Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- SPD-Spitzenkandidatin in Hessen: Faeser geht auf Attacke
> Bundesinnenministerin Nancy Faeser lässt sich zur SPD-Spitzenkandidatin
> für die Hessenwahl wählen – und muss die europäische Asylreform
> rechtfertigen.
Bild: Vom Ergebnis „überwältigt“: Nancy Faeser wird in Hessen zur hessisc…
Hanau taz | Und dann schaltet Nancy Faeser auf Attacke. Gut 24 Jahre habe
die CDU in Hessen regiert, ruft sie in den Saal. Die Partei habe Skandale
und Spendenaffären verursacht, einen „sozialen Kahlschlag“ und eine
„widerwärtige Doppelpasskampagne“. Das reiche. „Genug ist genug.“ Desh…
müsse in Hessen „mit dem heutigen Tag eine neue Ära beginnen“, appelliert
Faeser. Eine Ära der SPD, angeführt von ihr selbst.
Faeser erklärt das am Samstag in der Hanauer Congresshalle, auf dem
Landesparteitag der hessischen SPD. Im blauen Kleid und zu Katy Perrys
„Roar“ tritt sie in den Saal, wird mit Standing Ovations begrüßt. Und der
Parteitag wird die Bundesinnenministerin am Ende des Tages, wie nicht
anders erwartet, zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 8. Oktober
küren, mit großer Mehrheit: 94,4 Prozent.
Dabei waren die Vorzeichen vorher nicht ganz so klar. Bereits im Februar
hatte Faeser [1][ihre Spitzenkandidatur öffentlich gemacht]. Als Hessin,
die bis heute in Schwalbach bei Frankfurt/Main lebt und nach Berlin
pendelt, sei das für sie eine „Herzensangelegenheit“. Doch die 52-Jährige
will [2][auch als Spitzenkandidatin weiter Bundesinnenministerin bleiben].
Damit ist sie ab jetzt in einer Doppelrolle, bei der kaum zu trennen sein
wird, wer da spricht: die Innenministerin oder die Wahlkämpferin? Ist
beides zeitlich überhaupt zu schaffen? Und wird ihr schaden, dass sie – mit
dem Segen von Kanzler Scholz – auch im Falle einer hessischen Niederlage
Innenministerin bleiben will?
Dazu kommt nun auch noch die kontroverse Diskussion über [3][die
europäische Asylreform], die Faeser gerade mitverhandelte und die auch
Sammellager an der EU-Außengrenze beinhaltet. Ausnahmen für Familien mit
Kindern konnte Faeser nicht durchsetzen. „Beschämend“ und „ein einziges
Unrecht“ sei diese, schimpfte Juso-Chefin Jessica Rosenthal. Die frühere
hessische SPD-Chefin und Beinah-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti trat
aus Protest gar aus der Partei aus: Der Beschluss werde „noch schlimmeres
Elend zur Folge haben“. Er sei „ein Kotau vor den Rechtsextremisten“.
## Protest vor der Parteitagshalle
Am Samstagmorgen findet auch vor der SPD-Parteitagshalle eine kleine
Protestkundgebung statt. Vor „Elendslagern“ an der EU-Außengrenze wird dort
gewarnt. „Nancy Seehofer?“, fragt ein Schild. Zur gleichen Zeit streiten
auch die Grünen auf einem Länderrat über die Asylreform, ebenfalls in
Hessen.
Die hessischen Jusos hatte Faeser bereits im Vorfeld mit einer Videoschalte
zu besänftigen versucht. Auch am Samstag geht sie gleich nach Ankunft auf
dem Parteitag auf die Parteijugend zu, bittet um Zusammenhalt. „Nur
gemeinsam“ werde man bei der Landtagswahl erfolgreich sein.
Auf der Parteitagsbühne sagt Faeser zu der Asylreform aber zunächst keinen
Satz. Sie eröffnet mit ihrer Rede stattdessen den Wahlkampf. Und wiederholt
im Saal ihren Satz, dass ihr Herz in Hessen schlage. „Ja, wo denn sonst?“
Seit ihrer Geburt lebt Faeser in Hessen, [4][saß hier lange Jahre im
Landtag und in Kommunalparlamenten].
