| # taz.de -- Plansche-Prozess: Freie Nippel für alle | |
| > Eine Frau hat das Land Berlin verklagt, weil sie wegen nackten | |
| > Oberkörpers aus der Plansche geworfen wurde. In zweiter Instanz war sie | |
| > damit erfolgreich. | |
| Bild: Frauen* aller Länder, befreit eure Nippel! | |
| Berlin taz | Gibt es einen Unterschied zwischen Frauen, die ihren nackten | |
| Oberkörper zeigen, und Männern, die dies tun? Nein, gibt es nicht, das | |
| musste auch das Land Berlin einsehen. Die Architektin Gabrielle Lebreton | |
| hatte geklagt, weil sie im Sommer 2021 [1][von der Security rabiat] aus der | |
| Plansche im Plänterwald geworfen wurde, weil sie dort ohne Badeoberteil | |
| gesessen hatte. | |
| Gegen ihren Freund, der ebenfalls „oben ohne“ war, gingen die | |
| Sicherheitsleute hingegen nicht vor. Genau gegen diese Ungleichbehandlung | |
| klagte die Französin nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) und | |
| sorgte damit bundesweit für Aufsehen. | |
| Im September 2021 dann die Ernüchterung: Das Landgericht [2][wies die Klage | |
| ab]. Der Rauswurf sei wegen des Schutzes eines „geschlechtlichen | |
| Schamgefühls“ in Teilen der Gesellschaft gerechtfertigt gewesen, hieß es | |
| zur Begründung. Doch damit wollte sich die 39-Jährige nicht zufrieden | |
| geben: Mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) legte | |
| sie Berufung vor dem Kammergericht ein. | |
| Mit Erfolg – nach über zwei Jahren Rechtsstreit hat das Land Berlin die | |
| Diskriminierung nun anerkannt. Gabrielle Lebreton bekommt damit in zweiter | |
| Instanz Recht. „Ich bin erleichtert“, sagt Lebreton zur taz. Es sei nicht | |
| einfach für sie gewesen, nach der Demütigung aufgrund ihres Körpers vor | |
| Gericht zu ziehen – auch weil weibliche Brüste in dieser Gesellschaft oft | |
| lächerlich gemacht würden. | |
| ## Höhe der Entschädigung noch unklar | |
| Doch für sie geht es um mehr: „Es geht darum, die Menschenrechte zu | |
| wahren.“ Trotz aller biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen | |
| seien diese vor dem Gesetz schließlich gleichberechtigt. Doch nicht in der | |
| Plansche: „Mein weiblicher Körper wurde unangemessen sexualisiert und es | |
| wurde versucht, meine Freiheiten einzuschränken.“ Dass dies nun anerkannt | |
| wurde, freue sie sehr. | |
| Allerdings steht die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung noch aus. | |
| 10.000 Euro fordert Lebreton, die Senatsverwaltung für Finanzen, bei der | |
| die Prozessführung liegt, bietet ihr 750 Euro. „Es ist schön, dass das Land | |
| Berlin, wenn auch sehr spät, die Diskriminierung anerkannt hat, aber bei | |
| der Entschädigungshöhe muss mehr kommen“, sagt Soraia Da Costa Batista, die | |
| als Juristin das Verfahren für die GFF begleitet hat, zur taz. Schließlich | |
| seien die europarechtlichen Vorgaben klar: „Entschädigungen müssen wirksam | |
| und abschreckend sein, 750 Euro sind keines von beidem.“ | |
| Wenn das LADG wirksam sein solle, müsste die Entschädigung weit höher | |
| ausfallen, sagt Da Costa Batista. Die Entscheidung darüber liegt nun beim | |
| Kammergericht. Wann das abschließende Urteil kommt, ist jedoch noch unklar. | |
| Das Gericht habe nun die Möglichkeit, Maßstäbe für zukünftige Verfahren | |
