft hätten. Stattdessen seien
ostdeutsche Eliten nach 1990 sozial ausgegrenzt worden. „Sie wollen
mitspielen bei der deutschen Elite“, sagt eine Person über das
Multimillionär-Verlegerpaar – und sähen sich als Außenseiter, die
ausgeschlossen und von der Medienbranche diskreditiert würden. Der
Underdog-Mythos seines publizistischen Imperiums wirkt wie ein Teil des
Geschäftsmodells.
Viele ehemalige und aktuelle Mitarbeiter*innen sehen in Friedrich
keinen „leidenschaftlichen Zeitungsmann“. Sie sagen übereinstimmend und
unabhängig voneinander: Friedrich verachte Journalist*innen und den
Journalismus. Es herrsche intern ein „Angstregime“, sagt eine.
Der Verleger Friedrich greife regelmäßig und gravierend in die
redaktionelle Arbeit ein. Er nehme an Themensitzungen teil, wünsche sich
Texte, verhindere dafür andere, diktiere sogar Überschriften und Dachzeilen
– und beschwere sich direkt und in konfrontativem Ton bei Redakteur*innen,
wenn ihm Artikel nicht passen. In E-Mails, die der taz vorliegen, gibt
Friedrich genaue Anweisungen, wie über bestimmte Themen zu berichten sei:
„nicht wieder so banal behandeln“, schreibt er in einer samt konkretem
Themenwunsch, denn zweimal hätte die Zeitung „nicht performt“.
## Keine Diskussionskultur mehr
Anfang des Jahres wurde die große Morgenkonferenz der Zeitung abgeschafft.
Manche vermuten, dass damit einer der wenigen Räume für Kritik geschlossen
werden sollte. „Es gibt keine interne Diskussionskultur mehr“, sagt eine
Person. Zwar findet nun täglich eine Ressortleiter-Runde statt. Doch diese
Führungsebene – die bei vielen Zeitungen eine gewisse redaktionelle
Unabhängigkeit genießt – sei entmachtet worden. Von den
Ressortleiter*innen und Chefredakteuren vor Friedrichs Verkauf des
Verlags ist heute niemand mehr übrig.
Mit Tomasz Kurianowicz sei einer zum Chefredakteur ernannt worden, der die
Zeitung eher passiv leite, sagen Kolleg*innen. Kurianowicz’ Stellvertreter
Moritz Eichhorn wird von mehreren Personen als Friedrichs „Kettenhund“
bezeichnet. Trotz ostdeutscher Ausrichtung der Zeitung besteht die
Chefredaktion ausschließlich aus Westdeutschen. Der aktuelle
Geopolitik-Chef – so nennt sich inzwischen das Auslandsressort der Zeitung
– schloss erst im Mai 2024 sein Volontariat ab. Der Leiter des
Politikressorts fing erst im vergangenen August als Nachwuchsjournalist bei
der Zeitung an, bevor er nach taz-Informationen vergangene Woche kündigte.
Wohlwollend könnte man sagen: Nachwuchsjournalist*innen hätten in
Friedrichs Berliner Zeitung die Gelegenheit, sich zu beweisen und schnell
aufzusteigen. Oder auch: Führungskräfte verfügten oft nicht über die nötige
Erfahrung und Autorität, um sich gegen einen Verleger zu behaupten, der
sich andauernd und auf allen Ebenen redaktionell einmischt.
Mitarbeiter*innen sagen: Die zentralisierte Machtstruktur führe dazu,
dass Friedrich sich durchsetzen könne und seine Lieblingsthemen im Blatt
regelmäßig vorkämen. „Am Ende entscheidet immer der Chef. Und das ist nicht
der Chefredakteur, sondern der Verleger“, sagt eine. Die Chefredaktion
bestehe lediglich aus seinen „willigen Vollstreckern“. In der
Zeitungsbranche ist das – gelinde gesagt – sehr unüblich.