Der CDU, die mit Ministerpräsident Boris Rhein in die Wahl geht, wirft sie
Untätigkeit und bloße Sonntagsreden vor. Die CDU habe in ihren 24
Regierungsjahren „das Leben von so vielen Menschen in Hessen anstrengender,
ärmer und schlechter gemacht hat“.
Faeser hält dagegen, wofür sie in den anderthalb Jahren als
Bundesinnenministerin sorgte: Sie habe die Ruhegehaltsfähigkeit der
Polizeizulage wieder eingeführt, einen erleichterten Zuzug von Fachkräften
und doppelte Staatsbürgerschaften auf den Weg gebracht. „Wir müssen
handeln. Und ich will handeln.“
Für Hessen betont Faeser, dass für sie der Kampf gegen den Fachkräftemangel
„an oberster Stelle“ stehe. Alle Schüler:innen bräuchten einen
Abschluss, Meisterbriefe müssten kostenfrei sein, es brauche eine bessere
Gesundheitsversorgung und ein Zweckentfremdungsgesetz – sozialdemokratische
Klassiker. Dazu verspricht Faeser noch eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, sobald sie im Amt sei.
Vor allem aber kantet sie gegen die Union: Deren populistische Töne seien
„verantwortungslos, gefährlich und auch noch dumm“. In Hessen habe die CDU
bei der Aufklärung des NSU-Terrors versagt, nach dem Hanau-Attentat keine
passenden Worte gefunden. „Allein das ist ein Grund, sie abzuwählen.“ Sie
dagegen habe als Bundesinnenministerin von Anfang an den Rechtsextremismus
als größtes Problem bezeichnet, erinnert Faeser. Diesen Kampf würde sie als
Ministerpräsidentin „konsequent weiterführen“.
## Der Kanzler schickt einen Videogruß
Im Saal kommt das an. Immer wieder wird Faesers Rede von Applaus
unterbrochen, gerade bei den Ansagen gegen rechts. Den Parteitag trägt ein
Gefühl, dass im Oktober wirklich etwas gehen könnte. Das befeuert auch der
angereiste SPD-Parteichef Lars Klingbeil, der erklärt, „Nancy ist das
Beste, was Hessen passieren kann“. Er habe „ein gutes Gefühl“, dass die
„leere“ schwarz-grüne Regierung abgelöst werden könne. Auch Kanzler Olaf
Scholz schickt ein Videostatement, in dem er Faeser als „fröhlich,
entschieden, mit Weitblick“ preist.
Nur: In Umfragen liegt die CDU von Boris Rhein immer noch deutlich vorn,
bei knapp 30 Prozent. Die SPD landet rund sieben Prozentpunkte dahinter –
immerhin noch vor den mitregierenden Grünen, die mit Wirtschaftsminister
Tarek Al-Wazir in den Wahlkampf gehen. Faeser könnte indes auch als
Zweitplatzierte ein Regierungsbündnis schmieden – was bei den Differenzen
gerade zwischen den hessischen Grünen und der FDP indes nicht einfach wird.
Faeser beschwört in Hanau aber, dass sie „in Schlagweite“ zur CDU sei.
Spätestens in ein paar Wochen würden im Wahlkampf Bundesthemen in den
Hintergrund rücken und Landesthemen nach vorn. Zu den Grünen verliert
Faeser dagegen kein einziges Wort. Ihr Plan ist klar: ein Zweikampf mit der
CDU von Boris Rhein. Und der SPD-Parteitag ebnet dafür den Weg. Faeser
zeigt sich von den 94,4 Prozent für sie „überwältigt“ – und bekommt als
Dank ein Bembel und Ahle Wurst.
