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# taz.de -- Hilfszahlungen während der Pandemie: Der Rettungsstaat im Stresste…
> In der Coronakrise hat der Staat mit Hilfsprogrammen wirksam dem
> wirtschaftlichen Absturz entgegengewirkt. Aber es gab auch Lücken im
> sozialen Netz.
Bild: Die meisten Päckchen mit Corona-Hilfen sind in die richtige Richtung ges…
Die [1][Coronakrise] war von ökonomischen Superlativen geprägt:
Rekord-Einbruch der Wirtschaftsleistung, Rekord-Rettungsschirme,
Rekord-[2][Konjunkturpakete], Rekorde bei der Kurzarbeit. Gleichzeitig
blieb einiges aus, was frühere Rezessionen prägte: Die verfügbaren
Einkommen brachen nicht ein, Rekorde bei der Arbeitslosigkeit liegen in
weiter Ferne. [3][Unternehmensinsolvenzen] hielten sich in Grenzen.
Nichtsdestotrotz ist die Zufriedenheit der Bevölkerung gering. In Umfragen
äußerten im Frühjahr 2021 fast 70 Prozent der Deutschen, sie seien mit den
Wirtschaftshilfen unzufrieden. Wie passt dies zusammen? Bewahrheitet sich
einfach die alte Weisheit, dass wenig mit dem Verhindern von Katastrophen
zu gewinnen ist, oder war die Umsetzung der Hilfen tatsächlich so
stümperhaft, unser soziales Netz so löchrig, dass die Rekordpakete
wirkungslos verpufften?
Tatsächlich liegt die Wahrheit dazwischen. Die Unterstützungszahlungen
haben besser funktioniert als oft wahrgenommen. Gleichzeitig hat die Krise
gravierende Lücken in unseren Sicherungsnetzen aufgezeigt, die einige
Gruppen nicht auffingen. Für die Zukunft sollte hier an unserem Sozialstaat
nachgebessert werden. Beginnen wir mit den Dingen, die gut funktioniert
haben.
Die Einkommenssicherung für die breite Masse hat in der Krise – wie schon
2008/9 – gut funktioniert. Für das Gesamtjahr 2020 lagen die verfügbaren
Einkommen der Haushalte trotz des massiven Einbruchs der
Wirtschaftsleistung sogar noch 0,7 Prozent höher als im Vorjahr. Das war
keineswegs selbstverständlich:
Im März 2020 herrschte große Unsicherheit, ob die Tausenden kleinen und
mittleren Unternehmen im Gastgewerbe, Einzelhandel und
Dienstleistungsbereich mit wenig Erfahrung mit Kurzarbeit das Instrument
tatsächlich nutzen würden oder doch massiv Beschäftigung abbauen würden.
Ebenso hervorragend lief die Bearbeitung der Anträge auf
[4][Kurzarbeitergeld]. Mit Extraschichten und enormer Flexibilität wurden
Millionen von Anträgen von der Bundesagentur für Arbeit geräuschlos und
schnell bearbeitet.
## Anträge wurden zügig bearbeitet
Auch die Rettung größerer Unternehmen und kleinteiligerer
Wirtschaftsstrukturen funktionierte recht gut. Über den
Wirtschaftsstabilisierungsfonds hat der Bund Beteiligungen an einer Reihe
größerer Unternehmen erworben und diese vor der Insolvenz bewahrt; zudem
wurden über die staatseigene [5][KfW-Bank] über 135.000 Anträge auf
Hilfskredite überwiegend von kleinen und mittleren Unternehmen bearbeitet.
Fast 50 Mrd. Euro an Krediten wurden so ausgeteilt.
Die [6][November- und Dezemberhilfe] für die Gastronomie, die
Überbrückungshilfen und die Neustarthilfe dürften – den Klagen der
Betroffenen zum Trotz – Tausenden Unternehmen das Überleben gesichert
haben. Die Kombination aus wirkungsvoller Sicherung von
Unternehmensstrukturen und Stabilisierung der verfügbaren Einkommen erklärt
auch, warum sich die deutsche Wirtschaft schon im dritten Quartal 2020
wieder kräftig erholte und trägt zu den guten Aussichten für den Rest des
laufenden Jahres bei:
Sobald die Kontaktbeschränkungen gelockert werden, kann die Wirtschaft
schnell wieder durchstarten, weil zum einen die Angebotsstrukturen
weitgehend intakt sind, zum anderen die Menschen Geld in der Tasche haben
und ausgeben können. Übersehen darf man bei diesem Lob allerdings auch
nicht die Lücken und Probleme mit den Hilfszahlungen. Nicht wirkungsvoll
abgefedert wurde die Krise für viele [7][Soloselbstständige] und
Kleinstunternehmer.