Der taz liegen E-Mails vor, in denen Friedrich Berichte in Auftrag gibt –
etwa zum ostdeutschen Biotec-Unternehmen Centogene, in dessen Aufsichtsrat
er zur Zeit der Veröffentlichung saß und von dem er Aktionär war. „Wenn ihr
dem Tagesspiegel und der Morgenpost einen auswischen wollt, dann habt ihr
das morgen mit in der Ausgabe“, schrieb Friedrich. „Ostdeutsche
Erfolgsstory in der Medizin“, lautete dann Schlagzeile am nächsten Tag.
Offengelegt wurde Friedrichs Verbindung zum Unternehmen damals nicht,
[11][erst ein Spiegel-Bericht] machte sie öffentlich.
## Das Ende des Investigativressorts
Die Berliner Zeitung erhielt 2020 aufgrund des Interessenkonflikts eine
Rüge vom Presserat – eine von bis heute sechs Rügen seit der Übernahme der
Zeitung durch Friedrich. Zweimal wurde sie sogar wegen Friedrich selbst
gerügt. Zum Vergleich: In den zehn Jahren vor seinem Kauf des Verlags
erhielt sie keine einzige Rüge. In einem Fall ging es um die Namensnennung
eines Informanten. Als Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sich nach
seinem Rauswurf an die Berliner Zeitung mit vertraulichen Dokumenten
wandte, [12][verpfiff ihn Friedrich] beim Springer-Chef Mathias Döpfner
höchstpersönlich.
Kurz bevor die Friedrichs den Verlag kauften, [13][recherchierte das
Investigativressort der Zeitung] mehrmals zum undurchsichtigen
Firmengeflecht hinter dem Immobilienunternehmen Trockland, das am
Checkpoint Charlie unter anderem ein Hard-Rock-Hotel errichten wollte – ein
umstrittener Bauplan. Trockland soll Partner aus dem familiären Umfeld des
früheren turkmenischen Despoten Saparmyrat Nyýazow sowie Verbindungen nach
Moskau haben. Einer ist Vladimir Sokolov, der zuvor bei der russischen
Investmentbank VTB Capital tätig war, deren Mutterorganisation von der EU
und USA sanktioniert wurde. Sokolovs damalige Ehefrau, die Anteile an
Trockland besitzt, ist die Tochter Nyýazows.
Friedrich soll intern nahegelegt haben, dass er die Personen hinter
Trockland persönlich kenne. Im November 2022, nachdem der Berliner Senat
die Grundstücke am Checkpoint Charlie erworben und mit der Planung eines
Stadtplatzes und Erinnerungsortes dort begonnen hatte, schrieb Friedrich in
der Berliner Zeitung von „teilweise massiven, auch unsachlichen Vorwürfe
der Presse“ gegen Trockland, die unbegründet seien. Die Berichterstattung
sei „hochgradig tendenziös und in nicht geringem Umfang verleumderisch“.
„Auch die Blätter des Berliner Verlages hatten sich daran beteiligt“,
schrieb er. Seine Zeitung habe „später daraus Konsequenzen gezogen, sich
bei Betroffenen entschuldigt und in der redaktionellen Aufstellung für eine
Stärkung von faktenbasiertem Journalismus gesorgt“.
Das Investigativressort der Berliner Zeitung wurde unter Friedrich
aufgelöst, dessen Leiter gekündigt. Autorenprofile der Redakteur*innen
im Ressort wurden von der Webseite der Zeitung teilweise gelöscht,
Autorennamen von einigen Recherchen fehlen. Mindestens ein Artikel zu
Trockland ist heute nicht mehr online.
## Liebesgrüße aus Moskau
Und dann gibt es die Nähe zum Putin-Regime. Im Mai 2023 besuchten Friedrich
und sein Herausgeber Michael Maier einen Empfang in der russischen
Botschaft in Berlin zum Jahrestag des Sieges über die Nationalsozialisten.
Der russische Botschafter durfte Gastbeiträge für die Zeitung verfassen. In
einem nennt er die russische Annexion der Krim eine „Wiedervereinigung“,
die vom Westen provoziert worden sei.
Friedrich hat nach eigenen Angaben Moskau seit dem russischen Überfall auf
die Ukraine mindestens einmal besucht. Im Mai schrieb er [14][einen
lobenden Reisebericht] über die russische Hauptstadt, in der er die
digitale Verwaltung und den pünktlichen Nahverkehr anpries. Moskau wirke
„aufgeräumt und funktionstüchtig“.
