| # taz.de -- Rassistische Diskriminierung in Behörde: Wer sich wehrt, wird raus… | |
| > „Aufhängen und steinigen“ fordert ein Beamter der Schulbehörde | |
| > Braunschweig für eine Mitarbeiterin. Sie muss später gehen, für ihn | |
| > ändert sich nichts. | |
| Bild: In Braunschweig wollte ein leitender Beamter seine iranische Kollegin hä… | |
| Bremen taz | In der Schulverwaltung der Stadt Braunschweig fehlt ein | |
| Dokument. Beziehungsweise: H. kann es an jenem Augusttag im Jahre 2019 | |
| nicht finden; es ist nicht dort gespeichert, wo er es vermutet – und die | |
| zuständige Jasmin N. (Namen von der Redaktion geändert) ist nicht im | |
| Dienst. „Man sollte Frau N. über dem Bohlweg aufhängen“, sagt der | |
| stellvertretende Vorgesetzte daraufhin, „und sie steinigen.“ Zwei | |
| Kolleginnen von N. sitzen im Büro. | |
| Aber das, so H. weiter, dürfe man ja gar nicht mehr sagen – schließlich sei | |
| Frau N. ja Iranerin. Eine der beiden Kolleginnen erhebt Einspruch. Aber H. | |
| verteidigt sich: Doch, Steinigung sei in der Schari'a durchaus üblich. Und | |
| auch wenn N. schon lange in Deutschland lebe – entscheidend seien ihre | |
| Wurzeln. | |
| Als N. am nächsten Tag davon erfährt, ist sie geschockt „So etwas hatte ich | |
| noch nicht gehört“, sagt sie. Womit sie damals nicht rechnet: Wie oft sie | |
| nun gegen verschlossene Türen rennen wird. Gut drei Jahre ist der Vorfall | |
| her, es gibt Zeuginnen, ein Geständnis. Konsequenzen für den Beamten aber | |
| hat die Behörde nicht ergriffen – gehen musste stattdessen das Opfer. | |
| Anders als die Beleidigung selbst ist dieser Teil der Geschichte nicht | |
| völlig objektiv nachzuvollziehen: Es gibt ein paar anonyme Stimmen aus der | |
| Behörde, Schriftverkehr, vor allem aber die Version von N. Die Verwaltung | |
| der Stadt selbst äußert sich nicht zu Personalangelegenheiten – | |
| Datenschutz. Infos gibt es weder für die Presse noch auf eine Bürgeranfrage | |
| hin, und auch nicht für die Fraktion „Bürgerinitiative Braunschweig“ | |
| (BIBS), die seit Monaten vergeblich auf Akteneinsicht wartet. | |
| ## Aussitzen und abwimmeln | |
| Die direkte Vorgesetzte schien das Thema zunächst ernst zu nehmen. Sie | |
| lässt sich den Vorfall schildern und führt ein Gespräch mit den | |
| Kolleginnen, die die Drohtirade gehört hatten. Doch dann folgt: nichts. | |
| Eine Rückmeldung bekommt N. nur von ihren Kolleginnen: Die Vorgesetzte sehe | |
| den Vorfall nur als „Dummheit“ an. Nein, unternehmen wolle sie weiter | |
| nichts. Die nächstgelegene Antidiskriminierungsstelle in Hannover rät N. | |
| daraufhin, die nächsthöhere Ebene einzuschalten. | |
| Doch dort wird N. schon im Vorzimmer abgewimmelt: Die Dezernentin wolle mit | |
| ihr nicht sprechen. Mails bleiben ohne Antwort. N. geht zum Personalrat – | |
| und findet Gehör: „Endlich macht mal jemand was“, soll die | |
| Personalratsmitarbeiterin gesagt haben. Die bisher unerreichbare | |
| Dezernentin meldet sich im Anschluss bei N.: „Sie hat mir Vorwürfe gemacht, | |
| dass ich den Weg über den Personalrat gehe“, erzählt N., „sie hätte mir | |
| doch mitteilen lassen, dass sie nicht mit mir sprechen will.“ | |
| Durch den Druck des Personalrats findet schließlich ein Gespräch mit den | |
| Beteiligten statt – acht Wochen nach dem Vorfall. Die Frist, um beim | |
| Arbeitgeber offiziell Entschädigung nach dem Allgemeinen | |
| Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu beantragen, ist damit um ein paar Tage | |
| verstrichen. G. wollte noch Urlaub machen, so die Begründung für den späten | |
| Gesprächstermin. | |
| ## Bossing durch den Vorgesetzten | |
| Das Gespräch endete mit einem „Tut mir leid“ von H. Sonst ändert sich | |
| nichts. Oder doch, unglücklicherweise: Die gemeinsame direkte Vorgesetzte | |
| von H. und N. nimmt einen neuen Job an; H. als ihr Stellvertreter wird | |
| dadurch kommissarischer Vorgesetzter von N. Er ist jetzt weisungsbefugt. | |
| Von nun an wird ihr das Arbeiten schwer gemacht: Bereits bewilligte | |
| Fortbildungen werden ihr versagt; nach gemeinsamen Dienstreisen bekommt sie | |
| weniger Kosten erstattet als ihre Kolleginnen. Und wenn andere Kommunen sie | |
| einladen, damit sie ein von ihr erarbeitetes Schulkonzept vorstellt, soll | |
