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# taz.de -- Nancy Faesers Zukunft: Ministerin auf dem Sprung
> Bundesinnenministerin Nancy Faeser galt als Hoffnungsträgerin der
> Ampel. Nun dürfte sie SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden. Kann das
> gutgehen?
Bild: Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Wiesbaden/Berlin taz | Es war im November vergangenen Jahres, als sich
Nancy Faeser offensichtlich angekommen fühlte. „Lieber Holger“, begrüßte
sie Holger Münch, den Präsidenten des Bundeskriminalamts, als sie in
Wiesbaden hinter dem Pult seiner Herbsttagung stand. Forschen Schrittes
hatte sie die große Bühne betreten. Nun gab sie Münch mit auf den Weg, er
solle den BKA-Beamten ihren herzlichen Dank für deren Arbeit ausrichten.
Und Münch dankte der „lieben Nancy“ zurück: Das werde er ausrichten.
Betonte Vertrautheit, auf offener Bühne.
Das war das eine Signal. Aber es gab noch ein zweites. Denn Faeser hätte
auf dem BKA-Podium über den Krieg in der Ukraine reden können, über
Cybercrime oder die „Heißer Herbst“-Proteste. Sie wählte: organisierte
Kriminalität. „Wir müssen diese Strukturen dauerhaft zerschlagen“, rief d…
Bundesinnenministerin in den Saal. Ein Punkt sei ihr dabei „besonders
wichtig“: die „Clankriminalität“. Diese sei „absolut inakzeptabel“, …
stehe über dem Recht. „Und das müssen diese Leute lernen – wenn es sein
muss, auf die harte Tour.“
Es klang nach neuen Tönen von Nancy Faeser. Nach klarer Kante, Law and
Order. Ganz anders als der Sound, mit dem Faeser zu Amtsbeginn aufwartete.
Und er war wohl bewusst gewählt, gerade hier beim BKA in Wiesbaden. Denn
womöglich richtete sich auch da schon Faesers Blick nach Hessen.
Denn am 8. Oktober wird in dem Bundesland gewählt. Und kaum noch einer
zweifelt daran, dass Faeser, die gebürtige Hessin und unangefochtene
SPD-Landeschefin, jetzt am Freitag auf dem SPD-„Hessengipfel“ ihre
Spitzenkandidatur erklärt. Die 52-Jährige selbst weicht seit Wochen dieser
Frage aus. In ihrem Umfeld aber gibt es zu Faesers Kandidatur keinen
ernsthaften Widerspruch mehr. Ein von der Partei aufgebauter
Alternativkandidat existiert nicht. Bereits im November soll die hessische
SPD-Führung als eines der großen Wahlkampfthemen vereinbart haben: die
innere Sicherheit.
Faeser ist zudem weiter in Hessen verwurzelt. An Wochenenden pendelt sie
nach Schwalbach bei Frankfurt am Main, wo sie seit der Geburt lebt, nur vom
Jura-Studium in Frankfurt unterbrochen. Mann und Sohn wohnen in der
15.000-Einwohner-Stadt im Vordertaunus, unmittelbar an der Frankfurter
Stadtgrenze. Faeser ist bekennender Eintracht-Fan. Und wie hatte sie im Mai
2022 auf dem hessischen SPD-Parteitag gesagt, als sie als Landeschefin
wiedergewählt wurde? „Mein Herz ist in Hessen.“ Und sie werde dafür
kämpfen, dass das Land „wieder rot“ werde.
## Keine makellose Bilanz als Innenministerin
Aber die Sache wirft mehrere Probleme auf. Denn offenbar ist Faeser
gewillt, auch als Wahlkämpferin weiter Bundesinnenministerin zu bleiben –
und soll dafür auch den Segen des Kanzlers haben. Aber geht das, mit einem
Ministerium, das ständig in Alarmbereitschaft ist? Ein Sieg in Hessen, nach
24 Jahren CDU-Regierung, wäre zweifelsohne ein Coup für die SPD. Aber der
ist keineswegs ausgemacht. In letzten Umfragen lag die CDU vorne, auch die
Grünen setzen auf Sieg. Und Faesers Bilanz als Innenministerin, mit der sie
in den Wahlkampf ginge, ist nicht makellos. Verliert sie am Ende, könnte
sie wieder dort landen, wo sie zuvor war: in der hessischen Opposition.
