# taz.de -- Diskriminierung von Frauen in Berlin: Es muss mehr geklagt werden | |
> Frauen dürfen nicht mit freiem Oberkörper sonnenbaden? Eine Berlinerin | |
> wurde deswegen aus der Plansche geworfen – und klagt. Ein | |
> Wochenkommentar. | |
Bild: Freier Oberkörper: Für Männer selbstverständlich, Frauen müssen sich… | |
Nun gibt es also eine erste Klage nach dem Berliner | |
Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG): Eine Berlinerin, [1][Gabrielle | |
Lebreton, hat den Bezirk Treptow-Köpenick auf Entschädigung verklagt], wie | |
diese Woche bekannt wurde. Lebreton war aus der vom Bezirk betriebenen | |
Plansche im Plänterwald hinausgeworfen worden, weil sie sich weigerte, | |
einen BH anzuziehen. Wie es auch anwesende Männer taten, hatte sie mit | |
freiem Oberkörper auf der Wiese gesessen. Doch die Security vor Ort meinte, | |
als Frau müsse sie sich „oben rum“ bedecken. | |
An der Stelle werden einige fragen: Was will die Frau? Natürlich ziehen | |
Frauen Bikinis an mit Oberteil und keine Badehosen! Erstens war das schon | |
immer so; zweitens ist es gut so, sonst kriegen die Männer ja Stielaugen; | |
drittens wäre das für Frauen dann sogar gefährlich (man weiß ja, dass | |
manche Männer sich nicht zurückhalten können). | |
Tatsächlich mag der Anspruch, auch als Frau „oben ohne“ sein zu dürfen, | |
dort wo Männer „oben ohne“ sein dürfen, neu und ungewohnt sein. | |
[2][Unberechtigt ist er deswegen nicht]: Wenn wir es mit dem Anspruch der | |
Gleichbehandlung (Art. 3 Grundgesetz: Diskriminierungsverbot!) Ernst | |
nehmen, werden wir uns daran gewöhnen (müssen), dass „Minderheiten“ wie | |
Frauen, Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Alte und Kranke, | |
Menschen anderer Hautfarbe oder Herkunft – kurz: all jene, die aufgrund | |
bestimmter Kriterien oft nicht gleichberechtigt behandelt wurden – dieses | |
Recht für sich einfordern. Damit wird zwangsläufig manche lieb gewonnene | |
Tradition über Bord geworfen werden müssen. | |
Die Welt wird komplizierter: Man kann heute nicht mehr das N- oder Z-Wort | |
sagen, wie es unsere Großeltern und teils Eltern noch taten. Man kann nicht | |
mehr ungestraft sagen, dass man „Ausländern“ keine Wohnung geben will oder | |
einem „Behinderten“ keine Arbeit – oder dass „Frauen“ Oberteile zu tr… | |
haben dort, wo Männer ihre Bierbäuche zur Schau stellen dürfen. | |
Natürlich sehen das einige nicht ein und versuchen es trotzdem. Der | |
Fortschritt ist: Es gibt inzwischen Gesetze dagegen. Bundesweit ist es das | |
Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen im | |
privatrechtlichen Bereich verbietet, in Berlin gibt es sogar eines, das die | |
Gleichbehandlung von Behörden verlangt. | |
## Es hat lange gedauert bis zur ersten Klage | |
Dass es nun mehr als eineinhalb Jahre gedauert hat, bis die erste Klage | |
nach diesem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) eingereicht wurde, mag | |
viele erstaunen. Manche werden es womöglich als Zeichen deuten, dass | |
Berliner Behörden ganz in Ordnung sind und gar nicht so viel | |
diskriminieren. Dies ist jedoch keineswegs so! | |
Viele Diskriminierungen werden gar nicht thematisiert, nicht angezeigt, | |
nicht beklagt – weil es für Diskriminierte oft so normal ist, dass sie sich | |
daran gewöhnt haben. Oder weil sie meinen, Beschweren habe eh keinen Zweck | |
oder bringe einem selbst nur Ärger ein. | |
Trotzdem hat die mit dem Gesetz eingerichtete Ombudsstelle über 600 | |
Beschwerden bekommen seit September 2020. In vielen Fällen wissen die | |
Behörden wohl auch, dass sie etwas falsch gemacht haben: Denn oft lenkten | |
sie ein, wenn die Ombudsstelle sich einschalte, berichtet die Leiterin der | |
Stelle, Doris Liebscher. | |
Aber auch, wenn eine Behörde die Anschuldigung von sich weist, würden die | |
Diskriminierten ihre Beschwerde oft nicht weiter verfolgen. Verständlich: | |
Solche rechtlichen Auseinandersetzungen sind nervenaufreiben – und das | |
Leben ist, gerade für Menschen mit häufigen Diskriminierungserfahrungen, | |
schon so anstrengend genug. | |
## Wann kommt der Rechtshilfefonds? | |
Eine Klage vor Gericht einreichen, ist zudem teuer: Anwalts- und | |
Gerichtskosten summieren sich schnell. Wer wagt diesen Einsatz schon, zumal | |
bei völlig ungewissem Ausgang? | |
Um so wichtiger wäre es, wenn Berlin nach diesem wegweisenden Gesetz nun | |
auch einen Rechtshilfefonds auf dem Weg bringt: Damit mehr Opfer von | |
Diskriminierung die Möglichkeit bekommen, ihr Recht durchzusetzen. Oder | |
wenigstens eine Entschädigung. | |
8 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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