| sie absagen. „Ich war nur noch damit beschäftigt, meine Arbeit zu | |
| rechtfertigen“, erklärt N. | |
| Mehrere Monate geht das so; ihre Bitte um Versetzung im Februar 2020 wird | |
| nicht mehr bearbeitet, obwohl sie den Antrag auch beim Bürgermeister | |
| persönlich abgegeben hat. Kurz darauf wird N. arbeitsunfähig geschrieben, | |
| eine lange Zeit. „Es ging mir psychisch nicht gut.“ Als im Sommer 2021 ihr | |
| befristeter Vertrag ausläuft, bekommt sie keine Verlängerung, obwohl ein | |
| von ihr erarbeitetes Projekt als Best-Practice-Beispiel in anderen Kommunen | |
| angewandt wird; die Stadt schmückt sich in Zeitungsartikeln gerne damit. | |
| ## AGG soll vor Benachteiligung schützen | |
| Diskriminierungen beruhen auf einem Machtgefälle. Da ist zum einen der | |
| strukturelle Rassismus – N. als Iranerin soll gesteinigt werden. Hinzu | |
| kommt: N. ist 2019 seit drei Jahren befristet angestellt, G. als | |
| verbeamtete Führungskraft seit 30 Jahren in der Behörde. Und ebenso wie die | |
| beiden nächsthöheren Vorgesetzten und der Bürgermeister der Stadt ist H. in | |
| der SPD aktiv und hat dort diverse Posten bekleidet. | |
| Dieses Machtgefälle aufzulösen, dabei [1][soll eigentlich das AGG helfen.] | |
| „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz | |
| vor Benachteiligungen zu treffen“, [2][heißt es dort.] Verstoßen | |
| Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot, können „Abmahnung, | |
| Umsetzung, Versetzung oder Kündigung“ die Folge sein. | |
| Den Täter zum kommisarischen Vorgesetzten zu ernennen, ist dagegen eine | |
| ungewöhnliche Auslegung der Schutzpflicht durch die Stadt Braunschweig: | |
| Jede Führungskraft aus anderen Abteilungen hätte die kommissarische Leitung | |
| übernehmen können, auch wenn das ein Abweichen vom Standardprozedere | |
| bedeutet hätte. | |
| ## Betroffene wehren sich oft nicht | |
| Die Stadtverwaltung schreibt, man habe Beschäftigte „in einem Merkblatt | |
| darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen das AGG zu erheblichen | |
| dienst-/arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen kann“. Im vorliegenden Fall | |
| gebe es ein „schwebendes Verfahren“, zu dem man sich ansonsten nicht | |
| äußere. Mehr als drei Jahre nach dem Vorfall hält Peter Rosenbaum das für | |
| eine Schutzbehauptung: Rosenbaum hatte sich des Falls schon in seiner Zeit | |
| als Abgeordneter der BIBS-Fraktion angenommen und eine ähnliche Antwort | |
| erhalten. „,Nicht abgeschlossenes Verfahren' kann auch heißen ‚gar nicht | |
| erst begonnen‘“, spekuliert er. | |
| Dass der Arbeitgeber kaum reagiert, ist keine seltene Ausnahme: Eine | |
| [3][Untersuchung der Bundesregierung von 2017 zeigt,] dass bei etwas mehr | |
| als der Hälfte der Fälle nach einer Beschwerde wegen Diskriminierung im | |
| Berufsleben nichts passiert ist; in 17 Prozent gab es positive Folgen, in | |
| gut neun Prozent der Fälle [4][hat sich die Situation verschlimmert.] | |
| Viele Betroffene versuchen deshalb erst gar nicht, sich zu wehren: Rund 41 | |
| Prozent der Befragten gaben an, nach Diskriminierung durch Vorgesetzte | |
| nichts mehr unternommen zu haben, etwa zehn Prozent haben öffentlich auf | |
| die Diskriminierung aufmerksam gemacht, etwa fünf Prozent gekündigt, nur | |
| 0,4 Prozent geklagt. „Ich dachte, dass es nichts bringen würde“ (58,3 | |
| Prozent) und „Ich hatte Angst vor negativen Folgen“ (29,2 Prozent) gehören | |
| zu den am häufigsten genannten Ursachen dafür, nichts unternommen zu haben. | |
| Für N. ist das keine Option. Sie hat mittlerweile einen anderen Job in | |
| Berlin. Die Nachteile sind groß: Ihre 16-jährige Tochter geht weiter in | |
| Braunschweig zur Schule, N. braucht zwei Wohnungen und pendelt. Zurück will | |
| sie nicht, ruhen lassen mag sie das Thema auch nicht. „Indem man nicht | |
| handelt, gibt man Tätern die Stärke, weiterzumachen“, sagt sie. | |
| 17 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Zehn-Jahre-Gleichbehandlungsgesetz/!5323345 | |
| [2] https://www.gesetze-im-internet.de/agg/__12.html | |
| [3] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikati… | |
| [4] /N-Wort-an-Bremer-Theater/!5847145 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
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