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# taz.de -- SPD-Politikerin über Arbeitslosengeld: „Unsinnige Sanktionen abs…
> Ein Grundeinkommen für beruflichen Neustart? SPD-Politikerin Yasmin
> Fahimi erklärt die Idee – und warum ihre Partei bei einigen
> Hartz-IV-Sanktionen bleibt.
Bild: Die Zugänge für Weiterbildung sind in verschiedenen Branchen und Betrie…
taz: Frau Fahimi, etwa die Hälfte der Erwerbstätigen bildet sich weiter.
Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?
Yasmin Fahimi: Es passiert schon sehr viel, aber es ist nicht gerecht
verteilt. Die Zugänge für Weiterbildung sind in verschiedenen Branchen und
Betrieben sehr ungleich. Das müssen wir dringend ändern.
Die SPD will ein Recht auf Weiterbildung und beruflichen Neustart in allen
Lebensphasen. Was muss sich ändern?
Es gibt drei Baustellen. Zum einen die betriebliche Weiterbildung. Wir
müssen Betriebsräte stärken, entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zu
schaffen. Wir müssen, zweitens, die Agentur für Arbeit zu einer Agentur für
Arbeit und Qualifizierung ausbauen. Und drittens: Wir wollen einen
individuellen Anspruch auf Weiterbildung und ein
Erwachsenenweiterbildungsgesetz.
Die SPD-Fraktion schlägt eine Bildungsgrundabsicherung vor. Was genau meint
sie damit?
Wir schlagen eine Grundabsicherung für Bildungszwecke vor, die man bis zu
drei Jahre lang erhält. Diesen Anspruch wollen wir für alle einführen. So
bekommt jede und jeder eine echte und selbstbestimmte zweite Chance – egal
ob man sich fortbilden will, umschult oder noch einmal studieren will. Das
soll also für alle anerkannten Abschlüsse gelten.
Wie hoch soll die finanzielle Absicherung nach Ihrer Vorstellung sein?
Sie sollte bei 1.200 Euro pro Monat liegen. Das könnte um Boni, je nach
Familiensituation oder für Mangelberufe erweitert werden.
Kann man sich das vorstellen: Ich kündige meinen Job bei einer Bank,
schreibe mich für einen Master in Philosophie ein und bekomme monatlich
1.200 Euro vom Staat?
Genau. Und das wäre ein deutlicher Schritt in Richtung Gerechtigkeit, denn
das käme allen im gleichen Maße zugute. Ein Beispiel: Eine junge Frau
entscheidet sich heute, Altenpflegerin zu werden, weil das ihr
Herzenswunsch ist. Aber vielleicht hat sie Zweifel, ob sie diesen Beruf
körperlich bis zum Ende ihres Berufslebens ausüben will. Wenn sie weiß, mit
30 oder Mitte 40 hat sie die Möglichkeit, noch einmal etwas ganz anderes zu
machen, dann wäre das doch ein Befreiungsschlag.
Haben Sie durchgerechnet, wie viele Menschen dieses Grundeinkommen in
Anspruch nehmen könnten und wie teuer das wäre?
Es gibt Berechnungen, wonach das etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr kosten
würde. Wir gehen von etwas weniger aus. Das ist aber gut investiertes Geld,
denn Fachkräfte sind die einzige wirkliche Ressource in unserer
Volkswirtschaft, auf die wir zurückgreifen können. Und diese Kosten würden
sich zum Teil refinanzieren, weil weniger Menschen vorzeitig erwerbsunfähig
oder arbeitslos werden würden.
Was ist mit Menschen, die derzeit Fortbildungen über die Bundesagentur für
Arbeit finanziert bekommen. Steigen die dann auf die
Bildungsgrundabsicherung um?
Nein. Denn diese Instrumente würden sich ja ergänzen. Zum einen ist da der
individuelle Anspruch, den ich jederzeit ziehen kann, um mich neu zu
erfinden. Wenn ich arbeitslos bin, muss ich diesen Anspruch nicht opfern,
sondern werde weiterhin über die Bundesagentur für Arbeit gefördert. Die
beitragsfinanzierten Fortbildungen und Qualifizierungen für arbeitslose
Menschen müssen bleiben.
Diese Fortbildungen für Arbeitssuchende sind oft stark am Bedarf
orientiert. So wird Klempnern eine Umschulung zum Altenpfleger angeboten,
unabhängig davon, ob sie dafür geeignet sind. Können Sie sich auch in
diesem Bereich mehr Autonomie für die Betroffenen vorstellen?
Ein solches Beispiel kenne ich nicht. Aber ja, niemandem soll eine Maßnahme
aufgenötigt werden. Klar ist aber auch: Wenn aus Beiträgen Fortbildungen
finanziert werden, muss das bedarfsorientiert sein. Wenn die Menschen am
Ende ihrer Qualifizierung doch wieder arbeitslos sind, ergibt das wenig
Sinn.
Im Wahlprogramm fordert die SPD bei Hartz-IV-Empfänger:innen künftig
auf unwürdige Sanktionen zu verzichten. Wieso verzichtet man nicht auf alle
– oder gibt es auch würdige Sanktionen?
Für die Solidargemeinschaft, die die Beiträge zahlt, gibt es ein
Gesamtinteresse, dass die Maßnahmen, die dort finanziert werden, auch
tatsächlich zum Ziel führen. Insofern gibt es den berechtigten Anspruch,
dass eine Mitwirkung der arbeitslosen Person sichergestellt werden muss.
Forschungen zeigen allerdings, [1][dass Sanktionen eher destruktiv sind]
und der Missbrauch die Ausnahme ist.
Deshalb müssen wir unsinnige Sanktionen auch abschaffen und viel stärker
auf individuelle Unterstützung setzen. Ein völliger Verzicht der
Mitwirkungspflicht ist aber auch nicht im Interesse der Beitragszahler.
Ihre Forderungen nach einer Reform von Hartz IV und einer
Bildungsgrundabsicherung wären am ehesten in einem Mitte-links-Bündnis
möglich. Glauben Sie noch daran?
Ja, na sicher.
Echt. Warum?
Wir wollen eine Regierung ohne die Union bilden. Wir haben jetzt eine
Legislatur hinter uns, in der wir als SPD ganz viel rausgeholt haben. Aber
gerade in der Schlussphase hat die Union immer stärker gemauert, und wir
haben gemerkt: Mehr [2][ist jetzt einfach nicht drin.]
Und ich bin der festen Überzeugung, dass weder wir noch die Grünen in der
nächsten Legislatur mehr rausholen können. Wenn wir für dieses Land einen
Neustart wollen, dann geht das nur ohne die Union. Und dafür werden wir
kämpfen.
Glauben Sie wirklich, dass Sie mit der FDP eine Reform von Hartz IV und
eine Grundabsicherung zu Bildungszwecken hinkriegen?
Das ist ja nicht die einzige Koalitionsoption. Aber das kommt drauf an.
Worauf?
Ich führe jetzt keine Koalitionsverhandlungen. Aber klar ist: Wir wollen
eine Bundesregierung ohne Union, in der mehr möglich ist als bisher. Das
muss die Messlatte sein.
8 Jul 2021
## LINKS
[1] /Ehemaliger-Fallmanager-ueber-Hartz-IV/!5751788
[2] /Plaene-der-Grossen-Koalition/!5780041
## AUTOREN
Anna Lehmann
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