| # taz.de -- Coronapolitik der Bundesregierung: Made in Germany | |
| > Die Deutschen können gut organisieren? In der Coronakrise zeigt sich mal | |
| > wieder, dass das Klischee nicht stimmt. Eine Bilanz nach einem Jahr | |
| > Pandemie. | |
| Bild: „Verweilverbotszone“ auch ein Produkt der Pandemie | |
| ## [1][Schnelltests] | |
| Bei den Coronatests läuft es in Deutschland alles andere als rund. Bei den | |
| sehr genauen PCR-Tests, die nur in Laboren ausgewertet werden können, wird | |
| derzeit nur rund die Hälfte der zur Verfügung stehenden Kapazität genutzt. | |
| Als zu Beginn der zweiten Welle im Oktober die Labore überlastet waren, | |
| wurden die Kriterien verschärft, die man erfüllen muss, um getestet zu | |
| werden. Obwohl sie wieder etwas gelockert wurden, bleiben die Zahlen | |
| niedrig. | |
| Auch bei den Schnelltests, die weniger genau, aber günstiger sind und schon | |
| nach 15 Minuten ein Ergebnis liefern, hinkt Deutschland hinterher: Während | |
| diese in anderen Ländern massenhaft genutzt werden, sollen sie hierzulande | |
| in den meisten Bundesländern erst demnächst kostenlos angeboten werden – | |
| die Zusage, dass das ab 1. März der Fall sein würde, musste | |
| Gesundheitsminister Jens Spahn zurückziehen. | |
| Dass er bei der künftigen Teststrategie vor allem auf Schnelltests gesetzt | |
| hat, bei denen ein Abstrich tief im Rachen durch Fachpersonal genommen | |
| werden muss, ist erstaunlich. Schon seit Dezember steht fest, dass die | |
| gleichen Tests gute Ergebnisse liefern, wenn ein Abstrich im vorderen | |
| Nasen- und Mundbereich genommen wird. Das kann jeder Laie bei sich oder | |
| anderen machen. Und es ist deutlich günstiger, weil niemand für die | |
| Durchführung des Tests bezahlt werden muss. | |
| Die Medizinprodukte-Abgabeverordnung wurde durch das | |
| Bundesgesundheitsministerium aber erst Anfang Februar so geändert, dass | |
| diese Selbsttests an jeden verkauft werden dürfen. Erst danach hat das | |
| Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit der Überprüfung | |
| dieser Tests begonnen und am Mittwoch die ersten drei genehmigt. In den | |
| Handel kommen diese Tests, die auch bei der Öffnung von Schulen und anderen | |
| Einrichtungen eine wichtige Rolle spielen sollten, darum erst deutlich | |
| später als in vielen anderen Ländern. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete | |
| Janosch Dahmen, selbst Notfallmediziner, hat dafür kein Verständnis. „Wenn | |
| es um Leben und Tod geht, dürfen nicht zwei Monate zwischen Validierung und | |
| Anwendung liegen“, sagte er der taz. Malte Kreutzfeldt | |
| ## Bildung | |
| Wie wenig dem Staat in der Pandemie Bildung wert ist, lässt sich an einer | |
| Zahl ablesen: Auf nicht mal 5 Milliarden Euro belaufen sich die | |
| nennenswerten Soforthilfen für Kitas, Schulen und Universitäten. Bei über 3 | |
| Millionen Kitakindern, 11 Millionen Schüler:innen und fast 3 Millionen | |
| Studierenden muss man die Investitionen halbherzig nennen. Vor allem, weil | |
| Politiker:innen seit Monaten behaupten, Bildung habe „oberste | |
| Priorität“. | |
| Ganz Deutschland musste mitansehen, wie die Bildungsminister:innen | |
| die drängenden Probleme behäbig – oder gar nicht – angegangen sind. Nach | |
| dem ersten Homeschooling-Frust wäre genug Zeit gewesen, ausreichend | |
| FFP2-Masken, Laptops oder Luftfilter anzuschaffen. Passiert ist fast | |
| nichts. Die Bundesgelder für Lehrerlaptops etwa wurden Ende Januar | |
| freigegeben – zehn Monate nach den ersten Schulschließungen. Und die | |
| Trödelei wiederholt sich aktuell bei den Schnelltests. | |
| Priorität für die Bildungsminister:innen muss jetzt sein, die täglich | |
| wachsende Chancenungleichheit zurückzudrehen. Dafür müssen sie auch die | |
| Lernrückstände ihrer Schüler:innen abfragen. Erst dann kennen sie das | |
| Ausmaß der Misere – und können entsprechend gegensteuern. Zum Beispiel bei | |