Weniger Aufmerksamkeit hat der kuriose Fall des usbekisch-russischen
Oligarchen Alischer Usmanow bekommen. Er ist unter anderem Miteigentümer
des Stahlkonzerns Metalloinvest, der Tageszeitung Kommersant und des
Telekommunikationsriesen MegaFon. Er gilt [15][laut BBC] als einer Putins
Lieblingsoligarchen, eine enge Beziehung streitet Usmanow jedoch ab. Er
steht auf der Sanktionsliste der EU, die in einer Resolution 2022
festhielt: Usmanow habe russische Entscheidungsträger, die für die Annexion
der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, aktiv
materiell oder finanziell unterstützt.
Sämtliche Verfahren gegen Usmanow in Deutschland sind eingestellt. Die
Zeitung sieht deshalb einen „Milliardär im Fadenkreuz“, der politisch
verfolgt werde, und verteidigt ihn in mehreren Artikeln. So beschreibt
Holger Friedrich im Februar 2024 ein Treffen mit ihm in der usbekischen
Hauptstadt Taschkent. Usmanow sei „großzügig“, an seinen „Händen klebt…
Blut“. Die Geldwäsche-Vorwürfe von 42 Millionen Euro? „Peanuts“. Usmano…
Verhalten provoziere Neid, was laut Friedrich auf ein „mangelndes
interkulturelles Verständnis“ im Westen zurückzuführen sei. Bei solchen
Verteidigungen vermuten einige Personen, mit denen die taz gesprochen hat,
dass womöglich Geschäftsinteressen eine Rolle spielen könnten.
Mehrere Mitarbeiter*innen, die unter Friedrich zur Berliner Zeitung
wechselten, haben in der Vergangenheit für russische Staatsmedien
gearbeitet. Thomas Fasbender ist das prominenteste Beispiel: Er leitete ab
Anfang 2024 das damals neugegründete Geopolitik-Ressort, bevor er dieses
Jahr Mitherausgeber der Weltbühne wurde. Neben seiner langjährigen
Mitarbeit als [16][Autor der neurechten Zeitung Junge Freiheit] hatte
Fasbender bis zum Großüberfall Russlands auf die Ukraine mehrere Formate
beim Propagandasender RT.
## Wer dem Kettenhund zu nahe tritt
Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs lud Fasbender den früheren
DDR-Oberst Bernd Biedermann in seine Sendung, der über Putins Angriffskrieg
in der Ukraine sagen durfte: „Aber welche Alternative hätte er denn
gehabt?“ Das sei gar kein Krieg, sondern eine „selektive militärische
Operation“. Am 4. März 2022 zeichnete Fasbender seine letzte RT-Sendung auf
und kritisierte darin Putins Krieg. Ein Jahr später schrieb er in einem
Gastbeitrag für die Berliner Zeitung über den russischen Überfall: „Wer dem
Kettenhund so nahe tritt, muss risikovergessen sein.“ Der Fehler Europas
sei gewesen: „zu glauben, die liberale Weltordnung ließe sich ohne böse
Konsequenzen bis dicht an die russische Grenze vorschieben, vielleicht
sogar darüber hinaus.“
Im Juli 2022 fing auch Katerina Alexandridi bei der Berliner Zeitung an,
nachdem sie acht Jahre lang bei der Nachrichtenagentur Ruptly, die zu RT
gehört, Planungschefin war. Sie stieg im Oktober 2023 zur stellvertretenden
Chefredakteurin der Berliner Zeitung auf, seit Januar ist sie „Head of
International News“. Im April 2022 wechselte Liudmila Kotlyarova, die von
2020 bis Februar 2022 Korrespondentin und Redakteurin der russischen
staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti war, zur Berliner Zeitung. Seit
Mai 2023 ist Kotlyarova Leiterin des Wirtschaftsressorts. Von Juli 2023 bis
Mai 2025 war Lea Fabbrini Online-CvD der Berliner Zeitung, bis Februar 2022
arbeitete auch sie bei Ruptly.
