# taz.de -- Nancy Faesers Zukunft: Ministerin auf dem Sprung | |
> Bundesinnenministerin Nancy Faeser galt als Hoffnungsträgerin der | |
> Ampel. Nun dürfte sie SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden. Kann das | |
> gutgehen? | |
Bild: Bundesinnenministerin Nancy Faeser | |
WIESBADEN/BERLIN taz | Es war im November vergangenen Jahres, als sich | |
Nancy Faeser offensichtlich angekommen fühlte. „Lieber Holger“, begrüßte | |
sie Holger Münch, den Präsidenten des Bundeskriminalamts, als sie in | |
Wiesbaden hinter dem Pult seiner Herbsttagung stand. Forschen Schrittes | |
hatte sie die große Bühne betreten. Nun gab sie Münch mit auf den Weg, er | |
solle den BKA-Beamten ihren herzlichen Dank für deren Arbeit ausrichten. | |
Und Münch dankte der „lieben Nancy“ zurück: Das werde er ausrichten. | |
Betonte Vertrautheit, auf offener Bühne. | |
Das war das eine Signal. Aber es gab noch ein zweites. Denn Faeser hätte | |
auf dem BKA-Podium über den Krieg in der Ukraine reden können, über | |
Cybercrime oder die „Heißer Herbst“-Proteste. Sie wählte: organisierte | |
Kriminalität. „Wir müssen diese Strukturen dauerhaft zerschlagen“, rief d… | |
Bundesinnenministerin in den Saal. Ein Punkt sei ihr dabei „besonders | |
wichtig“: die „Clankriminalität“. Diese sei „absolut inakzeptabel“, … | |
stehe über dem Recht. „Und das müssen diese Leute lernen – wenn es sein | |
muss, auf die harte Tour.“ | |
Es klang nach neuen Tönen von Nancy Faeser. Nach klarer Kante, Law and | |
Order. Ganz anders als der Sound, mit dem Faeser zu Amtsbeginn aufwartete. | |
Und er war wohl bewusst gewählt, gerade hier beim BKA in Wiesbaden. Denn | |
womöglich richtete sich auch da schon Faesers Blick nach Hessen. | |
Denn am 8. Oktober wird in dem Bundesland gewählt. Und kaum noch einer | |
zweifelt daran, dass Faeser, die gebürtige Hessin und unangefochtene | |
SPD-Landeschefin, jetzt am Freitag auf dem SPD-„Hessengipfel“ ihre | |
Spitzenkandidatur erklärt. Die 52-Jährige selbst weicht seit Wochen dieser | |
Frage aus. In ihrem Umfeld aber gibt es zu Faesers Kandidatur keinen | |
ernsthaften Widerspruch mehr. Ein von der Partei aufgebauter | |
Alternativkandidat existiert nicht. Bereits im November soll die hessische | |
SPD-Führung als eines der großen Wahlkampfthemen vereinbart haben: die | |
innere Sicherheit. | |
Faeser ist zudem weiter in Hessen verwurzelt. An Wochenenden pendelt sie | |
nach Schwalbach bei Frankfurt am Main, wo sie seit der Geburt lebt, nur vom | |
Jura-Studium in Frankfurt unterbrochen. Mann und Sohn wohnen in der | |
15.000-Einwohner-Stadt im Vordertaunus, unmittelbar an der Frankfurter | |
Stadtgrenze. Faeser ist bekennender Eintracht-Fan. Und wie hatte sie im Mai | |
2022 auf dem hessischen SPD-Parteitag gesagt, als sie als Landeschefin | |
wiedergewählt wurde? „Mein Herz ist in Hessen.“ Und sie werde dafür | |
kämpfen, dass das Land „wieder rot“ werde. | |
## Keine makellose Bilanz als Innenministerin | |
Aber die Sache wirft mehrere Probleme auf. Denn offenbar ist Faeser | |
gewillt, auch als Wahlkämpferin weiter Bundesinnenministerin zu bleiben – | |
und soll dafür auch den Segen des Kanzlers haben. Aber geht das, mit einem | |
Ministerium, das ständig in Alarmbereitschaft ist? Ein Sieg in Hessen, nach | |
24 Jahren CDU-Regierung, wäre zweifelsohne ein Coup für die SPD. Aber der | |
ist keineswegs ausgemacht. In letzten Umfragen lag die CDU vorne, auch die | |