| den Gruppen, die die Politik vergessen zu haben scheint: | |
| Förderschüler:innen, die in keinem Bund-Länder-Beschluss überhaupt nur | |
| Erwähnung finden. Und Kinder in Flüchtlingsunterkünften, die komplett auf | |
| der Strecke bleiben. Für eine selbsterklärte Bildungsnation ist das ein | |
| Armutszeugnis. Ralf Pauli | |
| ## Impfstoffproduktion | |
| Von Donald Trump kann man halten, was man will. Aber was die Amerikaner bei | |
| der Impfstoffbeschaffung im vergangenen Frühsommer schnell begriffen haben: | |
| Bei einer Pandemie muss man auch pandemisch denken – und nicht kleinteilig | |
| wie Deutschland und die EU. | |
| Das Versagen der EU-Kommission war gar nicht so sehr, dass sie im Sommer | |
| bei den potenziellen Impfstoffherstellern zu wenig Dosen bestellt haben. | |
| Denn selbst wenn die EU von Anfang an mehr bestellt hätte – am Engpass im | |
| ersten Quartal hätte sich wenig geändert. Denn den gibt es weltweit. Was | |
| geholfen hätte und die EU und Deutschland als größtes Mitgliedsland | |
| versäumt haben: den Aufbau von Produktionskapazitäten. | |
| Die US-Regierung hat bereits in den Sommermonaten nicht nur groß bestellt, | |
| sondern auch beim Aufbau der Produktionsstätten massiv geholfen. Firmen wie | |
| Biontech, Moderna und Curevac sind Newcomer in der Pharmaindustrie. | |
| Deswegen musste sich das Mainzer Unternehmen Biontech von Beginn an mit | |
| Pfizer zusammenschließen. Aber selbst für Pfizer ist es ein gigantisches | |
| Unterfangen, innerhalb kurzer Zeit Milliarden Impfstoffdosen herzustellen. | |
| Das Risiko, dass die Impfstoffe womöglich nicht wirken, kann ein Staat | |
| eingehen. Ein Privatunternehmen überlegt sich das mehrfach, weil ein | |
| Scheitern den Ruin bedeuten würde. Doch in solchen Fragen denkt Deutschland | |
| offenbar ideologischer als die USA. | |
| Beim Impfstoff-Hersteller Curevac war die Bundesregierung vergangenes Jahr | |
| nur deswegen eingestiegen, weil Trump Interesse an dem Tübinger Unternehmen | |
| zeigte. Auf die Idee, Curevac auch beim Aufbau einer eigenen | |
| Produktionsstätte unter die Arme zu greifen, kam in der Bundesregierung | |
| keiner. Auch deswegen dauert es nun mit der Impfstoffproduktion. Felix Lee | |
| ## [2][Impfen] | |
| Dass zu wenig Impfstoff zur Verfügung steht, konnten Bund und Länder noch | |
| auf die EU-Kommission schieben. Doch wie der vorhandene Impfstoff verteilt | |
| wird, ist Sache der Bundesländer. Und die zeigen sich mit dieser Aufgabe | |
| zum Teil überfordert. | |
| Schon bei der ersten Prioritätsgruppe gab es Probleme – dabei ist dort | |
| zumindest leicht festzustellen, wer dazugehört: Alle, die mindestens 80 | |
| Jahre alt sind, alle, die in Pflegeheimen leben oder dort arbeiten, und | |
| jene Beschäftigten im Medizinsektor, die ein besonders hohes | |
| Ansteckungsrisiko haben. Während das Impfen in den Pflegeheimen und | |
| Krankenhäusern recht gut geklappt hat, lief die Terminvorgabe für die | |
| Über-80-Jährigen vielerorts chaotisch: überlastete Hotline und Webseiten. | |
| Zudem hatten viele Länder keinen Überblick über die Liefertermine. Obwohl | |
| es schon im März genug Impfstoff für die ganze Prioritätsgruppe 1 gibt, | |
| bekamen viele Über-80-Jährige Termine im April. | |
| Dass beim Impfstoff von AstraZeneca bisher erst 15 Prozent der gelieferten | |
| Menge verimpft wurde, liegt vor allem daran, dass er nur bei Menschen unter | |
| 65 eingesetzt wird und die meisten davon aus Gruppe 1 bereits geimpft sind. | |
| Zumindest bei den Jüngeren hätte also längst mit den Impfungen der | |
| Prioritätsgruppe 2 beginnen müssen. Das soll jetzt passieren, doch sind die | |
| Probleme offenbar noch größer. Denn dazu gehören auch Menschen mit | |
| bestimmten Vorerkrankungen sowie jeweils zwei Kontaktpersonen von Personen, | |
| die zu Hause gepflegt werden. Wie diese ihre Berechtigung nachweisen | |
| sollen, ist nicht geklärt. Die Impfkriterien sind seit Monaten bekannt. | |