Russland ist nicht der einzige Staat, mit dem die Berliner Zeitung
auffallend sanft umgeht. Ein ehemaliger Redakteur erklärt es so: „Für
Holger ist China das, was die DDR hätte werden können.“ Im Oktober 2022
druckte die Berliner Zeitung etwa eine Rede des Staatschefs Xi Jinping auf
dem Parteitag in Peking. Darin spricht er von Chinas „Außenpolitik des
Friedens“.
Seit November 2024 hat Jiawen Ruan 14 Artikel für das Blatt geschrieben –
Beiträge über staatliche Reformen in China vom Energiesektor bis zum
Wohnungsmarkt, die sich wie eine Hofberichterstattung für das autoritäre
Regime lesen. Die Autorin ist Chefkorrespondentin im Berliner Büro der
staatlichen China Media Group (CMG), die der Propagandaabteilung der
Kommunistischen Partei untersteht.
Im Oktober 2024 empfing Friedrich und der Berliner Verlag eine sechsköpfige
Delegation der CMG in Berlin. Im April 2025 nahmen Friedrich und der
stellvertretende Chefredakteur Moritz Eichhorn an einer Konferenz der CMG
im chinesischen Qufu teil.
## Kuschelinterviews mit Autokraten
Merkwürdig ist auch der Umgang der Berliner Zeitung mit dem diktatorischen
Regime in Aserbaidschan. Im Juni interviewte Daniel Cremer, neben Eichhorn
stellvertretender Chefredakteur, Mir Jamal Paschajew, der als Vertreter des
Aufsichtsrats des Investmentunternehmens Pasha Holding vorgestellt wurde.
Verschwiegen wurde, dass er ein Cousin von Mehriban Alijewa ist – Frau des
Diktators Ilham Alijew, seit 2017 Vizepräsidentin und damit zweitmächtigste
Person der kaukasischen Erbdiktatur. Alijewas Vater, Paschajews Großvater,
gründete die Firma.
„Das Gespräch ist nicht nur rätselhaft, sondern skandalös“,
[17][kommentierte der Blog Übermedien]. Das unkritische Interview wirke wie
verkappte Werbung für das autoritäre aserbaidschanische Regime und einen
mit ihm aufs engste verbundenen Konzern. Übermedien führt eine Reihe
freundlicher Beiträge über Aserbaidschan auf, die in letzter Zeit in der
Berliner Zeitung erschienen sind und die nicht mehr von „autoritär“ oder
„Diktatur“ sprechen.
Aserbaidschan steht auf Platz 167 von 180 in der Rangliste der
Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Im Sommer 2024 reiste Friedrich
dorthin, um am Shusha Global Media Forum teilzunehmen, das um die
„Aufdeckung falscher Informationen“ und die „Bekämpfung von Desinformati…
ging. Er berichtete in der Berliner Zeitung in zwei Artikeln positiv über
die Reise, bei dem er auch ein Propagandafilmstudio des Regimes sowie das
militärische Sperrgebiet im Bergkarabach besuchen durfte.
Im Oktober 2024 trafen Vertreter des Berliner Verlags, darunter auch
Friedrich, einen engen Berater des aserbaidschanischen Autokraten Alijew,
Elchin Amirbayov, in den Räumen des Verlags. Die Berliner Zeitung
veröffentlichte wenige Tage später ein Interview mit Amirbayov, geführt von
Thomas Fasbender und Simon Zeise, der zuvor bei der Jungen Welt arbeitete.
