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# taz.de -- 2 Jahre LADG Berlin: Der Tiger braucht noch Zähne
> Nach zwei Jahren Antidiskriminierungsgesetzes gibt es viele Beschwerden,
> aber kaum Klagen. Beratungsstellen fordern mehr Geld für
> Rechtshilfsfonds.
Bild: Sicherheitdienst und Polizei bei einer Kontrolle in der Berliner U-Bahn
Zwei Jahre nach [1][Inkrafttreten des Landesantidiskriminierungsgesetzes
(LADG)] in Berlin ziehen Beratungsstellen eine gemischte Bilanz. Einerseits
sei es gut, dass mit dem Gesetz die vielen Fälle von „diskriminierender
Praxis durch staatliches Handeln immer sichtbarer werden“ und Betroffene
nun die Möglichkeit hätten, sich dagegen zu wehren, erklärte Alaleh
Shafie-Sabet, Projektleiterin beim [2][Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin
des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (ADNB-TBB)].
Andererseits zeigten sich betroffene Behörden oft uneinsichtig und würden
diskriminierendes Verhalten ihrer Mitarbeitenden nicht zugeben, ergänzt
ihre Kollegin Charlotte Heyer. „Die meisten reagieren ähnlich, wenn wir uns
mit einer Beschwerde an sie wenden. Man erklärt sein Bedauern, sagt aber
zugleich, dass die fragliche Handlung nicht diskriminierend gemeint gewesen
sei.“
Bei der Polizei und dem Berliner Verkehrsunternehmen BVG sei dies oft
verbunden mit dem Zusatz, man achte sehr auf Diversität im eigenen Haus.
Nach dem Motto: Wir sind die Guten, da kann es nicht sein, dass wir
diskriminieren. „Damit wird den Betroffenen die Erfahrung von
Diskriminierung abgesprochen“, kritisiert Heyer.
Das bundesweit einmalige LADG trat am 21. Juni 2020 in Kraft. Seither ist
Berliner Landesbehörden und landeseigenen Unternehmen wie der BVG die
Diskriminierung von Menschen aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion,
rassistischer Zuschreibungen und weiterer Merkmale verboten. Damit wurde
eine wichtige Schutzlücke geschlossen, denn das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt nur für Dienstleistungen und im
Arbeitsrecht.
In Berlin können sich Betroffene seitdem wegen Benachteiligungen durch
Landesbedienstete beschweren – die meisten machen dies über eine
Beratungsstelle wie die beim ADNB oder über die eigens eingerichtete
Ombudsstelle in der Justizverwaltung. Zudem steht ihnen der Klageweg offen,
dabei können sie auch von anerkannten Verbänden unterstützt werden. „Die
meisten Betroffenen wollen aber vor allem eine außergerichtliche
Entschuldigung und Anerkennung der Diskriminierung“, so die Erfahrung von
Heyer.
Seit ihrer Einrichtung gingen über 1.000 Beschwerden bei der Ombudsstelle
ein, rund 700 davon fallen laut Justizverwaltung in den Anwendungsbereich
des LADG. Die meisten Beschwerden betreffen demnach Bezirksämter, Schulen,
die Polizei und die Berliner Verkehrsbetriebe.
Doris Liebscher, die Leiterin der Ombudsstelle, sagt dazu: „Diskriminierung
kommt überall in unserer Gesellschaft vor – auch bei staatlichen Stellen.
Wichtig ist es, damit professionell umzugehen. Hier muss mehr geschult
werden und wir müssen stärker Regeln und Abläufe in den Blick nehmen, die
diskriminierungsanfällig sind. Dazu zählt zum Beispiel das Outsourcing
staatlicher Aufgaben an private Sicherheitsfirmen wie bei der BVG.“
## Verzögerte Bearbeitung
Beim ADNB kamen bislang 145 Fälle zusammen, die das Netzwerk als
„LADG-relevant“ einstuft. Die meisten, erklärt Heyer, beträfen BVG,
Bürgerämter und Polizei. „BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color,
Anm.d.Red.) beschweren sich zum Beispiel über Racial profiling oder
darüber, dass sich die Polizei weigert, eine Anzeige aufzunehmen – etwa
nach einer BVG-Kontrolle, die rassistisch ausgeartet ist.“ Auch auf
Bürgerämtern komme es immer wieder zu rassistischen Stigmatisierungen. So
beschwerten sich BIPoCs über die verzögerte Bearbeitung ihrer Anträge,
indem sie immer neue Unterlagen beibringen sollten, die „normalerweise“
nicht verlangt würden.