Grünen setzen auf Sieg. Und Faesers Bilanz als Innenministerin, mit der sie | |
in den Wahlkampf ginge, ist nicht makellos. Verliert sie am Ende, könnte | |
sie wieder dort landen, wo sie zuvor war: in der hessischen Opposition. | |
Es war eine echte Überraschung, als Scholz damals Faeser für sein | |
Ampelkabinett vorstellte – als erste Innenministerin der Bundesrepublik. 18 | |
Jahre lang hatte Faeser in Hessen SPD-Innenpolitik gemacht, sich als | |
Aufklärerin des NSU-Terrors und Polizeikennerin profiliert. Am Ende war sie | |
Fraktions- und Landeschefin. Nun sollte sie in Berlin einiges anders machen | |
als ihr CSU-Vorgänger Horst Seehofer. | |
Und das klappte, zunächst. Faeser erklärte den Kampf gegen den | |
Rechtsextremismus als „ihr besonderes Anliegen“. Sie versprach im Bundestag | |
Serpil Temiz Unvar, die beim Hanau-Anschlag ihren Sohn verlor, persönlich | |
Aufklärung zu dem Attentat. Am Jahrestag reiste sie nach Hanau, hielt die | |
Hand einer Angehörigen. Später verkündete Faeser einen Aktionsplan gegen | |
Rechtsextremismus, versprach auch in der Migrationspolitik „einen neuen | |
Geist“. Deutschland sei „ein Einwanderungsland“, nun müsse es auch „ein | |
besseres Integrationsland“ werden. | |
Und Faeser war und ist sehr präsent. Sie veröffentlichte Aktionspläne und | |
Strategiepapiere. Sie besuchte Bundespolizist:innen, Feuerwehrleute, | |
Ordnungsämter, ukrainische Geflüchtete, Gewerkschafter, den Vorsitzenden | |
der Deutschen Bischofskonferenz. Sie reiste nach Israel, Brüssel oder zur | |
WM nach Katar. Sie fuhr nach Mecklenburg-Vorpommern, als dort eine | |
Geflüchtetenunterkunft niederbrannte, oder erst dieser Tage ins | |
schleswig-holsteinische Brokstedt, wo ein Mann zwei junge Menschen in einem | |
Zug erstochen und weitere verletzt hatte. | |
Bei alldem vergaß Faeser nie, sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Und | |
tatsächlich hat sie einen guten Draht zur Polizei, auch jenseits von | |
BKA-Chef Münch. Schon in Hessen besuchte sie Wachen, forderte mehr Personal | |
und bessere Ausrüstung. Als Innenministerin schuf sie nun 2.000 neue | |
Stellen für die Bundespolizei, versprach mehr Befugnisse und höhere | |
Pensionen. | |
Polizeivertreter loben, dass sich die Sozialdemokratin ernsthaft für ihre | |
Belange interessiere – was bei Seehofer, der sich gerne zurückzog, nicht | |
immer klar gewesen sei. Auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kann | |
gut mit Faeser. Bremste ihn Seehofer etwa bei der Beobachtung der AfD aus, | |
liegt Haldenwang mit Faeser nun auf einer Linie. Sie nannte die AfD schon | |
zu Hessen-Zeiten „Feind der Demokratie“. | |
Und dennoch wurde es zuletzt auch in der Ampel unruhig. Denn woran es lange | |
fehlte, waren konkrete Maßnahmen und Gesetzentwürfe. Sieben Monate dauerte | |
es, bis Faesers Ministerium einen ersten wirklichen Aufschlag machte – mit | |
dem ersten Teil ihres „Migrationspakets“, das Kettenduldungen beenden und | |
den Zuzug von Fachkräften erleichtern soll. Auch zu Faesers | |
Rechtsextremismus-Aktionsplan, der „kurzfristige“ Maßnahmen ankündigte, | |
folgten erst zum Jahreswechsel Gesetzentwürfe, hier zum Disziplinar- und | |
Waffenrecht. Und den Verbotsreigen von Seehofer in der rechtsextremen Szene | |
setzte Faeser bisher auch nicht fort – obwohl sie „Netzwerke zerschlagen“ | |
wollte. | |
Ganz überraschen kann das nicht. Faeser kam von der hessischen | |
