# taz.de -- Hartz IV in Coronazeiten: In anderer Verpackung | |
> Hartz IV wird derzeit als „Bürgerrecht“ für Corona-Geschädigte politis… | |
> beworben. Das ändert wenig an den Bedingungen. | |
Bild: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: Er klingt wirklich nett | |
BERLIN taz | Man fühlt sich fürsorglich behandelt, fast wie eine privat | |
versicherte Patientin beim Arzt. Hubertus Heil selbst spricht in einem | |
Video des Arbeitsministeriums zu den Ratsuchenden. Heil beantwortet Ihre | |
Fragen! Er klingt wirklich nett. „Der Zugang zur [1][Grundsicherung] wurde | |
erleichtert und entbürokratisiert“, sagt der Arbeitsminister, „lassen Sie | |
sich helfen. Sie haben das soziale Bürgerrecht auf Grundsicherung.“ Online | |
könne man den Antrag stellen. Bei der Arbeitsagentur lässt sich ein | |
„vereinfachter Antrag“ auf Grundsicherung herunterladen. „Im Zweifelsfall | |
nutzen sie die Möglichkeit, das Jobcenter anzurufen“, sagt Heil. | |
Für Hartz-IV-EmpfängerInnen, die auf der Suche nach Jobcenter-Kontakt am | |
Telefon entweder in endlosen Warteschleifen oder bei gefühllosen | |
Callcenter-MitarbeiterInnen landeten, klingt das wie Musik – etwas süßlich | |
und etwas fremd. | |
Die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“, [2][im Volksmund Hartz IV | |
genannt], wird derzeit als Rettungsanker für Coronageschädigte politisch | |
beworben, als sei es ein staatliches Grundeinkommen, das in Anspruch zu | |
nehmen sich man doch bitte nicht schämen solle. Die Aufforderung richtet | |
sich insbesondere an Soloselbstständige und Freiberufler, die durch die | |
Coronabeschränkungen in Not geraten sind und bei denen weder die | |
Überbrückungshilfe II noch die neuen Novemberhilfen greifen. | |
Einiges wurde dabei erleichtert: Wer im Zeitraum bis zum März 2021 einen | |
Antrag auf Hartz-IV-Leistungen stellt, dem oder der werden vom Jobcenter | |
für ein halbes Jahr die Wohnkosten erstattet, egal wie hoch. Alleinstehende | |
dürfen bis zu 60.000 Euro an Vermögen besitzen. Wer selbstständig und nicht | |
in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, darf für jedes Jahr an | |
Selbstständigkeit nochmal 8.000 Euro Vermögensfreibetrag draufschlagen. | |
Selbstständige Versicherte über die KSK (Künstlersozialkasse) haben diesen | |
Freibetrag übrigens nicht, weil sie ja in die Rentenkasse einzahlen. | |
## Angst vorm „doppelten System“ | |
Der werbende Sound für neue Antragssteller hat einen politischen Grund: | |
Berufsverbände fordern einen staatlichen „Unternehmerlohn“ für | |
Selbstständige, etwa für Berater, Seminardozenten, ReiseleiterInnen, die | |
wegen der Coronabeschränkungen quasi nicht arbeiten dürfen oder Aufträge | |
einbüßen und daher kaum oder keine Einnahmen haben. Sozialpolitiker, auch | |
aus der SPD, wollen aber kein „doppeltes System“ neben Hartz IV, sondern | |
verweisen daher lieber auf die erleichterte Grundsicherung. | |
Die neue PR für Hartz IV klingt anders als die harschen Worte des damaligen | |
Wirtschaftsministers Wolfgang Clement (SPD), der kurz nach der Einführung | |
der Grundsicherung im Jahre 2005 vor einer „Mitnahme-Mentalität“ warnte, | |
davor, dass die „Hemmschwelle für Sozialbetrug“ gesunken sei, dass man | |
„Fehlentwicklungen“ dringend unterbinden müsse. | |
Der Run der [3][SolounternehmerInnen] auf Hartz IV hält sich allerdings in | |
Grenzen: Im Oktober verzeichnete die Bundesarbeitsagentur nur rund 52.000 | |
sogenannte nichtarbeitslose Selbstständige im Hartz-IV-Bezug, selbst im | |
Juni waren es nur 69.000 gewesen. | |
Das ist wenig angesichts von über vier Millionen Selbstständigen in | |
Deutschland. Der Regelsatz von 432 Euro im Monat plus Wohnkosten ist wohl | |
zu mager. Das Partnereinkommen und jedes kleine Erwerbseinkommen werden | |
zudem penibel mit dem Regelsatz verrechnet. | |
## Für Selbstständige unattraktiv | |
„Hartz IV passt nicht zur Selbstständigkeit“, sagt Max Hilgarth, | |
Geschäftsführer des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland | |
(VGSD). Viele Selbstständige hätten auch in Coronazeiten kleine Einkommen, | |
von dem Geld müsste man auch immer etwas beiseitelegen für Investitionen, | |
etwa in neue Computer, in Weiterbildung. Wenn dieser Verdienst sofort | |
wieder vom ohnehin niedrigen Regelsatz weitgehend abgezogen werde, mache | |
dies die Sozialleistung für Selbstständige unattraktiv. | |
Im November herrscht nun erst mal Ruhe bei vielen Betroffenen – viele | |
profitierten ja von den neuen „Novemberhilfen“, mit denen Selbstständige in | |
einigen Branchen ihre Umsatzeinbrüche kompensieren können. Die Frage | |
lautet: Was kommt danach? Dann, wenn die „Novemberhilfen“ beendet sind, | |
Corona aber immer noch da ist. Und das Stichwort „Unternehmerlohn“ wieder | |
auftaucht auf der politischen Agenda. | |
10 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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