Es war eine echte Überraschung, als Scholz damals Faeser für sein
Ampelkabinett vorstellte – als erste Innenministerin der Bundesrepublik. 18
Jahre lang hatte Faeser in Hessen SPD-Innenpolitik gemacht, sich als
Aufklärerin des NSU-Terrors und Polizeikennerin profiliert. Am Ende war sie
Fraktions- und Landeschefin. Nun sollte sie in Berlin einiges anders machen
als ihr CSU-Vorgänger Horst Seehofer.
Und das klappte, zunächst. Faeser erklärte den Kampf gegen den
Rechtsextremismus als „ihr besonderes Anliegen“. Sie versprach im Bundestag
Serpil Temiz Unvar, die beim Hanau-Anschlag ihren Sohn verlor, persönlich
Aufklärung zu dem Attentat. Am Jahrestag reiste sie nach Hanau, hielt die
Hand einer Angehörigen. Später verkündete Faeser einen Aktionsplan gegen
Rechtsextremismus, versprach auch in der Migrationspolitik „einen neuen
Geist“. Deutschland sei „ein Einwanderungsland“, nun müsse es auch „ein
besseres Integrationsland“ werden.
Und Faeser war und ist sehr präsent. Sie veröffentlichte Aktionspläne und
Strategiepapiere. Sie besuchte Bundespolizist:innen, Feuerwehrleute,
Ordnungsämter, ukrainische Geflüchtete, Gewerkschafter, den Vorsitzenden
der Deutschen Bischofskonferenz. Sie reiste nach Israel, Brüssel oder zur
WM nach Katar. Sie fuhr nach Mecklenburg-Vorpommern, als dort eine
Geflüchtetenunterkunft niederbrannte, oder erst dieser Tage ins
schleswig-holsteinische Brokstedt, wo ein Mann zwei junge Menschen in einem
Zug erstochen und weitere verletzt hatte.
Bei alldem vergaß Faeser nie, sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Und
tatsächlich hat sie einen guten Draht zur Polizei, auch jenseits von
BKA-Chef Münch. Schon in Hessen besuchte sie Wachen, forderte mehr Personal
und bessere Ausrüstung. Als Innenministerin schuf sie nun 2.000 neue
Stellen für die Bundespolizei, versprach mehr Befugnisse und höhere
Pensionen.
Polizeivertreter loben, dass sich die Sozialdemokratin ernsthaft für ihre
Belange interessiere – was bei Seehofer, der sich gerne zurückzog, nicht
immer klar gewesen sei. Auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kann
gut mit Faeser. Bremste ihn Seehofer etwa bei der Beobachtung der AfD aus,
liegt Haldenwang mit Faeser nun auf einer Linie. Sie nannte die AfD schon
zu Hessen-Zeiten „Feind der Demokratie“.
Und dennoch wurde es zuletzt auch in der Ampel unruhig. Denn woran es lange
fehlte, waren konkrete Maßnahmen und Gesetzentwürfe. Sieben Monate dauerte
es, bis Faesers Ministerium einen ersten wirklichen Aufschlag machte – mit
dem ersten Teil ihres „Migrationspakets“, das Kettenduldungen beenden und
den Zuzug von Fachkräften erleichtern soll. Auch zu Faesers
Rechtsextremismus-Aktionsplan, der „kurzfristige“ Maßnahmen ankündigte,
folgten erst zum Jahreswechsel Gesetzentwürfe, hier zum Disziplinar- und
Waffenrecht. Und den Verbotsreigen von Seehofer in der rechtsextremen Szene
setzte Faeser bisher auch nicht fort – obwohl sie „Netzwerke zerschlagen“
wollte.