Oppositionsbank, hatte nie zuvor eine Behörde geführt. Nun steht sie an der | |
Spitze eines Großministeriums mit gut 2.000 Bediensteten und 19 | |
unterstellten Behörden – das zuvor 16 Jahre lang in der Hand der Union war. | |
Und das den Ruf genießt, ein Eigenleben zu führen. | |
## Ausnahmezustand im Innenministerium | |
Zudem traf auch Faesers Ministerium der Krieg in der Ukraine unvermittelt: | |
Am 24. Februar 2022 wollte sie eigentlich ein Diskussionspapier zum | |
Demokratiefördergesetz präsentieren, da begann Russland seine Angriffe. | |
Faeser sagte die Pressekonferenz ab. Und musste plötzlich die Aufnahme von | |
Hunderttausenden Geflüchteten koordinieren, über Hilfslieferungen und | |
Grenzkontrollen entscheiden, später reiste sie nach Kiew. Ein | |
Ausnahmezustand, auch in ihrem Haus. | |
So blieb in Faesers Ministerium lange erst mal einiges beim Alten. Auch | |
Monate nach ihrem Antritt waren noch etliche Leitungsposten mit denselben | |
Leuten wie unter Seehofer besetzt. Heute sind es noch die Hälfte der | |
Abteilungsleiter:innen, die zentrale Bereiche wie Öffentliche Sicherheit, | |
Migration oder Digitales führen. Bei den | |
Unterabteilungsleiter:innen sind es gar 17 von 20. | |
Und bei den Staatssekretär:innen blieb ausgerechnet der Posten für | |
Migration fast ein Jahr lang vakant – die Arbeit wurde von anderen | |
Staatssekretären und dem hausinternen Ukraine-Krisenstab miterledigt. | |
Selbst Seehofers Heimatabteilung blieb erhalten – sie soll sich nun um | |
gleichwertige Lebensverhältnisse oder politische Bildung kümmern. | |
Dazu schasste Faeser im Oktober Arne Schönbohm, den damaligen Chef des | |
Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wegen | |
vermeintlicher Russlandnähe. In Zeiten des Ukrainekriegs sollte hier nicht | |
der Hauch eines Verdachts entstehen. Konkrete Verfehlungen von Schönbohm im | |
Dienst bleibt Faeser indes bis heute schuldig, der BSI-Personalrat schrieb | |
erboste Briefe. Und die Leitung des BSI, das bundesweite Zentralstelle für | |
IT-Sicherheit werden soll, ist bis heute vakant. | |
Dabei hatte sich die Ampel einiges vorgenommen. Eine | |
„grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik“ wurde im Koalitionsvertrag | |
versprochen, ohne Massenüberwachung, wissenschaftlich evaluiert. Ein | |
progressiver Aufbruch. Nun aber klingt manches, was aus Faesers Haus | |
kommt, als wäre es noch unter Seehofer entstanden: eine | |
Cybersicherheitsstrategie, die liebäugelt mit Hackbacks, offensiven | |
Gegenschlägen bei Cyberangriffen. Ein Hin und Her bei der Chatkontrolle, | |
ein Bundespolizeigesetz, das den Beamten eine Quellen-TKÜ erlauben soll, | |
ein Abgreifen von Kommunikation vor der Verschlüsselung – obwohl der | |
Koalitionsvertrag genau das ausschließt. | |
## Faeser für umstrittene Vorratsdatenspeicherung | |
Dazu forderte Faeser zuletzt, mit Verweis auf den Kampf gegen | |
Kindesmissbrauch, offensiv die Vorratsdatenspeicherung ein – die Grüne und | |
FDP vehement ablehnen. Auch will die Sozialdemokratin eine | |
„Rückführungsoffensive“, will Frontex stärken – oder sich eben krimine… | |
„Clans“ vorknöpfen. Nach den Silvesterkrawallen sprach Faeser von | |
migrantischen „Integrationsverweigerern“, die Klebeaktionen der Letzten | |
Generation nannte sie „völlig inakzeptabel“, die Barrikadenbauer in | |
Lützerath „verantwortungslos“. Und in Brokstedt fragte sie, warum der | |
palästinensische Messerstecher überhaupt noch im Land sei. Da war sie | |