## Jusos protestieren gegen Asylreform
Dann aber kommt doch noch in der Halle das [5][Thema europäische
Asylreform] auf. Mehrere Jusos treten mit „Not my Europe“-Shirts ans Pult,
kritisieren die Reform als „faulen Kompromiss“. „Kein Mensch, kein Kind
gehört in ein Internierungslager“, schimpft eine junge Delegierte.
Menschenrechte dürften nicht untergraben werden. Das widerspreche allen
SPD-Prinzipien.
Andere Sozialdemokraten halten dagegen. SPD-Landrat Wolfgang Schuster
erklärt, die Kapazitäten der Kommunen, um Geflüchtete aufzunehmen, sei
„zuende“. Die Asylreform sei ein Kompromiss, der die Gesellschaft
zusammenhalte. Eine Richterin und Sozialdemokratin erklärt, das bisherige
Dublin-System sei gescheitert und habe dringend die Reform gebraucht.
Auch Hanaus SPD-Oberbürgermeister Claus Kaminsky dankt aus „kommunaler
Betroffenheit“ Faeser. Jahrelange sei darüber erfolglos verhandelt worden,
nun gebe es „endlich eine Lösung“. Beschlossen wird am Ende ein Antrag des
Landesvorstands: Die derzeitige Lage an der EU-Grenze sei „nicht
akzeptabel“ und die Reform „besser als der Status Quo“, heißt es darin. …
werde nun im weiteren Verfahren für humanitäre Standards kämpfen.
Auch Nancy Faeser tritt noch einmal spontan ans Pult. Das gemeinsame Ziel
sei doch, dass das Sterben im Mittelmeer aufhöre, erklärt sie. Ihr sei
immer wichtig gewesen, dass das Individualrecht auf Asyl nicht angetastet
werde. Faeser erntet Applaus.
Dann lobt die frisch gekürte Spitzenkandidatin noch, sie sei stolz, „dass
wir so starke Jusos haben, die sich für die Belange der Geflüchteten
einsetzen“. „Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck.“ Die Angesprochen
hatten bereits zuvor versichert, dass sie – bei aller Kritik – Faeser im
Wahlkampf voll unterstützen werden.
17 Jun 2023
## LINKS
[1] /Nancy-Faeser-beim-Hessengipfel-der-SPD/!5913511
[2] /Nancy-Faesers-Zukunft/!5909139
[3] /Zaehes-Ringen-um-neues-Asyl-System/!5939573
[4] /Nancy-Faesers-Zukunft/!5909139
[5] /Bedeutung-des-Asylkompromisses/!5938659
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
SPD
Nancy Faeser
Landtagswahl in Hessen
Hessen
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht
Innenministerkonferenz
Schwerpunkt LGBTQIA
Nancy Faeser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Untersuchungsausschuss zu Hanau: Der Notruf funktionierte nicht
Hessens Innenminister Beuth wurde als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss
vernommen. Er benannte Fehler, Polizeiversagen sah er aber nicht.
Reem Alabali-Radovan über Asylreform: „Schwer, das mitzutragen, aber …“
Die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem
Alabali-Radovan, über die EU-Asylreform und den Rechtsruck in der
Gesellschaft.
Migrationsabkommen mit Tunesien: Deutsch-französische Offensive
Nach von der Leyen kommen Innenministerin Faeser und ihr französischer
Kollege nach Tunesien. Es soll um legale Migrationswege und schnellere
Rückführungen gehen.
Innenministerkonferenz in Berlin: Mehr Härte gegen Migration
Die Innenminister:innenkonferenz will mehr Länder als sichere
Herkunftsstaaten einstufen und Messer in Zügen verbieten. Die Kritik folgt
prompt.
Vorlage auf Innenministerkonferenz: Gegen queerfeindliche Gewalt
LSBTIQ*-feindliche Kriminalität steigt. Nun will Innenministerin Faeser
Polizei-Ansprechstellen schaffen. Doch einige Länder sind dagegen.
Nancy Faesers Zukunft: Ministerin auf dem Sprung
Bundesinnenministerin Nancy Faeser galt als Hoffnungsträgerin der Ampel.
Nun dürfte sie SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden. Kann das gutgehen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.