# taz.de -- Rassismus und Hass: Nur wenige rufen die Polizei | |
> In Bremen haben viele Menschen Erfahrungen mit Alltagsrassismus und | |
> Hasskriminalität. Die Betroffenen tun sich schwer, Unterstützung zu | |
> bekommen. | |
Bild: Problem erkannt: gesellschaftlicher Hass | |
BREMEN taz | „Was erleben Menschen, die vorurteilsgeleitet als ‚fremd‘ | |
markiert werden, in Bremen? Und was können wir gegen Hasskriminalität und | |
Alltagsrassismus tun?“ So lauten die Fragestellungen einer Studie über | |
Hasskriminalität und Alltagsrassismus, die Studierende der Universität | |
Bremen diese Woche vorgestellt haben. | |
Durchgeführt haben sie die Studie in Kooperation mit dem Bremer Rat für | |
Integration (BRI) und der Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung | |
der Polizei Bremen. Auslöser war ein Vorfall im Oktober 2020, als eine | |
Schwarze Frau in einem Bremer Nachtbus von mehreren jungen Männern verbal | |
angegriffen und zusammengeschlagen wurde. | |
50 Studierende der Kulturwissenschaft und Absolvent:innen des | |
Masterstudiengangs [1][Transkulturelle Studien] an der Uni Bremen haben | |
unter Anleitung der Kulturwissenschaftlerin und Diversity-Expertin Margrit | |
E. Kaufmann 20 Interviews und eine offene anonyme Umfrage mit 123 | |
Teilnehmer:innen durchgeführt. Ziel sei gewesen, „das Dunkelfeld zu | |
beleuchten, um Maßnahmen für einen besseren Schutz vor Diskriminierung und | |
Gewalt ergreifen zu können“. | |
Denn es gebe zwar immer wieder Beschwerden über rassistische und | |
vorurteilsgeleitete Diskriminierung in Bremen, aber keine Datenerhebungen. | |
Die explorative Studie sei ein Anfang, sagen die Studierenden bei der | |
Vorstellung der Studie im Theater Bremen. | |
## Auf sich alllein gestellt | |
Dass die Studie überhaupt durchgeführt wurde, ist dem Engagement der | |
Studierenden zu verdanken: Ehrenamtlich haben sie noch ein Dreivierteljahr | |
über das entsprechende Seminar hinaus gearbeitet. | |
Ergebnis der Studie: Ein Großteil der Befragten blieb in | |
Diskriminierungssituationen auf sich allein gestellt. 53 Prozent hatten | |
innerhalb der vergangenen zwei Jahre selbst oder als Zeug:in rassistische | |
Gewalt erlebt. Dabei ist Gewalt ein komplexer Begriff, bemerkt die | |
Absolventin Juliane Lux. Mikroaggressionen wie Blicke oder abfällige | |
Kommentare reichten aus, damit Betroffene sich fremd fühlen, aber Menschen | |
wurden auch beworfen, bespuckt und ungefragt angefasst, erklärt eine andere | |
Studentin. | |
Nur wenige der Befragten riefen die Polizei (13 Prozent), fast niemand | |
wandte sich an eine Beratungsstelle (1 Prozent). Die meisten Betroffenen | |
hatten das Gefühl, nichts tun zu können (42 Prozent). | |
Unter ihnen nannten viele, dass sie nicht wüssten, was, bzw. dass sie etwas | |
tun könnten (14 Prozent), dass es nichts gebracht hätte (13 Prozent) oder | |
dass sie bereits schlechte Erfahrungen mit der Polizei (12 Prozent) oder | |
Unterstützungsangeboten (7 Prozent) gemacht hatten. Dennoch: 51 Prozent der | |
Befragten hielten die Polizei für potenziell hilfreich. | |
Aus ihren Erkenntnissen entwickelten die Studierenden drei Ideen: Zum einen | |
eine dynamische, fortlaufende Sensibilisierung für das Thema in | |
Bildungseinrichtungen und im Beruf, besonders in relevanten Berufen wie bei | |
der Polizei. Zum Zweiten müsse es weitere Forschung geben, unabhängig, | |
langfristig und zuverlässig finanziert. | |
Drittens müssten rechtliche Grundlagen geschaffen werden, etwa eine präzise | |
Definition von [2][Hasskriminalität], die auch verbale Straftaten | |
einbezieht und im digitalen Raum greift. Die drei Punkte seien unbedingt | |
als gemeinsames Paket zu verstehen, die Einbeziehung von Betroffenen sei | |
sehr wichtig. | |
Libuse Cerna vom [3][Bremer Rat für Integration] moderiert die | |
abschließende Podiumsdiskussion. Carsten Roelecke aus dem Präsidialstab der | |
Bremer Polizei sitzt in Uniform auf der Bühne und stimmt fast allen | |
Forderungen seiner Mitreferent:innen enthusiastisch zu. Er betont die | |
[4][internen Bemühungen der Polizei], etwa den Druck auf Beamt:innen zu | |
reduzieren, weil dieser zu unangebrachtem Zynismus führen könne. | |
## Weißenquote abgelehnt | |
Einen Vorschlag aus dem Publikum nach einer Quasi-Weißenquote bei | |
Kontrollen lehnt er indes ab. Die Polizei müsse Kontrollen mit verdächtigem | |
Verhalten begründen, sagt Roelecke. Das lernen Bremer Beamt:innen mit | |
Virtual-Reality-Brillen am virtuellen Hauptbahnhof. | |
Außerdem könnten Betroffene bei einer Kontrolle einen Beleg einfordern, der | |
ihnen die Begründung der Kontrolle bescheinigt. Mehmet Çaçan vom Bremer | |
Rat für Integration merkt an, dass die Hemmschwelle dafür während einer | |
Kontrolle hoch sei, in den vergangenen sechs Monaten seien nur acht dieser | |
Belege eingefordert worden. | |
Sowohl Kulturwissenschaftlerin Margit E. Kaufmann als auch Sinanoglu und | |
die Linken-Fraktionsvorsitzende Sofia Leonidakis (letztere aus dem | |
Publikum) warnen Institutionen davor, die notwendige Arbeit und das eigene | |
Gewissen auf ausgelagerten Stellen abzuladen, konkret auf der neuen | |
Polizeibeauftragten Sermin Riedel. Es brauche eine radikale Veränderung in | |
der Polizei, betont Sinanoglu. | |
20 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Widerstand-gegen-das-tuerkische-System/!5455564 | |
[2] /Integrationsrats-Vorsitzende-ueber-Hass/!5851435 | |
[3] https://bremer-rat-fuer-integration.de/rat/ | |
[4] /Vorwuerfe-gegen-Bremer-Polizei/!5825453 | |
## AUTOREN | |
Paul Petsche | |
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