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# taz.de -- Diskriminierung durch Behörden: Die Frage nach der Herkunft
> Erstmals wurde ein Polizist in Berlin wegen Diskriminierung verurteilt.
> Er wollte nicht einsehen, dass ein nicht weißer Mensch aus Bochum stammen
> kann.
Bild: Syed N. kämpft dafür, dass Kontrollen wie die eines Wolt-Kuriers im Jul…
Berlin taz | Nicht weiße Menschen kennen die Situation: Wenn sie auf die
Frage „Woher kommst du?“ antworten, „Berlin“ oder „Gießen“, also e…
deutsche Herkunft für sich reklamieren, hören sie oft Widerspruch: „Nein,
ich meine eigentlich!“ Nun hat erstmals ein Gericht festgestellt, dass die
Frage „Wo kommst du wirklich her?“ diskriminierend ist. Wegen Verstoßes
gegen das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) wurde am vergangenen
Montag erstmals das Land Berlin, vertreten durch die Polizei verurteilt.
Das Amtsgericht Mitte sprach dem Kläger Syed N. 750 Euro Entschädigung zu.
Dieser zeigte sich gegenüber der taz zwar froh über das Urteil, zugleich
aber enttäuscht über die Reaktion der Polizei im Verlauf des Verfahrens:
„Es ist deutlich geworden, dass trotz einer Dienstaufsichtsbeschwerde die
Polizei die Diskriminierung als solche – Stand heute – nicht wahrnimmt.
Hier sollte besser sensibilisiert werden.“
Der Vorfall ereignete sich kurz nach Inkrafttreten des LADG im Juli 2020:
Herr N. war mit dem Fahrrad unterwegs und wurde von der Polizei angehalten,
weil er angeblich sein Mobiltelefon während des Fahrens benutzt hatte. Es
kam zu einer Identitätskontrolle, bei der sich zwei Polizeibeamte laut
Aussage von N., einer ihn begleitenden Freundin und eines Passanten laut
und aggressiv verhielten und gegen N. ein Ordnungsgeld von 50 Euro
verhängten. Herr N. wies sich mit einer Krankenkassenkarte aus, worauf ihn
ein Beamter nach seinem Geburtsort fragte. Auf seine Antwort – „Bochum“ �…
fragte der Polizist nach, wo N. „wirklich“ herkomme.
N. sah darin eine Diskriminierung aufgrund seiner ethnischen Herkunft und
einer rassistischen Zuschreibung – nach dem Motto: Nichtweiße können ja gar
keine Deutschen sein. Er wandte sich an die Ombudsstelle, die mit dem LADG
eingerichtet wurde, um Bürgern zu helfen, ihr Recht durchzusetzen. Das
Gesetz verbietet Diskriminierungen durch Beschäftigte von Landesbehörden
und landeseigenen Betrieben; seit Inkrafttreten im Juni 2020 gingen mehrere
tausend Beschwerden ein, [1][vor allem gegen Bezirksämter, Schulen, BVG –
und die Polizei].
## Nur eine halbe Entschuldigung
Im Fall von N. befand die Ombudsstelle nach umfassender Prüfung inklusive
Akteneinsicht, es liege tatsächlich eine Diskriminierung vor. Die Leiterin
der Ombudsstelle sprach gegenüber der Polizei eine formelle Beanstandung
aus. Sie empfahl eine schriftliche Entschuldigung und die Rücknahme des
Bußgeldes.
Dem kam die Polizei zwar nach, allerdings hieß es im
Entschuldigungsschreiben nur, man bedauere, dass N. sich „diskriminiert
gefühlt“ habe – dass die Handlungsweise der Beamten tatsächlich
diskriminierend war, wurde also nicht zugegeben. Dies empfand N. als zu
wenig, ebenso die angebotenen 100 Euro Entschädigung – und reichte Ende
2021 Klage ein. Im März dieses Jahres kam es zur mündlichen Verhandlung,
vorige Woche fiel das Urteil. Bei der Verkündung habe die Richterin
erklärt, die Formulierung im Entschuldigungsschreiben der Polizei sei
tatsächlich nicht ausreichend, erklärte das Antidiskriminierungsnetzwerk
Berlin (ADNB), das N. bei der Klage unterstützte.