Ganz überraschen kann das nicht. Faeser kam von der hessischen
Oppositionsbank, hatte nie zuvor eine Behörde geführt. Nun steht sie an der
Spitze eines Großministeriums mit gut 2.000 Bediensteten und 19
unterstellten Behörden – das zuvor 16 Jahre lang in der Hand der Union war.
Und das den Ruf genießt, ein Eigenleben zu führen.
## Ausnahmezustand im Innenministerium
Zudem traf auch Faesers Ministerium der Krieg in der Ukraine unvermittelt:
Am 24. Februar 2022 wollte sie eigentlich ein Diskussionspapier zum
Demokratiefördergesetz präsentieren, da begann Russland seine Angriffe.
Faeser sagte die Pressekonferenz ab. Und musste plötzlich die Aufnahme von
Hunderttausenden Geflüchteten koordinieren, über Hilfslieferungen und
Grenzkontrollen entscheiden, später reiste sie nach Kiew. Ein
Ausnahmezustand, auch in ihrem Haus.
So blieb in Faesers Ministerium lange erst mal einiges beim Alten. Auch
Monate nach ihrem Antritt waren noch etliche Leitungsposten mit denselben
Leuten wie unter Seehofer besetzt. Heute sind es noch die Hälfte der
Abteilungsleiter:innen, die zentrale Bereiche wie Öffentliche Sicherheit,
Migration oder Digitales führen. Bei den
Unterabteilungsleiter:innen sind es gar 17 von 20.
Und bei den Staatssekretär:innen blieb ausgerechnet der Posten für
Migration fast ein Jahr lang vakant – die Arbeit wurde von anderen
Staatssekretären und dem hausinternen Ukraine-Krisenstab miterledigt.
Selbst Seehofers Heimatabteilung blieb erhalten – sie soll sich nun um
gleichwertige Lebensverhältnisse oder politische Bildung kümmern.
Dazu schasste Faeser im Oktober Arne Schönbohm, den damaligen Chef des
Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wegen
vermeintlicher Russlandnähe. In Zeiten des Ukrainekriegs sollte hier nicht
der Hauch eines Verdachts entstehen. Konkrete Verfehlungen von Schönbohm im
Dienst bleibt Faeser indes bis heute schuldig, der BSI-Personalrat schrieb
erboste Briefe. Und die Leitung des BSI, das bundesweite Zentralstelle für
IT-Sicherheit werden soll, ist bis heute vakant.
Dabei hatte sich die Ampel einiges vorgenommen. Eine
„grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik“ wurde im Koalitionsvertrag
versprochen, ohne Massenüberwachung, wissenschaftlich evaluiert. Ein
progressiver Aufbruch. Nun aber klingt manches, was aus Faesers Haus
kommt, als wäre es noch unter Seehofer entstanden: eine
Cybersicherheitsstrategie, die liebäugelt mit Hackbacks, offensiven
Gegenschlägen bei Cyberangriffen. Ein Hin und Her bei der Chatkontrolle,
ein Bundespolizeigesetz, das den Beamten eine Quellen-TKÜ erlauben soll,
ein Abgreifen von Kommunikation vor der Verschlüsselung – obwohl der
Koalitionsvertrag genau das ausschließt.
## Faeser für umstrittene Vorratsdatenspeicherung
Dazu forderte Faeser zuletzt, mit Verweis auf den Kampf gegen
Kindesmissbrauch, offensiv die Vorratsdatenspeicherung ein – die Grüne und
FDP vehement ablehnen. Auch will die Sozialdemokratin eine
„Rückführungsoffensive“, will Frontex stärken – oder sich eben krimine…
„Clans“ vorknöpfen. Nach den Silvesterkrawallen sprach Faeser von
migrantischen „Integrationsverweigerern“, die Klebeaktionen der Letzten
Generation nannte sie „völlig inakzeptabel“, die Barrikadenbauer in
Lützerath „verantwortungslos“. Und in Brokstedt fragte sie, warum der
palästinensische Messerstecher überhaupt noch im Land sei. Da war sie
wieder, die Law-and-Order-Nancy.