Angesprochen auf die Pressefreiheit im Land – „nicht sonderlich hoch“ –
durfte Amirbayov unwidersprochen sagen: „Die schlechte Presse sollte nicht
so verstanden werden, dass wir jedes Mal die Schuldigen sind. Wir waren
schon des Öfteren Opfer heftiger Desinformation, insbesondere am Vorabend
großer Ereignisse.“ Und: „Niemand ist perfekt.“
## „Mehr Leute sind gegangen als geblieben“
Friedrichs Kurs führt zu einer großen Unzufriedenheit innerhalb des
Verlags. Die Stimmung sei „am Boden“, sagt eine Person. Das zeigen die
Ergebnisse einer Mitarbeiterumfrage aus dem Jahr 2024, die der taz
vorliegen. In der Marketingabteilung nahmen nur rund die Hälfte der 22
Mitarbeiter*innen teil, das Ergebnis: 3,4 von 10 Punkten an
Zufriedenheit. In den redaktionellen Abteilungen war die Teilnahme
deutlich geringer. Bei der Wochenzeitung betrugt sie 22 Prozent, bei der
Tageszeitung lediglich 12 Prozent, mit einer Zufriedenheit von jeweils 5,5
von 10 Punkten. Zu den Gründen gehören eine unklare Blattlinie, der
ständige Transformationskurs, geringe Feedback-Kultur und Wertschätzung
sowie zu wenig Aktivität seitens der Chefredaktion.
Das Ergebnis: Seit September 2019 haben etliche Mitarbeiter*innen den
Verlag verlassen. Viele kündigen, andere werden gekündigt. Wie viele
Redaktionsmitglieder die Berliner Zeitung genau verlassen haben, ist
ungewiss. „Mehr Leute sind gegangen als geblieben“, schätzt einer. Ein
langjähriges, inzwischen ehemaliges Redaktionsmitglied sagt: „Ich kenne da
kaum noch Leute.“
Auch finanziell dürfte der Berliner Verlag nicht so gut dastehen, wie
Friedrich behauptet. Die Zahlen – 1,4 Millionen Euro Gewinn für 2024 und
eine Prognose von mehr als 2 Millionen Euro dieses Jahr – seien „Unsinn“,
kommentiert ein ehemaliger Mitarbeiter. Ein anderer sagt: „Ich halte die
Aussage, dass die Zeitung Geld verdient, für extrem beschönigend.“ Eine
Dritte: „Er würde niemals zugeben, dass er mit dem Projekt gescheitert
ist.“ Niemand, mit dem die taz darüber gesprochen hat, findet die Zahlen
realistisch.
Belege für das Wachstum gibt es bislang nicht. Jahresabschlüsse der
Berliner Verlag GmbH für 2023 und 2024 sind im Bundesanzeiger noch nicht
veröffentlicht worden. 2022 betrug der Gewinn vor Zinsen und Steuern
294.000 Euro. Seit 2021 vermeldet der Verlag keine Verkaufszahlen mehr bei
der IVW, die solche Daten branchenweit sammelt.
Schätzungen von mehreren Mitarbeiter*innen zufolge hat die Berliner
Zeitung heute rund 50.000 Printabos, die aufgrund der älteren Leserschaft
wie bei den meisten Zeitungen Jahr für Jahr sinken. Zum Vergleich: die
letzte gemeldete Auflage der Berliner Zeitung vom ersten Quartal 2021
betrugt knapp 80.000 Exemplare. Die Abos der Wochenendausgabe seien nach
dem Relaunch unter Friedrich „eingebrochen“, sagt eine Person, die mit der
Situation vertraut ist. Diese schätzt, dass die Zeitung rund 20.000
Abonnenten verloren habe. Grund seien die inhaltliche Neuausrichtung sowie
die Abschaffung des populären Wochenendmagazins.
## Wachstum ohne Zahlen
Woher kommt also das Wachstum? Friedrich behauptet, digitale Abos stünden
dahinter. In einer Sonderausgabe zum fünften Jubiläum des Verlegerpaars
zeigt eine Grafik ein steiles Wachstum der Digitalabos ab 2023, sie hat
aber keine vertikale Achse, um dieses zu beziffern. Friedrich hält sich mit
genauen Zahlen bedeckt.
Eine Rationalisierung des Betriebs durch die vielen Kündigungen vor allem
älterer Arbeitsverträge und der Verkauf der verlagseigenen Druckerei 2024
könnten womöglich dem massiven Verlustgeschäft entgegengewirkt haben.
Einzelne Gesprächspartner*innen fragen sich, ob es neben den bekannten
Erlösquellen weitere Finanzierungsmöglichkeiten geben könnte. Diese
Vermutungen konnten durch die taz nicht belegt werden. Auch dazu will
Friedrich auf Anfrage keine Antwort geben.
