| # taz.de -- N-Wort an Bremer Theater: Beschweren auf eigene Gefahr | |
| > Ein*e Azubi kritisiert ein rassistisches Wortes – und verliert die | |
| > Ausbildungsstelle. Oft tragen Betroffene die Folgen von Diskriminierung | |
| > allein. | |
| Bild: Wer Rassismus anprangert, dessen Job ist gefährdet – das gilt nicht nu… | |
| Bremen taz | Bei der Aufführung von „Riders on the storm“ im Bremer | |
| Schnürschuh Theater ist es plötzlich da: Das N-Wort, einfach so als Teil | |
| des Theaterstückes. „Das war ein Schlag ins Gesicht, ich konnte mich nicht | |
| darauf vorbereiten“, sagt Ahmed Ismail. Im Publikum dagegen gibt es keine | |
| Reaktion: Normal halt. | |
| Ismail ist 23 und macht zum Zeitpunkt der Theateraufführung seit einigen | |
| Monaten eine Ausbildung im veranstaltungsgeschäftlichen Bereich des | |
| Theaters. Die Person ist nonbinär und schwarz – und damit selbst mehrfach | |
| diskriminiert. Das N-Wort ist ein Trigger: „Mit diesem Wort wurden meine | |
| Vorfahren beschimpft“, sagt Ismail. | |
| Der Schock ist da, der Glaube an den guten Willen der Kolleg*innen aber | |
| auch. Der*die Azubi spricht das Thema an – und stößt auf Unverständnis: | |
| Das Stück spiele in den 1960er-Jahren, heißt es von der künstlerischen | |
| Leitung des Theaters – da sei das halt so gewesen. Das Wort sei auch gar | |
| nicht diskriminierend gemeint. Und überhaupt: Das Theater sei doch ein Ort | |
| von Kunst und Kultur – und die seien nun einmal frei. Das Wort zu streichen | |
| jedenfalls, das komme nicht infrage. | |
| Ismail lässt das Thema nicht los. Die junge Person steckt Energie hinein, | |
| versucht, das Problem zu erklären, bittet um eine | |
| Mitarbeitendenversammlung. „Es gibt um das N-Wort eine aktuelle Debatte in | |
| Deutschland“, sagt Ismail, „ich dachte, sie werden das verstehen können.“ | |
| Aber die Versuche führen ins Leere: Das Wort soll bleiben. | |
| ## Ismail verliert den Ausbildungsplatz | |
| Im Team der fünf Kolleg*innen ändert sich die Stimmung. Ismail meint, | |
| abschätzige Blicke festzustellen, „Othering“ nennt die | |
| Veranstaltungskaufperson das, also das bewusste Einordnen als Fremdkörper. | |
| „Bist du etwa gegen uns, oder was?“, fragt eine Kollegin, als im IT-System | |
| ein Fehler passiert, den sie Ismail unterstellt. | |
| Der junge Mensch fühlt sich zunehmend schlecht – und macht sich Sorgen: Gut | |
| wäre es nicht, die Ausbildungsstelle zu verlieren. Aber realistisch | |
| erscheint es in diesem Moment schon. Als nach einigen Wochen die Ausbildung | |
| in der Probezeit beendet wird, ist Ahmed Ismail sogar einverstanden. „Da | |
| rauszugehen war für mich am Ende der einzige Weg. Und für die war der | |
| einzige Weg: Sie mussten mich loswerden, ich war problematisch für sie.“ | |
| Ob die Geschichte genau so stattgefunden hat, wie sie hier steht, lässt | |
| sich nicht bewerten. Das Theater möchte sich zum Fall nicht äußern. Man | |
| könnte es damit gut sein lassen: Es gab Unstimmigkeiten und beide Seiten | |
| trennen sich einvernehmlich voneinander. Dafür ist die Probezeit da. | |
| ## Den Schaden haben die Diskriminierten | |
| Doch die Geschichte erzählt Strukturelles über Machtverhältnisse: Sie ist | |
| individuell zu betrachten, aber kein Einzelfall. „Es gibt Gemeinsamkeiten, | |
| die auffallen, wenn man sich anschaut, wie umgegangen wird mit | |
| Beschwerden“, sagt Aretta Mbaruk von der Bremer Beratungsstelle zu | |
| Antidiskriminierung in der Arbeitswelt (ADA). „Egal ob die Beschwerde | |
| Rassismus oder Sexismus angeprangert hat: Es passiert relativ oft, dass das | |
| Arbeitsverhältnis beendet wird.“ | |
| Aus ihrer Beratungspraxis fallen ihr mehrere Fälle ein, bei denen das | |
| aufgrund von sexistischer Diskriminierung der Fall war. „Die | |
| beschwerdeführende Person ist für die anderen immer der Troubleshooter, | |
| derjenige, der Unruhe in das Unternehmen gebracht hat“, erklärt sie die | |
