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# taz.de -- Ombudsfrau über Diskriminierung: „Nicht immer böse gemeint“
> Die Polizei verhindere bewusst, dass Vorfälle aufgeklärt werden. Diesen
> Eindruck habe sie manchmal, sagt Berlins Ombudsfrau Doris Liebscher.
Bild: Black Lives Matter! Demonstrierende beim Protest im Juni 2020 auf dem Alex
taz: Frau Liebscher, seit fast eineinhalb Jahren gibt es das
Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), [1][das Diskriminierung durch
Berliner Behörden verbietet]. Und es gibt Ihre Ombudsstelle, an die man
sich wenden kann, wenn einem dies passiert. Wie vielen Menschen konnten Sie
bislang helfen?
Doris Liebscher: Insgesamt hatten wir bislang etwa 850 Beschwerden, von
denen wir rund ein Drittel weiter vermittelt haben, weil wir nicht
zuständig waren. Zum Beispiel, wenn es um Beschäftigungsverhältnisse geht,
hilft nicht das LADG sondern das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Ebenso wenn es um Vermieter geht, die nicht landeseigene
Wohnungsgesellschaften sind. Wir hatten also bislang etwa 550 Anfragen, wo
es um eine Diskriminierung entweder durch Berliner Behörden geht oder durch
andere Einrichtungen des Landes: die BVG, die Berliner Bäder Betriebe,
Kultureinrichtungen etc.
Über wen wird besonders viel geklagt?
Wir haben festgestellt, dass es in Bereichen, wo es einen
1:1-Bürger*innenkontakt gibt und gleichzeitig Situationen vorkommen, die
Stress produzieren können, häufiger zu Diskriminierung kommt. Das ist zum
einen beim Kontakt mit Polizei, aber auch mit Ämtern. Zum Beispiel haben
wir sehr viele Beschwerden über Bürgerämter. Da haben die Kolleg*innen
einen bestimmten Takt zu erfüllen, sie haben zum Beispiel cira 15 Minuten
Zeit pro Anliegen – was dazu führt, dass sobald jemand aus der Norm
herausfällt, es schnell zu Stress kommt. Und in diesen Stresssituationen
wird augenscheinlich Diskriminierung aktiviert.
Augenscheinlich?
Ja, weil das die Beobachtungen sind, die wir machen. Diskriminierung muss
ja gar nicht böse gemeint sein, oft sind es unbewusste Stereotype, die dazu
führen. Wenn zum Beispiel jemand ins Standesamt kommt und nicht gut Deutsch
spricht oder sein Name entspricht nicht der deutschen Normalvorstellung von
Namen, dann ist das eine diskriminierungsanfällige Situation. Denn offenbar
führt Stress dazu, dass solche unbewussten Stereotype aktiviert werden.
Um was für Arten von Diskriminierung geht es zumeist? Um Beleidigungen,
Benachteiligungen?
Das geht oft Hand in Hand, gerade wenn wir über Behörden sprechen. Wenn man
zum Beispiel in eine Verkehrskontrolle gerät und der Eindruck entsteht, der
vielleicht bestätigt wird durch Zeuginnen, dass hier jemand kontrolliert
wurde, weil er oder sie nicht typisch deutsch aussieht, ist das erstens
eine herabsetzende Erfahrung. Zweitens ist es eine öffentliche
Kriminalisierung, weil andere Leute das sehen. Und drittens kann es sein,
dass damit auch noch ein Bußgeldbescheid einhergeht. Das heißt, wir haben
Diskriminierung oft auf verschiedenen Ebenen – von Herabsetzung bis zur
handfesten Benachteiligung.
Vielfach kann man Diskriminierung nicht beweisen. Wie nehmen Sie das wahr:
Müssen Sie harte Beweise anführen? Oder zeigen die Ämter Einsicht?
Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Tatsächlich können [2][wir nicht
alle Fälle glasklar beweisen]. Oft müssen wir daher wie ein Richter die
Glaubwürdigkeit einer Beschwerde einschätzen. Diese unsere Einschätzung,
die natürlich auf bestimmten Kriterien beruht, vermitteln wir der
jeweiligen Behörde – und die kann auch zu einer anderen Einschätzung
kommen. Dann stellt sich für uns die Frage, ob wir jemandem raten, zu
klagen.
Und? Haben Sie schon jemandem dazu geraten?
Die meisten Menschen wollen nicht klagen, sie wünschen sich eine
außergerichtliche Einigung und dafür sind wir da. In den Fällen, in denen
Diskriminierung beweisbar ist, hilft also bereits die Ombudsstelle, eine
Klage erübrigt sich dann meist.
Vor wenigen Monaten wurde es medial sehr gefeiert, als sich die Polizei zum
ersten Mal auf Ihre Vermittlung hin [3][bei einem Betroffenen für einen
Fall von Racial Profiling entschuldigte]. Das ist nicht gerade viel nach
über einem Jahr, oder?
Schon. Aber wenn wir uns die gesamte Debatte um Racial Profiling bundesweit
anschauen, die Vielzahl der Beratungsstellen und staatlichen Beauftragten,
die zu dem Thema arbeiten, ist das ein Riesenerfolg. Und zwar gerade mit
Blick auf die Einsicht vonseiten der Berliner Polizei, die sagt: Ja, es
gibt diese Fälle, und wenn das passiert, entschuldigen wir uns. Wir müssen
mal schauen, ob es bei diesem Einzelfall bleibt. Aber ich würde das nicht
zu gering schätzen.