Zumindest in der Aufmerksamkeitsökonomie boomt das Geschäft des Berliner
Verlags. Die neue Weltbühne wurde von nahezu allen großen Medien kritisch
seziert. Der Skandal schien von vornherein einkalkuliert gewesen zu sein:
eine deutsche Zeitschrift, die die jüdische Biografie eines jüdischen
Chefredakteurs in Frage stellt.
Die Empörung über seinen Verlag versucht Friedrich publizistisch
umzumünzen. Auf eine Spiegel-Recherche zur Berliner Zeitung im September
2024 reagierten Chefredaktion und Herausgeber mit einem offenen Brief an
das Nachrichtenmagazin: Ihre Journalist*innen und insbesondere ihr
Verleger Holger Friedrich seien im Artikel diskreditiert und diffamiert
worden, beim Spiegel gäbe es „eine regelrechte Lust daran, Akteure des
Berliner Verlags mit taktischen Fouls aus dem Spiel zu nehmen“.
In einem ähnlich trotzigen Ton reagiert Holger Friedrich [18][in einem
Beitrag in der Berliner Zeitung] vom 30. Juni unter dem Titel „Warum ich
trotzdem für die Freiheit weiterkämpfe“. Darin schreibt er, dass der
Verleger mit Denunziation überzogen worden sei. Der Text, der sich über die
ersten drei Seiten der Zeitung erstreckte, liest sich wie eine Abrechnung
mit all seinen Kritikern. Darin verteidigt Friedrich sich gegen die vielen
Skandale der vergangenen Jahre – seine Stasiakte, die
Corona-Berichterstattung seiner Zeitung, deren Russlandkurs, Beiträge über
und aus autoritären Regimes wie China, Gespräche mit Viktor Orbán, den
Streit um die Weltbühne und [19][Vorwürfe des Antisemitismus] gegen ihn in
der taz.
Gegen all das will sich Friedrich wehren. Er spricht von „mittelalterlichen
Methoden der Ausgrenzung zum Machterhalt“ der Politik und Medien. Und er
habe gelernt, „wie es sich anfühlt, Beißreflexe eines etablierten Systems
auszulösen, wenn dessen Orthodoxien infrage gestellt und der exklusive
Zugang zu diesem System geöffnet wird“. Zum Schluss schreibt er: „Don’t
shoot the messenger.“ Als hätte er das System endlich fast gesprengt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels stand,
dass Holger Friedrich nach eigenen Angaben Moskau seit dem russischen
Überfall auf die Ukraine mehrfach besucht hat. Er hat Moskau seitdem nach
eigenen Angaben mindestens einmal besucht.
12 Jul 2025
## LINKS
[1] /Verleger-von-BZ-und-Weltbuehne/!6094703
[2] /Ex-DDR-Staatsoberhaupt-in-Berlin/!6034912
[3] https://www.youtube.com/watch?v=_FujZYlM_gg
[4] /Die-Weltbuehne-wird-neu-verlegt/!6087025
[5] https://kress.de/news/beitrag/149710-holger-friedrich-sagt-wie-gut-es-beim-…
[6] https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:publication:e5a851ff97c47aea/
[7] /Die-Weltbuehne-wird-neu-verlegt/!6087025
[8] /Chef-der-Juedischen-Allgemeinen/!6089553
[9] https://www.spiegel.de/politik/das-ist-punk-a-707ff8ae-0002-0001-0000-00016…
[10] https://www.welt.de/debatte/plus255881254/Zollpolitik-Europas-Hochmut-und-…
[11] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/holger-friedrich-gibt-es-intere…
[12] https://www.sueddeutsche.de/medien/friedrich-interview-manager-magazin-doe…
[13] https://www.berliner-zeitung.de/archiv/checkpoint-charlie-das-netzwerk-der…
[14] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/eine-reise…
[15] https://www.bbc.com/news/uk-60593022
[16] /Rechstruck-in-einst-linkem-Magazin/!6093231
[17] https://uebermedien.de/106963/die-berliner-zeitung-zeigt-verstaendnis-fuer…
[18] https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/holger-friedrich-warum-i…
[19] /Rechstruck-in-einst-linkem-Magazin/!6093231
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