| Dynamik. Ein Dilemma: Besser werden kann es nur, wenn man Diskriminierung | |
| immer wieder anspricht. Aber wer das tut, muss damit rechnen, sich | |
| unbeliebt zu machen und den Job zu verlieren. | |
| Das [1][Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll helfen,] das | |
| Ungleichgewicht etwas auszubalancieren und Diskriminierten Waffen in die | |
| Hand geben. So muss eigentlich jeder Betrieb eine Beschwerdestelle | |
| einrichten; doch wie viele privatwirtschaftliche Unternehmen das seit 2006 | |
| getan haben, ist unbekannt; für Betriebe ohne Beschwerdestelle gibt es | |
| keine Sanktionen. | |
| Dazu kommt: Nicht jede Diskriminierung, nicht jedes rassistische oder auch | |
| sexistische Verhalten ist rechtlich relevant. Bei den meisten Jobverlusten | |
| nach einer Diskriminierung, erzählt Mbaruk, werden die | |
| Arbeitnehmer*innen nicht rechtswidrig gekündigt. Stattdessen gingen | |
| die Betroffenen oft von selbst, weil die Beschwerde die Lage nicht | |
| verändert oder sogar verschlimmert hat – wie in Ismails Fall. | |
| ## Externe Beratung kann helfen | |
| Es wundert daher nicht: Viele Betroffene wehren sich nicht gegen | |
| Diskriminierungen. Am Beispiel der sexuellen Belästigung hat die | |
| Antidiskriminierungsstelle des Bundes das in einer [2][Studie 2019] | |
| herausgearbeitet: Nur 40 Prozent der Betroffenen haben das Thema im Betrieb | |
| angesprochen, nur 23 Prozent haben sich offiziell beschwert, etwa bei | |
| Vorgesetzten. | |
| Mbaruk rät Betroffenen dennoch zur Beschwerde – aber nur mit Unterstützung. | |
| „Rassismus ist immer eine Frage von Machtgefälle, und als Azubi ist man | |
| ohnehin schon weit unten in der Hierarchie“, sagt sie. Wo es keine interne | |
| Beschwerdestelle gibt, kann eine externe Beratung durch die | |
| Antidiskriminierungsstelle oder andere Anbieter helfen. | |
| [3][Mehr niedrigschwellige Beratungsangebote] wären eine Lösung. Am Theater | |
| Bremen etwa gibt es seit 2018 eine [4][Referentin für interkulturelle | |
| Öffnung.] Ferdaouss Adda soll helfen, die kulturelle Arbeit und die Stücke | |
| selbst diverser zu gestalten, aber auch nach innen für interkulturelle | |
| Sensibilität zu sorgen. | |
| ## Sorgen um die Zukunft | |
| Ismail wünscht sich jedenfalls, dass die Politik tätig wird und Betroffene | |
| schützt, aber auch, dass sich Kultur und Zivilgesellschaft mit dem Thema | |
| beschäftigen und sich mit Betroffenen solidarisieren. Das N-Wort würde | |
| Ismail am liebsten verboten sehen. Ganz ohne Vorbild wäre das nicht: In | |
| München hat der Rat der Stadt [5][das Wort im Februar geächtet.] | |
| Eine neue Ausbildungsstelle wird Ismail finden: Beim Organisieren von | |
| Veranstaltungen bringt der*die 23-Jährige mehr Erfahrung mit als die | |
| meisten: Ismail hat den Black History Month in Bremen mit ins Leben | |
| gerufen, die Initiative „Zukunft ist bunt“ gegründet und sitzt seit Kurzem | |
| auch im Vorstand des Bremer Rats für Integration. | |
| Sorgen um die Zukunft macht sich die Veranstaltungskaufsperson in spe | |
| trotzdem: „Ich habe Angst, dass mir so was wieder passiert, bei der | |
| nächsten Ausbildung“, sagt Ismail. Mögliche Angriffspunkte gibt es genug: | |
| Ahmed Ismail ist nicht nur schwarz, sondern auch eine non-binäre queere | |
| Person. | |
| Ein Freund aus der schwarzen Community hat Ismail geraten, lieber einfach | |
| den Mund zu halten. N-Wort? Egal, runterschlucken, weitermachen. „Ich kann | |
| das nicht und ich will das nicht“, meint Ismail. | |
| 1 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Zehn-Jahre-Gleichbehandlungsgesetz/!5323345 | |
| [2] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikati… | |
| [3] /Antidiskriminierungsstelle-des-Bundes/!5797338 | |
| [4] /Interkultur-Zustaendige-am-Bremer-Theater/!5817444 | |
| [5] https://www.sonntagsblatt.de/artikel/aktivist-jireh-emanuel-erfolg-initiati… | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
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