Bei Grünen und FDP verfolgt man das zunehmend frustriert. „Die Chance auf
einen progressiven Neuanfang in der Innenpolitik, die wurde bisher nicht
genutzt“, klagt ein Grünen-Fraktionär. „Es wirkt, als hätten Faesers
Fachabteilungen noch nicht begriffen, dass es einen Neuanfang gibt. Das
Ministerium muss endlich anfangen, den Koalitionsvertrag umzusetzen.“ Auch
in der FDP ist von einer „dürftigen Bilanz“ Faesers die Rede.
## Ambitionierte Gesetzentwürfe, die Zeit brauchen
In Faesers Ministerium wird dagegen nicht nur auf die Belastung durch den
Ukrainekrieg verwiesen, sondern auch darauf, dass die vereinbarten
Gesetzentwürfe eben ambitioniert seien und ihre Ausarbeitung Zeit brauche.
Die Schlagzahl der Gesetze werde, wie immer, in der zweiten Hälfte der
Legislatur zunehmen. Nur: Auch ihrer eigenen „Vorhabenplanung“ hinkt
Faeser hinterher. So sollte das Waffenrecht nach taz-Informationen
eigentlich schon im Herbst als Thema im Kabinett sein, ebenso eine Reform
des Nachrichtendienstrechts oder die Streichung des Rasse-Begriffs aus dem
Grundgesetz.
Und auch mit ihren bisherigen Vorstößen verhakelt sich Faeser regelmäßig in
der Ampel. Bei der Vorratsdatenspeicherung halten FDP und Grüne hart
dagegen. Den Alternativvorschlag eines Quick Freeze, bei dem Daten nur
anlassbezogen und in kleinerem Umfang gespeichert werden, lehnt wiederum
Faeser ab. Beim Waffenrecht oder erleichterten Einbürgerungen blockieren
die Liberalen. Strafverschärfung für „Hinterhalte“ gegen Einsatzkräfte
sehen Grüne wie FDP kritisch. Faeser verweist derweil auf akuten
Handlungsbedarf – seien es Angriffe auf Einsatzkräfte in der Berliner
Silvesternacht oder bewaffnete Reichsbürger.
Grüne und FDP kritisieren das – Faeser falle wieder in den Modus, nach
jedem Vorfall neue Befugnisse oder Strafverschärfungen zu fordern. Ein
Reflex, aus dem die Ampel eigentlich raus und lieber auf wissenschaftliche
Fakten setze wollte. „Und sie sucht Konflikte, die sie absehbar verliert“,
wundert sich ein führender Liberaler. Vor allem aber: Faeser stimme sich zu
wenig in der Ampel ab. Ankündigungen halte sie nicht ein. Einige
Gesetzentwürfe würden schon öffentlich diskutiert, bevor diese die anderen
Ministerien oder Ampelfraktionen erreichten. Selbst der
Rechtsextremismus-Aktionsplan sei nicht vorab abgestimmt gewesen. Auch beim
internen Frühstück mit den Koalitionsfraktionen bleibe Faeser vage,
zeitweise ließ sie es ganz ausfallen.
Faeser aber zeigt sich unbeirrt. Das verschärfte Waffenrecht versucht sie
nun durchzudrücken – sie sieht es auch als Lehre aus dem Hanau-Anschlag, wo
der Attentäter legal Waffen besaß, trotz psychischer Auffälligkeiten. Und
bei der Vorratsdatenspeicherung weiß sie nicht nur die Polizei, sondern
auch den Kanzler hinter sich. Zudem steckt hinter ihren Vorstößen wohl auch
Kalkül: keine offene Flanke bei der Sicherheit für die Union lassen. Was
bisher tatsächlich ganz gut klappt.
