# taz.de -- Bekleidungsregeln in Schwimmbädern: Freie Brust für alle? | |
> Nicht nur in Hamburg und Göttingen wird darüber diskutiert, ob das | |
> Oben-Ohne-Baden in Schwimmbädern für alle erlaubt sein sollte. Ein Pro | |
> und Contra. | |
Bild: Das Oberteil beim Schwimmen weglassen – befreiend oder störend? | |
## Ja, | |
es ist richtig, wenn nicht nur Männer wählen dürfen, ob sie mit freiem | |
Oberkörper schwimmen – sondern alle. Denn darum geht es: um | |
Gleichbehandlung. Derzeit haben nur Männer die Entscheidungsfreiheit | |
darüber, ob sie [1][in der Öffentlichkeit mit nacktem Oberkörper] | |
herumlaufen – egal, ob es anderen gefällt oder nicht. Deshalb ist es aus | |
feministischer Perspektive gut, wenn jetzt vereinzelt | |
Volksvertreter:innen wie in Hamburg-Eimsbüttel oder Göttingen dafür | |
sorgen, dass es wenigstens im Schwimmbad, wo nur ein kleiner Teil des | |
Körpers bekleidet ist, der sich zudem oft unter Wasser befindet, fair | |
zugeht. | |
Doch offenbar ist das Thema für viele Menschen angstbesetzt. Die einen – | |
Männer – haben Sorge, gegen den Beckenrand zu schwimmen, wenn Brüste nicht | |
mehr adrett eingepackt sind. Die anderen – Frauen – befürchten, angestarrt | |
und ausgelacht zu werden, wenn sie ihre Brüste weiter verhüllen. Und dann | |
gibt es noch die Sorge um Mädchen und junge Frauen, die sich einem | |
Gruppendruck beugen könnten. | |
Diese Angst ist verständlich vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen | |
Jahrzehnten Frauen von anderen zum Ausziehen genötigt wurden. Wer nicht | |
mitmachte, etwa in den 1970er Jahren unter dem Deckmantel der sexuellen | |
Befreiung, galt als prüde. Auch heute noch sollen Frauen und Mädchen „Bein | |
zeigen“ und gerne „nackte Haut“. Aber eben davon auch nicht zu viel, nicht | |
einmal, wenn sie ihr Kind stillen, weil die Brust – so die schlichte | |
Argumentation derer, die stillende Frauen aus Gaststätten verweisen – nun | |
einmal ein Sexualorgan sei. Was das Baby wahrscheinlich nicht | |
unterschreiben würde. Wer so argumentiert, unterscheidet sich nicht von | |
Frommen, die Frauen zur Bedeckung von Haaren oder gleich des ganzen Körpers | |
auffordern, damit andere sich nicht sexuell stimuliert fühlen. | |
Auf genau diese haarsträubende Argumentation machen diejenigen aufmerksam, | |
die sich für Entscheidungsfreiheit und damit für nackte Brüste einsetzen. | |
Sie weisen darauf hin, dass Körper erst kulturell sexualisiert werden – | |
unter anderem durch Bekleidung. Eine Burka sagt: Die ganze Frau ist eine | |
einzige sexuelle Zone. Ein Bikini zeigt an, wo sich die sexualisierten | |
Körperteile befinden. Manch eine:r behauptet gar, Frauen nur deshalb | |
Bekleidungsvorschriften zu machen, um sie vor Anstarren und Übergriffen zu | |
schützen. Als würden Bikini oder Badeanzug (oder Rock oder Hose oder Burka) | |
davor bewahren! | |
Möglicherweise schützt eine nackte Brust sogar mehr. Weil kein Stoff | |
klarstellt, dass hier etwas besonders Interessantes verborgen wird. Wenn | |
ein Mensch die Brust freiwillig nicht verhüllt, weil er damit ausdrückt, | |
dass es sein Körper ist und nicht dazu gedacht, jemand anderem zu gefallen | |
oder ihn zu erregen. So wie die Person neulich auf einem Theaterfestival. | |
Sie – keine Idealmaße – trug ein durchsichtiges Spitzentop über ihren sehr | |
großen Brüsten. Wer hinstarrte, wurde sich dessen sofort bewusst und merkte | |
zugleich: Dieser Busen wird nicht zum Vergnügen eines anderen präsentiert. | |
Im Nebeneffekt würde sichtbar werden, wie unterschiedlich Brüste aussehen. | |
Hoffentlich lässt dann der Druck nach, sie in BHs zu zwängen, die aus allen | |
eine normierte Einheitsbrust machen. | |
Eiken Bruhn | |
Nein, | |
ich bin dagegen, denn Schwimmbecken sind Orte, an denen fremde Menschen | |
sich ungewohnt nahe kommen. Das Stück Stoff über der Brust ist der nötige | |
Schutz vor Blicken, der ermöglicht das zu tun, worum es geht: einfach | |
schwimmen gehen. | |
Im Zuge der Gleichberechtigung soll es Frauen in Eimsbüttels Schwimmbädern | |
auch erlaubt sein, oben ohne ins Wasser zu gehen. Das will die [2][dortige | |
SPD mit einem Antrag] erreichen, der morgen zur Abstimmung steht. Derweil | |
fordert schon seit Monaten unter dem Titel „Gleiche Brust für alle“ eine | |
Petition die „Desexualisierung“ der Brust. Und wann immer in irgendeiner | |