Auch die Beratungsstelle von [3][Eoto, dem communitybasierten
Empowermentprojekt für Schwarze Menschen], meldet eine „Vielzahl von
Fällen“, bei denen es um staatliche Diskriminierung geht. Laut der Leiterin
der Beratung, Joanna Jones, sind die Institutionen, die am häufigsten
Probleme machen, Jugendämter, Schulen, Universitäten, Ausländerbehörde und
Polizei. „Auch im Rahmen des Ukrainekrieges ist es mehrfach zu Meldungen
von Diskriminierung gekommen, in denen wir Beschwerdeverfahren initiierenm
zum Beispiel beim Landesamt für Einwanderung.“
Und was passiert nach Bekanntwerden einer Diskriminierung? Wenn die
Beschwerdeführer*innen das wollten, erklärt Heyer, schreibe der ADNB
nach der Erstberatung einen Beschwerdebrief an die betreffende Institution
mit der Bitte um Stellungnahme. Viel erreiche man damit bislang nicht,
zumeist fehle wie gesagt die Einsicht. „Die Diskriminierungen bleiben also
bisher sanktionslos. Die Frage ist, ob eine gerichtliche Geltendmachung von
Entschädigungsansprüchen zu einem Umdenken führt.“
Bislang gibt es allerdings nur wenige Diskriminierungsbetroffene, die den
Klageweg zu gehen bereit sind. Dem ADNB sind aktuell vier Klagen von
Einzelpersonen und eine Verbandsklage bekannt.
Die „Klageflut“, vor der Gegner des Gesetzes wie die Polizeigewerkschaft
vor dessen Inkrafttreten gewarnt hatten, ist also ausgeblieben. Grund dafür
ist nach Ansicht der Expert*innen zum einen die fehlende Information
einer breiten Öffentlichkeit. „Bisher ist die LADG-Ombudsstelle kaum
proaktiv und öffentlichkeitswirksam nach außen getreten“, kritisiert Edwin
Greve vom Migrationsrat Berlin, einem Zusammenschluss zahlreicher
Organisationen, die teilweise Antidiskriminierungsberatung anbieten. „Weder
gab es eine größer angelegte Öffentlichkeitskampagne, noch ist die
Ombudsstelle beispielsweise über die von der
Landesantidiskriminierungsstelle veröffentlichte Antidiskriminierungs-App,
die AnDi-App, zu finden.“
Vor allem aber, sagen Migrationsrat und ADNB, fehlten potenziellen
Kläger*innen oft die Mittel für eine Klage. „Wir vermissen weiterhin
Lösungsvorschläge durch den Senat bezüglich der Finanzierung von
Verbandsklagen“, sagt Greve daher. Heyer ergänzt: „Viele Menschen, die wir
beraten, sind von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Menschen, die
Rassismuserfahrungen machen, sind zum Beispiel viel häufiger auch von
Klassismus betroffen. Deshalb fehlt es nicht selten an den zeitlichen und
finanziellen Ressourcen für eine Klage.“ Derzeit gebe es jedoch für
LADG-Klagen nur einen Rechtshilfefonds für Anwalts- und Prozesskosten, den
die Gesellschaft für Freiheitsrecht (GFF) gemeinsam mit dem ADNB
eingerichtet hat.
Zudem bemerken die Berater*innen schmerzlich das Fehlen einer
bundesweiten Regelung. Ihre Beratungsstelle bekomme viele Anrufe von
Betroffenen, die außerhalb Berlins behördlich diskriminiert wurden, so
Heyer. „Dass wir in solchen Fällen nicht weiterhelfen können, ist schwierig
zu vermitteln und für die Menschen oft sehr frustrierend.“
4 Jul 2022
## LINKS
[1] /Berliner-Antidiskriminierungsgesetz/!5690956
[2] /Rassismus-auf-dem-Arbeitsmarkt/!5654116
[3] /Black-Communities-Zentrum/!5859048
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
LADG
Diskriminierung
Landesantidiskriminierungsgesetz
AGG
Kolumne Diskurspogo
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Wohnen ist Heimat
Brüste
Polizei Berlin
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