## Auf ein Selfie mit Nancy
Und Faeser kann ja durchaus Leute einnehmen, wie sie bei ihren Auftritten
beweist. Nach der Silvesterrandale in Berlin besucht sie eine Feuerwache in
Neukölln, auf ihren eigenen Wunsch hin. Zunächst hört sie hinter
verschlossenen Türen zu, an einem langen Tisch im Pausenraum, wie
Feuerwehrleute von Böller- und Raketenbeschuss berichten, von
Schreckschusspistolen, die ihnen ins Gesicht gehalten wurden. Danach stellt
Faeser sich vor die Kameras, fordert harte Strafen und mehr Prävention. Die
Feuerwehrleute sind zufrieden. „Ich glaub, es ist angekommen, was wir
gesagt haben“, lobt einer. Ein anderer fragt Faeser nach einem Selfie. Über
ihr Gesicht huscht ein Lächeln. „Natürlich.“
Oder vor wenigen Tagen erst in Berlin-Friedrichshain, bei einer
Veranstaltung der lokalen SPD-Bewerberin für das Abgeordnetenhaus. Ein
kleiner Ladenraum, enge Stuhlreihen mit rund 30 Zuhörenden, viele mit
Einwanderungsgeschichte – ein Heimspiel. Faeser wirkt entspannt, sie
fordert doppelte Staatsbürgerschaften, leichtere Einwanderungsregeln,
freundlichere Ausländerbehörden. Immer wieder erntet sie Nicken und
Applaus.
Bis ein SPD-Mann, geboren in Bosnien-Herzogowina, von seinem jahrelangen
Kampf um einen Aufenthaltstitel in Deutschland berichtet. Und beklagt, auch
„progressive Politiker“ müssten auf ihr „Wording“ achten. Ein Gerede v…
„Integrationsverweigerern“ tue „unglaublich weh und triggert ganz viele
Menschen wie mich“. Faesers Lächeln verschwindet, aber sie nimmt nichts
zurück.
„Man muss Probleme benennen können. Und wir hatten Silvester Probleme“,
antwortet sie. Viele Angreifer auf Einsatzkräfte seien eben Migranten
gewesen – aber auch viele der Opfer. Ein syrischer Feuerwehrmann habe ihr
davon berichtet. „Wir brauchen eine Kultur, in der man so etwas ansprechen
kann“, sagt Faeser. „Und in der klar ist, dass damit nicht alle gemeint
sind.“ Der SPD-Mann von der Basis zieht die Augenbrauen hoch. Es scheint
nicht die Antwort, die er erhofft hatte.
Dabei sind diese Töne von Faeser gar nicht so neu. Auch in Hessen forderte
sie schon vor Jahren die Vorratsdatenspeicherung, kritisierte im besetzten
Dannenröder Forst Angriffe auf Polizisten „aufs Schärfste“. In der SPD
zählt sie zum konservativen Flügel, was für eine einstige Anwältin einer
Wirtschaftskanzlei im Frankfurter Bankenviertel auch keine Überraschung
ist. Die Hoffnung, Faeser würde alles anders machen, sie war auch
Projektion. Und wohl nicht ohne Grund machte Scholz, der mit seiner
Hamburger Linie für innenpolitische Härte steht, gerade Faeser zur
Innenministerin.
## Andere Akzente als Seehofer gesetzt
Und doch zeigt gerade der Vergleich zu ihrem Vorgänger Seehofer, dass
Faeser eben auch andere Akzente setzt. Benannte der CSU-Mann noch Migration
als „Mutter aller Probleme“, legte Faeser Gesetzentwürfe vor, die
Einbürgerungen erleichtern, doppelte Staatsbürgerschaften erlauben oder
bessere Zugänge zu Integrationskursen schaffen. Sie legte ein
Afghanistan-Aufnahmeprogramm auf – wenn auch dieses verspätet kam und
momentan hakt.
Sie gewährte queeren Geflüchteten mehr Schutz, sie brachte zusammen mit dem
Familienministerium nach jahrelangen Diskussionen das
Demokratiefördergesetz auf den Weg. Vor ihrem Ministerium ließ Faeser
erstmals die Regenbogenfahne hissen. Und sie wendet den Blick bewusst immer
wieder auf Betroffene extremistischer Gewalt, traf sich wiederholt mit
Hanau-Angehörigen, auch ohne Kameras.