wieder, die Law-and-Order-Nancy. | |
Bei Grünen und FDP verfolgt man das zunehmend frustriert. „Die Chance auf | |
einen progressiven Neuanfang in der Innenpolitik, die wurde bisher nicht | |
genutzt“, klagt ein Grünen-Fraktionär. „Es wirkt, als hätten Faesers | |
Fachabteilungen noch nicht begriffen, dass es einen Neuanfang gibt. Das | |
Ministerium muss endlich anfangen, den Koalitionsvertrag umzusetzen.“ Auch | |
in der FDP ist von einer „dürftigen Bilanz“ Faesers die Rede. | |
## Ambitionierte Gesetzentwürfe, die Zeit brauchen | |
In Faesers Ministerium wird dagegen nicht nur auf die Belastung durch den | |
Ukrainekrieg verwiesen, sondern auch darauf, dass die vereinbarten | |
Gesetzentwürfe eben ambitioniert seien und ihre Ausarbeitung Zeit brauche. | |
Die Schlagzahl der Gesetze werde, wie immer, in der zweiten Hälfte der | |
Legislatur zunehmen. Nur: Auch ihrer eigenen „Vorhabenplanung“ hinkt | |
Faeser hinterher. So sollte das Waffenrecht nach taz-Informationen | |
eigentlich schon im Herbst als Thema im Kabinett sein, ebenso eine Reform | |
des Nachrichtendienstrechts oder die Streichung des Rasse-Begriffs aus dem | |
Grundgesetz. | |
Und auch mit ihren bisherigen Vorstößen verhakelt sich Faeser regelmäßig in | |
der Ampel. Bei der Vorratsdatenspeicherung halten FDP und Grüne hart | |
dagegen. Den Alternativvorschlag eines Quick Freeze, bei dem Daten nur | |
anlassbezogen und in kleinerem Umfang gespeichert werden, lehnt wiederum | |
Faeser ab. Beim Waffenrecht oder erleichterten Einbürgerungen blockieren | |
die Liberalen. Strafverschärfung für „Hinterhalte“ gegen Einsatzkräfte | |
sehen Grüne wie FDP kritisch. Faeser verweist derweil auf akuten | |
Handlungsbedarf – seien es Angriffe auf Einsatzkräfte in der Berliner | |
Silvesternacht oder bewaffnete Reichsbürger. | |
Grüne und FDP kritisieren das – Faeser falle wieder in den Modus, nach | |
jedem Vorfall neue Befugnisse oder Strafverschärfungen zu fordern. Ein | |
Reflex, aus dem die Ampel eigentlich raus und lieber auf wissenschaftliche | |
Fakten setze wollte. „Und sie sucht Konflikte, die sie absehbar verliert“, | |
wundert sich ein führender Liberaler. Vor allem aber: Faeser stimme sich zu | |
wenig in der Ampel ab. Ankündigungen halte sie nicht ein. Einige | |
Gesetzentwürfe würden schon öffentlich diskutiert, bevor diese die anderen | |
Ministerien oder Ampelfraktionen erreichten. Selbst der | |
Rechtsextremismus-Aktionsplan sei nicht vorab abgestimmt gewesen. Auch beim | |
internen Frühstück mit den Koalitionsfraktionen bleibe Faeser vage, | |
zeitweise ließ sie es ganz ausfallen. | |
Faeser aber zeigt sich unbeirrt. Das verschärfte Waffenrecht versucht sie | |
nun durchzudrücken – sie sieht es auch als Lehre aus dem Hanau-Anschlag, wo | |
der Attentäter legal Waffen besaß, trotz psychischer Auffälligkeiten. Und | |
bei der Vorratsdatenspeicherung weiß sie nicht nur die Polizei, sondern | |
auch den Kanzler hinter sich. Zudem steckt hinter ihren Vorstößen wohl auch | |
Kalkül: keine offene Flanke bei der Sicherheit für die Union lassen. Was | |
bisher tatsächlich ganz gut klappt. | |
## Auf ein Selfie mit Nancy | |
Und Faeser kann ja durchaus Leute einnehmen, wie sie bei ihren Auftritten | |
beweist. Nach der Silvesterrandale in Berlin besucht sie eine Feuerwache in | |
Neukölln, auf ihren eigenen Wunsch hin. Zunächst hört sie hinter | |
verschlossenen Türen zu, an einem langen Tisch im Pausenraum, wie | |