Gemeinde sich ein Lokalpolitiker zum Busenthema äußert, greifen die Medien | |
das begierig auf. | |
Der Sprecher der Hamburger Bäderland GmbH sagte, dass „oben ohne“ auf | |
Liegewiesen bereits erlaubt sei, beim Baden aber Bekleidung erwünscht sei. | |
Es müsse zu diesem Thema erst einen breiten gesellschaftlichen Diskurs | |
geben, so etwas könne man nicht einfach „per Antrag“ entscheiden. Recht hat | |
er. | |
In der Oben-Ohne-Petition wird zwar zu Recht beklagt, dass in Göttingen | |
eine Person mit Brüsten [3][des Bades verwiesen wurde]. Frauen, die ihre | |
Brustwarzen nicht verhüllen, als störendes Ärgernis zu behandeln, ist | |
falsch. Einfach gewähren lassen wäre die richtige Reaktion. | |
Aber hier wird nun eine breit angelegte Kampagne gefahren, die so tut, als | |
ob alle Frauen das gleiche Interesse hätten, ohne den Schaden zu | |
reflektieren. Sie trägt ein neues Konfliktpotiential in einen öffentlichen | |
Raum, in dem wir Kompromisse brauchen. Selbst wenn es nur das Ergebnis von | |
kultureller Prägung ist, dass viele Männer weibliche Brüste erregend | |
finden, sind sie ja nun erst mal so geprägt. Und auch die weiblich | |
sozialisierten unter uns sind in diesem Bewusstsein aufgewachsen. Es wird | |
also bei nackten Busen die stetige Frage sein, wer wo wie lange hinguckt. | |
Und einem Mann sagen zu müssen, „Bitte gucken Sie weg“, kostet Überwindun… | |
ist schon ein Stressmoment. Diese ganze Ebene von Beobachten und | |
Beobachtetwerden, womöglich sogar taxiert und beurteilt, zerstört die | |
Unbedarftheit, mit der heute ein Schwimmbadbesuch möglich ist. Interessant, | |
dass noch keiner vorschlug, auch untenrum die Badehose wegzulassen, damit | |
wir Penisse sehen. | |
Nun kann man einwenden, dass ja keine Frau oben ohne ins Bad muss. Aber | |
natürlich wird durch diese Kampagne, ist sie erfolgreich, ein Druck | |
aufgebaut, sich auch barbusig ins Becken zu trauen. Und diese Coolness | |
bringen junge, genderstudium-gestärkte Frauen vermutlich eher auf als | |
ältere. Ohnehin wird um die Brust ein beispielloser Schönheitskult | |
betrieben, der dazu führt, dass sich gesunde Frauen zigtausendfach unters | |
Messer legen. Ein Leser kommentierte bereits, dass die Brust einer | |
90-Jährigen gewiss nicht erotisch sei. Allein diese Aussage macht deutlich, | |
dass die Kampagne auch das Potential hat, Menschen zu verletzen. Der Besuch | |
im Schwimmbad würde zumindest zunächst sexualisiert. | |
Ginge es um Gleichberechtigung, gäbe es ja noch andere Möglichkeiten. | |
Männer könnten wieder Badeanzüge tragen, dann wären auch ihre Brustwarzen | |
nicht zu sehen. Und wen das stört, für den gäbe es ja immer noch die | |
separate Freikörperkultur. | |
Kaija Kutter | |
29 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gleichberechtigung-fuer-nackte-Oberkoerper/!5847274 | |
[2] /Antrag-auf-Gleichbehandlung-in-Baedern/!5859455 | |
[3] /Ungleichbehandlung-im-Schwimmbad/!5810196 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Feminismus | |
Gleichberechtigung | |
Körper | |
Brüste | |
Hamburg | |
IG | |
Kiel | |
FKK | |
SPD Hamburg | |
Gleichberechtigung | |
Landesantidiskriminierungsgesetz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
In Kiel zukünftig erlaubt: Oben-ohne-Baden für alle | |
Der Stadtrat hat die Badeordnung für die kommunalen Bäder so geändert, dass | |
künftig nur noch primäre Geschlechtsmerkmale bedeckt sein müssen. | |
Die These: Kein Bikini ist auch keine Lösung | |
Dass Frauen oben ohne sonnen dürfen, löst längst nicht alle Probleme. Denn | |
öffentliche Nacktheit kann auch eine Landnahme sein, Vertreibung inklusive. | |
Antrag auf Gleichbehandlung in Bädern: Oben ohne für alle | |
Die SPD Hamburg hat einen Antrag gestellt, Frauen und Nicht-Binäre sollen | |
ohne Oberbekleidung ins Schwimmbad dürfen. In Göttingen geht das – | |
teilweise. | |
Gleichberechtigung für nackte Oberkörper: Brust raus im Schwimmbad | |
In Göttingen können bald alle Menschen oberkörperfrei ins Schwimmbad. Ein | |
Fortschritt bei der Gleichberechtigung – allerdings bisher nur am | |
Wochenende. | |
Diskriminierung von Frauen in Berlin: Es muss mehr geklagt werden | |
Frauen dürfen nicht mit freiem Oberkörper sonnenbaden? Eine Berlinerin | |
wurde deswegen aus der Plansche geworfen – und klagt. Ein Wochenkommentar. |