Charlotte Heyer, Projektleiterin des ADNB, sagte weiter, Syed N.s Erfahrung
sei kein Einzelfall. „Als Beratungsstelle hören wir alltäglich von Fällen
rassistischer Diskriminierung und Gewalt durch die Polizei. Eine
Verantwortungsübernahme durch die Behörde können wir leider fast nie
beobachten.“
Auch der zuständige Staatssekretär für Integration, Antidiskriminierung und
Vielfalt, Max Landero (SPD), kritisierte auf taz-Anfrage, die Polizei habe
im Laufe dieses Verfahrens mehrere Gelegenheiten einer gütlichen Einigung
verstreichen lassen. „Es wäre bereits frühzeitig möglich gewesen,
institutionelle Verantwortung zu übernehmen und die Diskriminierung des
Klägers anzuerkennen.“ Die lange Dauer des Verfahrens zeige zudem, was es
für eine „enorme Kraftanstrengung für diskriminierte Personen“ bedeute,
ihre Rechte durchzusetzen. Landero: „Hiermit ist sicherlich auch die Frage
nach einer gelebten Fehlerkultur verbunden.“
## Polizei sieht Sachverhalt anders
Tatsächlich zeigt die Antwort der Polizei, dass die Behörde im Zuge des
Verfahrens sogar wieder davon abgerückt ist, in dem Fall einen Fehler
zuzugestehen. Eine Sprecherin erklärte auf taz-Anfrage, man habe im Rahmen
des Beschwerde- und Klageverfahrens „mehrfach Entschädigungsangebote
unterbreitet“ – was implizit ein Schuldeingeständnis ist. Aber: Beim
Verfahren vor dem Amtsgericht sei man „nach erneuter Prüfung der Sach- und
Rechtslage durch die Polizei Berlin letztlich einem Vergleichsvorschlag
nicht mehr nachgekommen, da nach Bewertung der Polizei Berlin der
Sachverhalt ein anderer war als dort vom Kläger vorgetragen“. Ansonsten
könne man sich nicht zum Urteil äußern, da der Polizei die schriftliche
Begründung noch nicht vorliege.
Über mangelnde „Fehlerkultur“ hatte sich erst kürzlich auch der neue
Polizei- und Bürgerbeauftragte Alexander Oerke [2][bei der Vorstellung
seines ersten Jahresberichts beklagt]. Auch an ihn können sich Menschen
wenden, die sich von der Polizei diskriminiert fühlen. Die Arbeit mit der
Polizei gestaltet sich laut Oerke „deutlich schwieriger und langwieriger“
als mit anderen Behörden und Einrichtungen, Fehler würden oft nicht
zugegeben, „unglaubhafte Aussagen von Dienstkräften nicht hinterfragt“.
Für den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg zeigt das Urteil, wie notwendig
es ist, „rassismuskritische und diskriminierungssensible Ansätze und Themen
in der Ausbildung der Polizei zu verankern“. Nur so könne „institutionellem
Rassismus effektiv entgegengewirkt werden“, sagte Vorstand Zülfukar Cetin.
Kläger Syed N. sagte der taz, ohne Unterstützung der Ombudsstelle und des
ADNB hätte er diesen Kampf nicht durchhalten können: „Recht haben und Recht
bekommen war und ist ein sehr schwieriger und kostenintensiver Weg.“
21 Apr 2024
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## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
LADG
Schwerpunkt Rassismus
Diskriminierung
IG
Hamburg
LADG
Landesantidiskriminierungsgesetz
Einwanderung
Diskriminierung
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