Feuerwehrleute von Böller- und Raketenbeschuss berichten, von | |
Schreckschusspistolen, die ihnen ins Gesicht gehalten wurden. Danach stellt | |
Faeser sich vor die Kameras, fordert harte Strafen und mehr Prävention. Die | |
Feuerwehrleute sind zufrieden. „Ich glaub, es ist angekommen, was wir | |
gesagt haben“, lobt einer. Ein anderer fragt Faeser nach einem Selfie. Über | |
ihr Gesicht huscht ein Lächeln. „Natürlich.“ | |
Oder vor wenigen Tagen erst in Berlin-Friedrichshain, bei einer | |
Veranstaltung der lokalen SPD-Bewerberin für das Abgeordnetenhaus. Ein | |
kleiner Ladenraum, enge Stuhlreihen mit rund 30 Zuhörenden, viele mit | |
Einwanderungsgeschichte – ein Heimspiel. Faeser wirkt entspannt, sie | |
fordert doppelte Staatsbürgerschaften, leichtere Einwanderungsregeln, | |
freundlichere Ausländerbehörden. Immer wieder erntet sie Nicken und | |
Applaus. | |
Bis ein SPD-Mann, geboren in Bosnien-Herzogowina, von seinem jahrelangen | |
Kampf um einen Aufenthaltstitel in Deutschland berichtet. Und beklagt, auch | |
„progressive Politiker“ müssten auf ihr „Wording“ achten. Ein Gerede v… | |
„Integrationsverweigerern“ tue „unglaublich weh und triggert ganz viele | |
Menschen wie mich“. Faesers Lächeln verschwindet, aber sie nimmt nichts | |
zurück. | |
„Man muss Probleme benennen können. Und wir hatten Silvester Probleme“, | |
antwortet sie. Viele Angreifer auf Einsatzkräfte seien eben Migranten | |
gewesen – aber auch viele der Opfer. Ein syrischer Feuerwehrmann habe ihr | |
davon berichtet. „Wir brauchen eine Kultur, in der man so etwas ansprechen | |
kann“, sagt Faeser. „Und in der klar ist, dass damit nicht alle gemeint | |
sind.“ Der SPD-Mann von der Basis zieht die Augenbrauen hoch. Es scheint | |
nicht die Antwort, die er erhofft hatte. | |
Dabei sind diese Töne von Faeser gar nicht so neu. Auch in Hessen forderte | |
sie schon vor Jahren die Vorratsdatenspeicherung, kritisierte im besetzten | |
Dannenröder Forst Angriffe auf Polizisten „aufs Schärfste“. In der SPD | |
zählt sie zum konservativen Flügel, was für eine einstige Anwältin einer | |
Wirtschaftskanzlei im Frankfurter Bankenviertel auch keine Überraschung | |
ist. Die Hoffnung, Faeser würde alles anders machen, sie war auch | |
Projektion. Und wohl nicht ohne Grund machte Scholz, der mit seiner | |
Hamburger Linie für innenpolitische Härte steht, gerade Faeser zur | |
Innenministerin. | |
## Andere Akzente als Seehofer gesetzt | |
Und doch zeigt gerade der Vergleich zu ihrem Vorgänger Seehofer, dass | |
Faeser eben auch andere Akzente setzt. Benannte der CSU-Mann noch Migration | |
als „Mutter aller Probleme“, legte Faeser Gesetzentwürfe vor, die | |
Einbürgerungen erleichtern, doppelte Staatsbürgerschaften erlauben oder | |
bessere Zugänge zu Integrationskursen schaffen. Sie legte ein | |
Afghanistan-Aufnahmeprogramm auf – wenn auch dieses verspätet kam und | |
momentan hakt. | |
Sie gewährte queeren Geflüchteten mehr Schutz, sie brachte zusammen mit dem | |
Familienministerium nach jahrelangen Diskussionen das | |
Demokratiefördergesetz auf den Weg. Vor ihrem Ministerium ließ Faeser | |
erstmals die Regenbogenfahne hissen. Und sie wendet den Blick bewusst immer | |
wieder auf Betroffene extremistischer Gewalt, traf sich wiederholt mit | |
Hanau-Angehörigen, auch ohne Kameras. | |
Es ist dieses Profil, mit dem Faeser in den hessischen Wahlkampf gehen | |