In dieser Gruppe mussten viele wegen der Pandemie oder durch die zur
Bekämpfung verhängten Kontaktbeschränkungen Einkommensverluste erleiden.
Ein Problem war hier die zunächst zögerliche Auszahlung der Hilfszahlungen
sowie die fehlende Plattform zur Antragsannahme und -bearbeitung. Eine
Reihe von Ökonomen hatte hier vorgeschlagen, Auszahlungen oder zumindest
Abschlagszahlungen über die Finanzämter zu organisieren.
## Kleinstunternehmer fielen durchs Netz
Ein solches Vorgehen hätte schnellere Auszahlungen ermöglicht, scheiterte
aber am Ende an vorgeschobenen oder realen rechtlichen Bedenken. Als
problematisch erwies sich zudem der Verweis der Soloselbstständigen auf die
[8][Grundsicherung] (Hartz IV). Zwar setzte die Politik die
Vermögensprüfung vorübergehend aus und die Vermögensgrenzen für den Bezug
nach oben, zudem übernahm sie für Grundsicherungsempfänger auch
Unterkunftskosten jenseits dessen, was in normalen Zeiten als „angemessen“
definiert ist.
Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die Grundsicherung für
Kleinstselbstständige wie Musiker wenig geeignet ist, weil die
Einkommensberechnung betriebliche Aufwendungen nicht sinnvoll
berücksichtigt.
Wenn etwa eine Musikerin mit Grundsicherungsbezug im April ein Set neue
Saiten kaufen muss und im Juni für einen Auftritt 500 Euro Honorar bezieht,
kann sie nicht Kosten und Einnahmen verrechnen, sondern muss die Saiten im
April aus Grundsicherung oder Ersparnis bezahlen, bekommt aber das Honorar
von der Juni-Grundsicherung abgezogen.
Auch die Betrachtung von Bedarfsgemeinschaften statt Individuen, die zur
Offenlegung von Einkommen von Partnerinnen und Partnern zwingt, stellte
sich als Hürde für eine wirkungsvolle Hilfe der Betroffenen dar. Zuletzt
zeigte sich in der Krise, dass mit der Grundsicherung immer noch ein
enormes Stigma verbunden ist und wohl auch deshalb viele Soloselbstständige
auf Beantragung der Unterstützung verzichteten.
Ebenfalls nicht ausreichend war die Absicherung von abhängig Beschäftigten
mit niedrigen Einkommen: Wie Umfragen der Hans-Böckler-Stiftung zeigen,
waren Geringverdienerhaushalte deutlich stärker von Einkommenseinbußen
betroffen als reichere Haushalte. Grund war, dass die Kontaktbeschränkungen
besonders stark Branchen getroffen haben, in denen – wie im Gastgewerbe
oder Einzelhandel – ohnehin niedrige Löhne und Gehälter gezahlt werden.
Hinzu kam, dass es in diesen Branchen verhältnismäßig wenige Tarifverträge
gibt, in denen eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vereinbart ist. Hier
schlugen so die Einkommenseinbußen durch die Kurzarbeit voll durch, da die
Betroffenen oft unmittelbar auf 33 bis 40 Prozent ihrer Nettoeinkommen
verzichten mussten, auch wenn später das Kurzarbeitergeld bei längerem
Bezug aufgestockt wurde.
Auch dürften die Haushalte mit geringen Einkommen besonders von dem Verlust
von [9][Minijobs] betroffen gewesen sein. Bei Minijobs ist keine Kurzarbeit
möglich, und so wurden diese Stellen ab dem Frühjahr 2020 in großem Stil
gestrichen. Ebenfalls gewisse Versäumnisse lassen sich bei einigen der
Staatsbeteiligungen finden. Bei der Kapitalspritze etwa für die Lufthansa
spricht einiges dafür, dass der Staat zu günstigeren – und für die
Altaktionäre weniger günstigen – Bedingungen hätte einsteigen können.
## Wenig überzeugende Kritik
Andere Kritikpunkte an den Hilfsprogrammen der Bundesregierung sind dagegen
nicht überzeugend. Die Behauptung, dass mit den großzügigen Regelungen der
Kurzarbeit einseitig die abhängig Beschäftigten abgesichert worden wären,
während Selbstständige und Kleinunternehmer im Regen stehen gelassen worden
wären, hält bei genauerer Betrachtung der Fakten nicht stand.