Es ist dieses Profil, mit dem Faeser in den hessischen Wahlkampf gehen
könnte: Empathie und Härte, alle Seiten mitnehmen. Um den Konservativen die
hessische Staatskanzlei abzujagen, wäre das wohl auch nötig. Und dem
Vernehmen nach sieht Scholz kein Problem darin, wenn Faeser im Wahlkampf
Bundesinnenministerin bliebe. Allein durch das Amt hätte sie eine ganz
andere Präsenz und Bühne.
Die hessischen Grünen warnen Faeser indes bereits, das Innenministerium sei
„kein Teilzeitjob“. Auch die CDU hält Faeser schon jetzt für „am Limit�…
Erinnert wird auch an den Fall Nobert Röttgen, der 2012
Bundesumweltminister war und CDU-Ministerpräsident in NRW werden wollte,
ohne sich für den Fall einer Niederlage festzulegen – am Ende wurde er von
Merkel aus dem Kabinett geschmissen.
In der SPD wird auf andere Fälle verwiesen, etwa auf Manfred Kanther (CDU),
der 1995 auch Bundesinnenminister und Spitzenkandidat bei der Hessenwahl
war. Oder Armin Laschet, zuletzt NRW-Ministerpräsident und
CDU-Kanzlerkandidat. Fast jeder Spitzenpolitiker kandidiere doch aus einem
Amt heraus, heißt es von Sozialdemokraten. Und: Es könne ja wohl kein
Zweifel bestehen, dass Faeser engstens mit Hessen verbunden sei.
## Wahlniederlage in Hessen wäre schweres Problem für Faeser
Dennoch dürfte spätestens eine Wahlniederlage dort Faeser schwere Probleme
bereiten. Hartmut Hudel glaubt, dass es anders kommt. Der pensionierte
Jurist ist Vizechef der SPD in Schwalbach. Seine Vorsitzende seit 1996:
Nancy Faeser. Schon ihr Vater war in Schwalbach Bürgermeister, ihr Ehemann
ist derzeit SPD-Fraktionschef der Stadtverordnetenversammlung. Den Job als
Innenministerin mache Faeser sehr gut, befindet Hudel am Telefon.
„Entschlossen, authentisch, mit Leidenschaft. Sie hat einen Kampf gegen den
Rechtsextremismus versprochen und das löst sie ein.“ Law and Order? Hudel
winkt ab. „Sie sagt, was ist. Und sie hat die sachliche Ebene doch nie
verlassen.“
Seit Faeser Innenministerin ist, sei sie natürlich nicht mehr so oft im
Ortsverband. Aber er halte Kontakt, sagt Hudel, per Whatsapp oder E-Mail.
Erst zu Monatsbeginn tauchte Faeser beim SPD-Neujahrsspaziergang in
Schwalbach auf. Mit 30 Leuten und drei Hunden ging es zu einem
Waldgasthaus. Faeser sei „wie immer“ gewesen, sagt Hudel. „Sehr zugewandt,
sehr offen. Die Bodenhaftung ist zu 100 Prozent da.“
In Faesers weitere Pläne sei er nicht eingeweiht, behauptet Hudel. Auch
beim Spazierengehen: kein Wort dazu. „Ich will da nicht immer nachbohren.“
Aber sollte Faeser Ministerpräsidentin werden wollen, würde das gut
passen, findet Hudel. „Sie kann ja sehr gut auf Leute zugehen und kennt die
hessische Politik in- und auswendig.“ Eine Kandidatur und ein paralleles
Ministeramt wären sicher anspruchsvoll. Andererseits beweise Faeser ja seit
Jahren, dass sie vieles vereinbaren könne.
Und wenn seine Parteifreundin am Ende doch verlöre? Er wolle da nicht
spekulieren, sagt Hudel. Doch wenn sie „wirklich“ anträte, „würde sie a…
gewinnen“. Der SPD-Mann verweist wieder auf Schwalbach, wo seine Partei
2021 bei der letzten Kommunalwahl vorne lag – mit 35 Prozent. „Obwohl das
hier eine konservative Ecke ist.“ Gelungen, sagt Hudel, sei das eben mit
Faesers Erfolgsrezept: „Pragmatismus und nah an den Leuten.“
30 Jan 2023
## AUTOREN
Konrad Litschko
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