| Warum viele Bundesländer so schlecht vorbereitet sind, ist unverständlich. | |
| Malte Kreutzfeldt | |
| ## Wirtschaftshilfen | |
| Die Bundesregierung stellt enorme Summen an Wirtschaftshilfen für | |
| Unternehmen bereit, trotzdem hakt es gewaltig. Laut | |
| Bundeswirtschaftsministerium wurden seit Beginn der Coronakrise mehr als 85 | |
| Milliarden Euro an Hilfen bewilligt, dazu kommt das Kurzarbeitergeld. Aber: | |
| Viele Gastronom:innen, Einzelhändler:innen und Unternehmer:innen | |
| aus anderen leidenden Branchen müssen zu lange auf staatliche Unterstützung | |
| warten. Etliche Unternehmen werden das nicht überleben. | |
| Die Hilfsprogramme sind kompliziert, sowohl für die Antragsteller als auch | |
| für die Behörden. Abgesehen von Ausnahmen müssen die Anträge von | |
| Steuerberater:innen oder Wirtschaftsberater:innen gestellt | |
| werden. Dazu müssen die Hilfesuchenden sehr viele Belege vorlegen, etwa | |
| Umsatzausfälle detailliert für bestimmte Zeiträume nachweisen. Das kostet | |
| viel Zeit. | |
| Manche Hilfeanträge konnten nur mit erheblicher Verzögerung gestellt | |
| werden. Zwar gibt es Abschlagszahlungen, aber die sind oft nicht hoch | |
| genug. Und längst nicht jede:r bekommt sie. Die Auszahlungen für November | |
| und Dezember sind jetzt in Fahrt gekommen – Ende Februar. | |
| Viele notleidende Unternehmen können bislang keine Hilfen beantragen, weil | |
| sie die Voraussetzungen der Hilfsprogramme nicht erfüllen. Das hat die | |
| Bundesregierung mittlerweile erkannt. Deshalb will sie einen Härtefallfonds | |
| einrichten. Aber auch hier gibt es Hickhack zwischen Ministerien. | |
| Finanzminister Olaf Scholz will Abschlagszahlungen stoppen lassen, wenn die | |
| Länder mit der Prüfung von Anträgen beginnen. So eine Prüfung kann aber | |
| Wochen dauern, in denen Unternehmer:innen kein Geld sehen, warnt | |
| Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Anja Krüger | |
| ## Corona-App | |
| Sie war das Heilsversprechen des vergangenen Sommers: die Coronawarnapp. | |
| Als sie im Juni veröffentlicht wurde, bezeichnete Telekom-Chef Timotheus | |
| Höttges sie als „Rockstar“ unter den Digitalprojekten in Deutschland. | |
| Kanzleramtschef Helge Braun schwärmte von ihr als „beste Corona-App | |
| weltweit“. Und es ging auch gut los: Nach 2 Wochen hatten 15 Millionen | |
| Deutsche die App geladen, auch wenn sie bis vor Kurzem auf vielen älteren | |
| Smartphones nicht lief. | |
| Und so warnte die App dann ein bisschen vor sich hin. Alles anonym, alles | |
| streng dem Datenschutz untergeordnet. Verwirrt waren viele, als da teils | |
| über ein Dutzend Risikobegegnungen angezeigt wurden, aber alles grün blieb. | |
| NutzerInnen, die positiv auf Corona getestet wurden und das Ergebnis der | |
| App mitteilen wollten, damit diese dann andere warnt, kritisierten das als | |
| äußerst umständlich. Häufig scheitert die Weitergabe auch an der fehlenden | |
| Zusammenarbeit zwischen Laboren und Arztpraxen. So gaben laut RKI nur 60 | |
| Prozent der positiv Getesteten das Ergebnis an die App weiter, einer | |
| anderen Umfrage zufolge sogar nur ein Drittel. | |
| „Und wie viele grüne Begegnungen hast du?“ Bis Dezember funktionierte | |
| dieses Handy-Spiel, dann verstummte die App Ende des Jahres plötzlich bei | |
| fast allen NutzerInnen. Viele dachten: Ist kaputt, kann weg. Eine nicht | |
| repräsentative Umfrage im privaten Umfeld ergab: 6 von 7 Befragten haben | |
| die App gelöscht. Dabei war sie nicht kaputt, sie wurde nur genauer und | |
| meldete sich seltener. Kommuniziert wurde das kaum. | |
| Seit Ende der Woche soll die App sich wieder häufiger melden: Sie warnt | |
| jetzt schon nach 5 Minuten Risikobegegnung, nicht mehr erst nach 10. | |
| Weitere Features sind geplant. Ob das die App wieder zum Leben erweckt? | |
| Paul Wrusch | |
| 26 Feb 2021 | |
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