Spüren Sie nach eineinhalb Jahren LADG eine Veränderung bei den Behörden?
Ich glaube, es wächst langsam ein professioneller Umgang mit dem Fakt, dass
Diskriminierung überall stattfindet, und zwar auch in der Verwaltung. Und
dass es Teil einer professionellen Verwaltungskultur ist, sich damit
auseinanderzusetzen. Es wächst zudem die Einsicht, die wir auch immer
vermitteln, dass man diskriminieren kann, ohne es zu wollen – sprich: dass
Diskriminierung nicht böse gemeint sein muss. In vielen Fällen ist es
Unachtsamkeit oder Stress, mal greifen unbewusste Stereotype und
Vorurteile, mal geht es um die Unmöglichkeit, sich in die Perspektive der
anderen Person hineinzuversetzen. Kurz: Das Thema ist nicht mehr so
angstbesetzt, die Abwehrhaltung wird geringer. Wichtig ist aber auch, dass
sich die Behördenkultur ändert: Was wird den Mitarbeitenden von der
Leitungsebene vermittelt? Wie geht eine Leitung mit Diskriminierungsfällen
um, kommuniziert sie klar ihre Erwartungen, dass in der vielfältigen
Stadtgesellschaft freundlich mit Bürger*innen umgegangen wird?
Aber was, wenn das nur Show ist? Die Polizei etwa betont gerne, wie
multikulturell ihre Mitarbeitenden sind und dass es kein Racial Profiling
gibt, weil das ja gegen das Gesetz wäre. Die Erfahrungen von
Bürger*innen sind aber oft andere.
Es gibt natürlich immer eine Schauseite, das ist insbesondere bei der
Polizei stark spürbar. Ich lobe die Polizei ja immer, dass sie sich dem
Thema LADG grundsätzlich offen annimmt. Aber gleichzeitig steht da stark
eine Angst vor Imageverlust im Raum. Das führt einerseits dazu, dass unsere
Beschwerden von der Polizei meist zügig bearbeitet werden. Andererseits
wird oft gedeckelt und wir haben den Eindruck, dass sich Polizist*innen
absprechen und Vorgesetzte das mittragen, also ganz bewusst verhindert
wird, dass diskriminierende Vorfälle aufgeklärt und eben auch geahndet
werden.
Kommen wir zu dem, was fehlt. Wer beklagt sich nicht bei Ihnen?
Wir wissen aus der Zusammenarbeit mit Beratungsstellen wie Amaro Foro, aber
auch aus der wissenschaftlichen Erfassung von Antiziganismus, dass
Diskriminierungen von Sinti und Roma ein Riesenproblem sind. Dennnoch
bekommen wir nur wenige Beschwerden, zumeist vermittelt von
Beratungsstellen. Das zeigt uns, dass diese Menschen eine sehr geringe
Beschwerdemacht haben. Sie haben einfach so viel zu tun mit schlechten
Lebensbedingungen, dass die Ressourcen, um sich zu beschweren, oft nicht da
sind. Und es gibt zudem eine große Angst im Umgang mit Behörden – und die
Ombudsstelle gilt eben auch als eine. Auch wenn wir unabhängig sind.
Was können Sie da tun?
Wir müssen noch stärker an unserer Unabhängigkeit arbeiten. Und mehr in die
Communities gehen. Aber das können wir nur, wenn wir mehr Ressourcen haben.
Sie brauchen mehr Mitarbeitende?
Dringend! Wir haben nur zwei feste, unbefristete Stellen. Ganz viel von der
Arbeit wird geleistet mit Hilfe von rotierenden Regierungsrät*innen
und Rechtsreferendar*innen.
Gibt es etwas, was gesetzlich nachgebessert werden müsste?
Gesetzlich könnte man darüber nachdenken, noch mal in den Katalog der
Diskriminierungsgründe reinzugehen. Da gibt es die Diskriminierung nach dem
„sozialen Status“, aber was konkret darunter fällt, ist rechtlich unklar
ist.
Haben Sie noch mehr Verbesserungsvorschläge?
Man könnte darüber nachdenken, ob die Ombudsstelle ein Initiativrecht
bekommen sollte. Das wurde auch im Koalitionsvertrag aufgenommen. Dabei
geht es darum, dass wir von uns aus darauf aufmerksam machen, wenn
Regelungen, Verordnungen, Gesetze zu Diskriminierungen führen. Mit einem
Initiativrecht könnten wir Senatsverwaltungen oder auch dem
Abgeordnetenhaus dann Vorschläge für Veränderungen machen.
Haben Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel gibt es viele Formulare, Verwaltungspraktiken oder
Verordnungen, die diskriminierend sind. Anträge zur Eheschließung etwa sind
immer noch so formuliert, dass sie auf heterosexuelle Ehen abgestellt sind
und der Mann immer an erster Stelle steht. Es gibt viele Frauen, die finden
das diskriminierend – was ich verstehen kann.
5 Jan 2022
## LINKS
[1] /Berliner-Antidiskriminierungsgesetz/!5690956
[2] /Antiziganismus-in-Berlin/!5790273
[3] /Racial-Profiling-in-Berlin/!5803144
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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