| nach dem LADG zu setzen. Und die Sanktionen so zu gestalten, dass es in | |
| Zukunft gar nicht erst zu Diskriminierungen kommt. | |
| Schließlich ist es für Betroffene nicht leicht, wegen erlebter | |
| Diskriminierung zu klagen. Das weiß auch Leonie Thum, die Anwältin von | |
| Gabrielle Lebreton und vieler weiterer Betroffener von Diskriminierung. | |
| Nicht nur wegen der emotionalen, sondern auch wegen der finanziellen | |
| Belastung. | |
| „Die Hürden für Klagen nach dem LADG sind sehr hoch“, sagt Thum zur taz. | |
| Die Betroffenen würden das volle Kostenrisiko tragen und müssten im | |
| schlimmsten Fall die gesamten Prozesskosten, also die Gerichtskosten sowie | |
| die Gebühren der eigenen und gegnerischen Anwälte bezahlen – das können | |
| schon mal 10.000 bis 15.000 Euro sein. | |
| ## Stärkung des Antidiskriminierungsgesetzes | |
| Im Plansche-Fall wird es dazu wohl nicht kommen. Thum wundert jedoch, dass | |
| es überhaupt so weit kommen musste. „Es ist sehr schade, dass das so lange | |
| gedauert hat. Man hätte das mit weniger zusätzlichen Belastungen für meine | |
| Mandantin schon bei der Ombudsstelle klären können“, so Thum. Die war mit | |
| dem Fall befasst und hatte eine Diskriminierung festgestellt. Und dem | |
| Bezirk Treptow-Köpenick als Betreiber der Plansche eine Entschuldigung | |
| sowie eine Überarbeitung der Nutzungsordnung empfohlen. | |
| In der steht nun, dass die Badebekleidung „die primären Geschlechtsorgane | |
| vollständig bedecken“ muss. Die weibliche Brust gilt als sekundäres | |
| Geschlechtsorgan. Auch die Berliner Bäder Betriebe hatten Anfang des Jahres | |
| nach Intervention der Ombudsstelle [3][ihre Mitarbeiter*innen darauf | |
| hingewiesen], dass Frauen oben ohne schwimmen dürfen. Zuvor war eine Frau | |
| deswegen rausgeworfen worden. Das kommt gut an: In den Freibädern seien in | |
| diesem Sommer viele Frauen oben ohne gewesen – „vor allem auf den | |
| Liegewiesen, aber zunehmend auch in den Schwimmbecken“, so eine Sprecherin | |
| auf taz-Anfrage. | |
| Trotz Änderung der Nutzungsordnung wollte der Bezirk bei Lebreton zunächst | |
| keine Diskriminierung erkennen. Erst nachdem das Kammergericht deutlich | |
| gemacht habe, dass eine Schlechterbehandlung gegenüber männlichen Besuchern | |
| anzunehmen sei, an deren Rechtfertigung Zweifel bestünden, sei das Land | |
| nach einigen Wochen eingelenkt. | |
| Alles andere als eine Feststellung der Diskriminierung wäre fatal gewesen, | |
| so Leonie Thum: „Das hätte bedeutet, dass eine völlig klare Diskriminierung | |
| nicht als solche anerkannt wird, weil einzelne Menschen etwas anstößig | |
| finden. Das LADG hätte dann keinen Anwendungsbereich mehr gehabt.“ | |
| Auch für Gabrielle Lebreton hat sich der Kampf gelohnt: „Ich hoffe, dass | |
| ich anderen Betroffenen Mut gemacht habe.“ Für die Zukunft wünscht sie | |
| sich, dass „die systematische und unerwünschte Sexualisierung des weiblich | |
| gelesen Körpers aufhört“. | |
| 20 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kampf-fuer-Gleichberechtigung/!5843208 | |
| [2] /Plansche-Urteil-in-Berlin/!5878153 | |
| [3] /Baden-in-Berlin/!5919651 | |
| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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