könnte: Empathie und Härte, alle Seiten mitnehmen. Um den Konservativen die | |
hessische Staatskanzlei abzujagen, wäre das wohl auch nötig. Und dem | |
Vernehmen nach sieht Scholz kein Problem darin, wenn Faeser im Wahlkampf | |
Bundesinnenministerin bliebe. Allein durch das Amt hätte sie eine ganz | |
andere Präsenz und Bühne. | |
Die hessischen Grünen warnen Faeser indes bereits, das Innenministerium sei | |
„kein Teilzeitjob“. Auch die CDU hält Faeser schon jetzt für „am Limit�… | |
Erinnert wird auch an den Fall Nobert Röttgen, der 2012 | |
Bundesumweltminister war und CDU-Ministerpräsident in NRW werden wollte, | |
ohne sich für den Fall einer Niederlage festzulegen – am Ende wurde er von | |
Merkel aus dem Kabinett geschmissen. | |
In der SPD wird auf andere Fälle verwiesen, etwa auf Manfred Kanther (CDU), | |
der 1995 auch Bundesinnenminister und Spitzenkandidat bei der Hessenwahl | |
war. Oder Armin Laschet, zuletzt NRW-Ministerpräsident und | |
CDU-Kanzlerkandidat. Fast jeder Spitzenpolitiker kandidiere doch aus einem | |
Amt heraus, heißt es von Sozialdemokraten. Und: Es könne ja wohl kein | |
Zweifel bestehen, dass Faeser engstens mit Hessen verbunden sei. | |
## Wahlniederlage in Hessen wäre schweres Problem für Faeser | |
Dennoch dürfte spätestens eine Wahlniederlage dort Faeser schwere Probleme | |
bereiten. Hartmut Hudel glaubt, dass es anders kommt. Der pensionierte | |
Jurist ist Vizechef der SPD in Schwalbach. Seine Vorsitzende seit 1996: | |
Nancy Faeser. Schon ihr Vater war in Schwalbach Bürgermeister, ihr Ehemann | |
ist derzeit SPD-Fraktionschef der Stadtverordnetenversammlung. Den Job als | |
Innenministerin mache Faeser sehr gut, befindet Hudel am Telefon. | |
„Entschlossen, authentisch, mit Leidenschaft. Sie hat einen Kampf gegen den | |
Rechtsextremismus versprochen und das löst sie ein.“ Law and Order? Hudel | |
winkt ab. „Sie sagt, was ist. Und sie hat die sachliche Ebene doch nie | |
verlassen.“ | |
Seit Faeser Innenministerin ist, sei sie natürlich nicht mehr so oft im | |
Ortsverband. Aber er halte Kontakt, sagt Hudel, per Whatsapp oder E-Mail. | |
Erst zu Monatsbeginn tauchte Faeser beim SPD-Neujahrsspaziergang in | |
Schwalbach auf. Mit 30 Leuten und drei Hunden ging es zu einem | |
Waldgasthaus. Faeser sei „wie immer“ gewesen, sagt Hudel. „Sehr zugewandt, | |
sehr offen. Die Bodenhaftung ist zu 100 Prozent da.“ | |
In Faesers weitere Pläne sei er nicht eingeweiht, behauptet Hudel. Auch | |
beim Spazierengehen: kein Wort dazu. „Ich will da nicht immer nachbohren.“ | |
Aber sollte Faeser Ministerpräsidentin werden wollen, würde das gut | |
passen, findet Hudel. „Sie kann ja sehr gut auf Leute zugehen und kennt die | |
hessische Politik in- und auswendig.“ Eine Kandidatur und ein paralleles | |
Ministeramt wären sicher anspruchsvoll. Andererseits beweise Faeser ja seit | |
Jahren, dass sie vieles vereinbaren könne. | |
Und wenn seine Parteifreundin am Ende doch verlöre? Er wolle da nicht | |
spekulieren, sagt Hudel. Doch wenn sie „wirklich“ anträte, „würde sie a… | |
gewinnen“. Der SPD-Mann verweist wieder auf Schwalbach, wo seine Partei | |
2021 bei der letzten Kommunalwahl vorne lag – mit 35 Prozent. „Obwohl das | |
hier eine konservative Ecke ist.“ Gelungen, sagt Hudel, sei das eben mit | |
Faesers Erfolgsrezept: „Pragmatismus und nah an den Leuten.“ | |
30 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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