Hätten die Betriebe nicht die Möglichkeit, Menschen in Kurzarbeit zu
schicken, sondern sie stattdessen entlassen, so wären sie verpflichtet, bis
zum Ende der Kündigungsfrist die vollen Bezüge zu bezahlen. So mussten sie
nur viel geringere Remanenzkosten tragen. Kurzarbeitergeld hat so den
Unternehmen Geld gespart. Zudem ist Kurzarbeit zunächst eine
Versicherungsleistung, für die Beschäftigte und Arbeitgeber in den Jahren
zuvor Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt haben.
Die Steuerzuschüsse, die darüber hinaus an die Bundesagentur für Arbeit
(BA) in der Krise geleistet wurden, sind mit rund 10 Mrd. Euro wesentlich
kleiner als die Summen, die über Überbrückungs- und Soforthilfen als
Zuschüsse an die Unternehmen geflossen sind – alleine die November- und
Dezemberhilfen für die Gastronomie übersteigen den Zuschuss an die BA
spürbar, hinzu kommen die Soforthilfen und die Neustarthilfe.
Oft wurden darüber hinaus vermeintliche Ungerechtigkeiten bei den
Unternehmenshilfen angeprangert. Ein Friseur, der sein Ladenlokal gemietet
hat, bekam etwa einen Teil der Miete erstattet, während eine Kollegin mit
sonst identischen Einnahmen und Ausgaben, der die Immobilie mit dem eigenen
Laden gehört, keinen Zuschuss für Ladenmiete erhielt. Diese
unterschiedliche Behandlung mag ungerecht sein, hat aber durchaus eine
Logik:
Bei den Soforthilfen ging es in erster Linie darum, Unternehmenspleiten zu
vermeiden und Strukturen zu erhalten. Der Friseur, der seinen Laden
gemietet hat, wäre möglicherweise vom Vermieter ins Insolvenzverfahren
gezogen worden, bei der Kollegin mit Eigentum passiert dies nicht. In der
Summe kann man so konstatieren, dass die Hilfsprogramme besser
funktionierten, als es öffentlich oft wahrgenommen wird.
## Kurzarbeit spart Geld
Gleichzeitig zeigen uns die Probleme, wo wir in den kommenden Jahren
unseren Sozialstaat nachbessern sollten. Sinnvoll wäre etwa, für
Soloselbstständige eine bessere Absicherung zu schaffen. Diese
Selbstständigen könnten in die Arbeitslosenversicherung einbezogen werden.
Möglich wäre auch, ein der Kurzarbeit ähnliches Instrument für sie zu
schaffen.
Die Erfahrung, wie unzureichend niedrig die Grundsicherung ist und wie
frustrierend der Umgang etwa mit den Vermögensprüfungen sein kann, sollte
Anlass sein, das System zu reformieren. Eine spürbare Aufstockung des
Regelsatzes und Erleichterungen bei der Prüfung der Vermögen wären hier das
Mindeste. Bei den Minijobs hat die Krise wieder einmal gezeigt, wie
problematisch es ist, abhängige Beschäftigung ohne vernünftige soziale
Absicherung zuzulassen.
Hier wäre eine Abschaffung der Minijobs im gewerblichen Bereich ein
sinnvoller Schritt. Kurz: Insgesamt hat der deutsche Sozial- und
Rettungsstaat in der Krise gut funktioniert. Nichtsdestotrotz sind
Nacharbeiten für die nächste Krise wichtig. Denn die vergangenen beiden
Jahrzehnte haben eindrücklich gezeigt: Nach der Krise ist vor der Krise.
Vorbereitung zahlt sich aus.
19 Jun 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[2] /Konjunkturpaket-in-der-Coronakrise/!5693206
[3] /Unternehmen-in-der-Pandemie/!5772899
[4] /GroKo-verlaengert-Kurzarbeitergeld/!5704445
[5] https://www.kfw.de/inlandsfoerderung/Unternehmen/KfW-Corona-Hilfe/?redirect…
[6] /Soforthilfen-in-der-Coronakrise/!5726711
[7] /Coronahilfen-und-Kulturschaffende/!5741624
[8] /Hartz-IV-in-Coronazeiten/!5723965
[9] /Prekaere-Arbeit/!5750311
## AUTOREN
Sebastian Dullien
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